# taz.de -- Die Zunge Europas: Der Heinzer und seine Welt
       
       > Heinz Strunk beschreibt in seinem Roman "Die Zunge Europas" eine Woche im
       > Leben eines Gagschreibers. Das Buch ist eine Ansammlung von Episoden, die
       > zusammen eine Welt ergeben. In der ist Humor das Mittel, um die Trauer
       > auszuhalten - und die Sprache ist dazu da, erst gefunden zu werden
       
 (IMG) Bild: Heinz Strunk weiß, wie sich Bescheidenheit anfühlt. Das Harburger-Underdog-Gefühl wird sich auch nach seinem Erfolg mit "Fleisch ist mein Gemüse" nicht mehr ändern
       
       Überleg, Grübel, Gedankenwälz. Redaktionskonferenz gehabt. Textbedarf in
       der Dienstagsausgabe. Heinz Strunk soll Thema sein. Jener Heinz Strunk, der
       kürzlich ein Buch darüber geschrieben hat, wie er darüber nachdenkt, ein
       Buch zu schreiben. Das machen viele Schreiber, denen nichts einfällt. Was
       Heinz Strunk auszeichnet ist, dass niemals jemand anderes den Satz
       "Überleg, Grübel, Gedankenwälz" verwenden würde. Strunk bringt ihn auf
       Seite 198 seines Buches "Die Zunge Europas".
       
       Strunk zeichnet außerdem aus, dass er mit diesem Satz keine schnöde
       Schreibblockade beschreibt, sondern seinen Zustand, als er in seiner
       Wohnung eine alte Plastiktüte aus dem Keller leert. Darin befindet sich
       altes Sexspielzeug und mittendrin eine VHS-Videokassette mit der Aufschrift
       "RAF-Doku. Teil eins." Strunk alias Markus Erdmann ist irritiert, grübelt
       und vermutet, dass es sich dabei um "die Mitschnitte erotischer Sessions"
       handelt, die er mit seiner Freundin anfertigte. Die Videokassetten habe er
       dann "zur Tarnung mit irreführenden Beschriftungen versehen".
       
       Das ist so eine kleine, unbedeutende Episode in "Die Zunge Europas", eine
       Episode von vielen. Das ganze Buch ist eine Episoden-Sammlung, lauter
       kleine Geschichten, Alltagsbetrachtungen, Gedanken, Phantasien des
       Gagschreibers Markus Erdmann. Der hat Gewichtsprobleme, ist Mitte 30 - und
       sehr deutlich Strunks Alter Ego.
       
       "Die Zunge Europas" erzählt chronologisch aus einer Woche im Leben von
       Markus Erdmann. Es ist eine heiße Woche im Sommer, Erdmann sitzt in seiner
       Hamburger Wohnung ist frustriert von seinem Job und seiner eingeschlafenen
       Beziehung. Er hasst die arrivierte Comedy-Szene, fährt trotzdem zu einer
       Art Vorstellungsgespräch nach Berlin, lernt auf der Rückfahrt eine Frau
       kennen, geht mit ihr aus und beendet danach seine Beziehung. Vor allem aber
       reflektiert er ständig das, was ihn von außen und innen anfällt - das
       TV-Programm, das Älterwerden seiner Großeltern, das Ausgehen auf der
       Reeperbahn, seine Zeit als Kind im Fußballverein, die Party zum 14.
       Geburtstag. Das Buch funktioniert wie eine große, lange Kolumne: Markus
       Erdmann und wie er die Welt sieht.
       
       "Die Zunge Europas" ist Strunks zweiter Roman nach "Fleisch ist mein
       Gemüse", einem Buch, das ihn endgültig zum Anzugträger gemacht hat.
       "Fleisch ist mein Gemüse" wurde mehr als 300.000 mal verkauft, eine
       Verfilmung kam dieses Jahr in die Kinos. Strunk erzählt darin von seiner
       Zeit als Tanzmusiker im Hamburger Umland, das Buch ist zugleich
       Milieustudie und Autobiographie. Es geht um die traurige Geschichte eines
       jungen Saxofonisten, der unter Akne leidet, keine Chance bei Frauen hat und
       trotz großer Pläne über Tanzmusik-Jobs nicht hinaus kommt. Der Roman wäre
       beklemmend exhibitionistisch, wäre da nicht der Strunksche Humor, der ihn,
       den "Heinzer", rettet. Und den Rest der Welt.
       
       Am Nachfolger hat Strunk vier Jahre lang gearbeitet und sagt: "Ich hatte
       schlimme Versagensängste. Die ersten viere Fassungen waren unter aller
       Kanone. Insgesamt habe ich 16 Fassungen gebraucht." Strunk ist eigentlich
       Musiker und Mitglied bei der Humorvereinigung Studio Braun - er schrieb
       "Fleisch ist mein Gemüse" nur, weil er gerade keine anderen Aufträge hatte.
       Bei "Die Zunge Europas" ging es nun darum zu zeigen, dass das Debüt nicht
       nur ein Zufallstreffer war. Zwangsläufig musste sich der Autor Strunk da
       auseinander setzen mit der Frage, was er sich unter Literatur vorstellt.
       
       Konsequent ist er der Idee der offensiven Autobiographie treu geblieben und
       das heißt: Er bleibt ganz bei sich. "Bauchnabelprosa" hat Der Tagesspiegel
       "Die Zunge Europas" bereits genannt, ein Wort, das Strunk wahrscheinlich
       gut gefällt. Weil es sein literarisches Prinzip zum Ausdruck bringt: Strunk
       denkt sich gerne neue Wörter aus und über die alten Wörter denkt er gerne
       laut nach. Mitten im Text steht dann, "Scheunendrescher" sei ein "gutes
       Wort". Oder "Honk", ein "irgendwie echt gutes Wort": eines, das eine
       Abkürzung darstellt für "Hauptschüler ohne nennenswerte Kenntnisse". So ist
       er, der politisch unabhängige Herr Strunk. Und damit hier keine
       Missverständnisse entstehen: Dabei zu sein, wie er als Schriftsteller seine
       Sprache sucht, ist sehr vergnüglich.
       
       "Ich habe zu einer Zeit begonnen, mit Humor Geld zu verdienen, als er mit
       einem Mal Comedy hieß", schreibt Strunk, "und sich als ganzjährig
       verlängerter Arm des rheinischen Karnevals flächendeckend über die Republik
       ausbreitete." Seine Mission ist, die deutsche Comedy-Szene zu bekämpfen.
       Und er weiß, wovon er spricht: Im wirklichen Leben arbeitete Strunk auch
       kurz bei der Sat1-"Wochenshow" und hatte, etwas länger, Sendungen bei Radio
       Fritz und auf Viva. Dass er seinen größten Erfolg als Romanautor mit Anfang
       40 hat, kam unerwartet. Nun ist Strunk reich. "Was bleibt", sagte er der
       Spex, sei das "lebenslange, das ewige Underdog-Harburg-Ding".
       
       Im Gegensatz zu Sven Regeners drittem Lehmann-Buch hat es Strunks Loser
       noch nicht in die Bestseller-Listen geschafft. Dazu ist Strunk zu eigen.
       Oder auch: zu besonders.
       
       Strunk liest im Norden: 26. 11.: Kiel, Metro Kino; 27. 11.: Flensburg, Max;
       28. 11.: Oldenburg, Kulturetage; 29. 11.: Lübeck, Filmhaus; 2. 12.:
       Osnabrück, HdJ; 7. 12.: Hamburg, Schauspielhaus; 18. 12.: Hannover,
       Schwarzer Bär 2
       
       17 Nov 2008
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Klaus Irler
       
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