# taz.de -- Bilanz der deutschen Elf: Kein Märchen mehr
       
       > Statistisch war 2008 ein gutes Jahr für das Team von Joachim Löw.
       > Spielerisch auch? Fast alles über die Auswahl.
       
 (IMG) Bild: Mit dem 1:2 gegen England ging das Fußballjahr für die Nationalelf matt zu Ende.
       
       Es war eine grauenhafte Vorstellung, mit der sich die deutsche
       Fußballnationalmannschaft in Berlin aus dem Länderspieljahr verabschiedet
       hat. Gegen eine englische Mannschaft, die beinahe ohne die gesamte
       Prominenz antrat, gelang den Deutschen, bei denen mit Michael Ballack und
       Torsten Frings zwei Prominente nicht mitgespielt haben, gar nichts. Das
       Tempo war niedrig. Ballsicherheit nicht vorhanden. Zweikämpfe wurden
       gemieden oder verloren. Am Ende wunderte sich niemand über das 1:2 (Upson
       und Terry trafen für das englische, Helmes für das deutsche Team), genauso
       wenig wie über die Pfiffe, mit denen die Zuschauer im Olympiastadion das
       Team verabschiedet haben. Ein merkwürdiges Jahr geht damit zu Ende. Die
       Deutschen sind Vizeeuropameister und Weltranglistenzweite, und dennoch weiß
       niemand so ganz genau, ob das Team wirklich gut ist. 
       
       Das Führungsprinzip: Joachim Löw wird derzeit nicht müde, von
       "Leistungsprinzip" zu sprechen. Nur die echt Guten sollen nominiert werden.
       Weil deshalb Torsten Frings auf der Bank landete und Kevin Kuranyi auf der
       Tribüne, galt Löw als harter Hund. "So nicht!", hat er gesagt, nachdem
       Kuranyi von der Mannschaft abgehauen ist, Torsten Frings gemeckert und
       Michael Ballack mitgemault hat. Löw verordnete den Spielern einen Maulkorb,
       gab den Alleinherrscher. Und vorher? Herrschte da Anarchie im Team? Sind
       zur EM Spieler (David Odonkor) mitgenommen worden, nur weil sie irgendwann
       mal was Wichtiges vollbracht haben? Zählt erst jetzt Leistung? Und was
       passiert, wenn die auserkorenen Leistungsträger versagen - wie am Mittwoch
       gegen England? Ist dann der harte Hund Löw gefragt? Oder einfach nur
       Michael Ballack?
       
       Die Systemfrage: Deutsche Auswahlmannschaften spielen sehr gern mit zwei
       Stürmern, und weil man das international eben so macht, nunmehr auch schon
       ziemlich lange mit einer Viererkette hinten. Bleiben noch vier Feldspieler,
       um diese beiden Mannschaftsteile zu verbinden. Am liebsten drapiert der
       Auswahltrainerstab sie in der Variante Doppelsechs und
       Zwei-turnen-außen-rum. Macht nicht immer einen besonders kreativen
       Eindruck. Dann hat die deutsche Mannschaft bei der EM das unfassbar
       Überraschende getan und sich aus ihrem in Stein gemeißelten Dasein befreit.
       Das 4-2-3-1-System, mit dem sie dann das konsternierte Portugal (Äh? Wie
       bitte?! Das ist doch nicht Deutschland?!?) schlug, wurde aber nach der EM
       nicht weiter verfolgt. Warum bloß? Eine interessante Frage. Außerdem ein
       Internum. Wird also nicht vor unseren Augen und Ohren diskutiert. Schade.
       
       Das Dominanzdefizit: Als es richtig gut lief - während der WM 2006 und auch
       danach - da wurde die Mannschaft von Joachim Löw regelrecht angehimmelt.
       Die Botschaft, die von Bundestrainer Löw ausging, war eindeutig: Wir
       zwingen den Gegnern unser Spiel auf. Die Deutschen wollten dominieren. Löw
       definierte die Erfolge seines Teams als logische Folge seiner Arbeit mit
       den Spielern. Über die Qualität der einzelnen Akteure wurde kaum noch
       gesprochen. Löw galt als der große Richtigmacher des Fußballs, als einer,
       der durch seine Ideen Erfolg herstellen kann. Für die EM qualifizierten
       sich die Deutschen als Gruppenzweiter (0:3 gegen Tschechien), während der
       EM schafften sie es nicht einmal gegen Österreich, das Geschehen zu
       beherrschen. "Wir haben einen schlechten Tag gehabt", sagte Löw nach dem
       Desaster am Mittwoch gegen England. Wenns weiter nichts ist.
       
       Die Jahresbilanz in Zahlen: Von 16 Spielen wurden 11 gewonnen, 2
       unentschieden gespielt und 3 Spiele verloren. Wenn man die Partien allesamt
       als Punktspiele bewertet, ergibt sich: Von 48 möglichen Punkten wurden 35
       erreicht, macht 2,1875 pro Begegnung. Das ist überdurchschnittlich, im
       gesamthistorischen Schnitt erreichten die mit dem Adler in ihren 814
       Spielen bislang 1,9214 Punkte pro Auftritt. Im Bundestrainerleben des
       Joachim "Jogi" Löw aber ist das Jahr 2008 unterdurchschnittlich verlaufen.
       Sein Schnitt seit Amtsantritt 2006 liegt bei 2,2647 Punkten pro Spiel. Nun
       müssen wir also abwarten: Es könnte lediglich eine Performancedelle sein.
       Oder aber ein anhaltender Abschwung.
       
       Das Auswahlportfolio: Joachim Löws Personalpolitik ist ein Gewinn -
       zumindest für Visitenkartendrucker. Nach dem England-Spiel dürfen sich auch
       Tim Wiese, Marvin Compper und Marcel Schäfer den Nationalspieler aufs
       Kärtchen schreiben. Mit den dreien hat sich die Zahl der Neulinge im
       EM-Jahr auf acht erhöht - und alle durften sie gegen England vorspielen.
       Adler und Marin, Westermann und Tasci werden wohl auch im kommenden Jahr
       zum Einsatz kommen. Wiese und Compper, Schäfer und Jones bleiben
       Wackelkandidaten. Wenn Löw ein Herz hat, nimmt er den Spätjugendlichen
       Jermaine Jones (27) nochmal mit, damit dessen Nationalkarriere nicht bei 99
       Einsatzminuten stagniert. Die hohe Frischlingsdichte in Berlin war ein
       Zeichen: Der Bundestrainer baut sein Team weiter um und macht das
       turnierfreie 2009 zum Jahr der Jugend. Vielleicht kommt aber auch wieder
       alles anders. Schon der Kader für die EM des vergangenen Sommers bestach
       jenseits jedweder Experimente durch konsequente Restauration.
       
       Die Qualifikationszukunft: Im Jahr 2009 geht es in sechs Partien um die
       WM-Teilnahme. Sollten die Deutschen dabei in Russland verlieren, kann es
       gut sein, dass sie als Gruppenzweite in die Relegation müssen. Das
       Länderspieljahr beginnt am 11. Februar mit einem Testspiel gegen Norwegen.
       Nach dem Desaster vom vergangenen Mittwoch dürfte sich die Vorfreude darauf
       aber in sehr überschaubaren Grenzen halten.
       
       21 Nov 2008
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) H. Heinze
 (DIR) A. Rüttenauer
 (DIR) K. Weber-Klüver
       
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