# taz.de -- Die Armut erreicht die Friedhöfe: Die letzte Wohngemeinschaft
       
       > Friedhöfe verwahrlosen, weil immer mehr Berliner urnenbestattet werden.
       > Der Gegentrend sind die Gräber-WGs.
       
 (IMG) Bild: Ein anonymer Bestattungsort
       
       Der städtische Friedhof in Schöneberg versinkt in diesen Tagen im
       Herbstlaub. Es ist ruhig und leer. Am Wegrand steht ein alter Rasenmäher,
       der schon länger nicht mehr benutzt wurde. Viele Gräber sind unter der
       Blätterschicht kaum mehr zu erkennen, nur die Grabsteine stehen aufrecht.
       Und das in der Woche zwischen Volkstrauertag und Totensonntag.
       
       Gerd Brodzinski, Inhaber der verantwortlichen Friedhofsgärtnerei, kennt das
       Problem: "Die aktuelle Situation auf den Berliner Friedhöfen ist
       katastrophal. Es gibt nicht genug Geld für die Pflege." Im Laufe der
       letzten Jahre habe es immer wieder Kürzungen gegeben, sodass den
       Friedhofsverwaltungen Gelder für Mitarbeiter und Instandhaltung fehlen.
       Laut Brodzinski haben sich in Schöneberg auch schon zahlreiche Angehörige
       über den Zustand des Friedhofs beklagt.
       
       "Wir sind bestrebt, die Situation langfristig zu verbessern", sagt
       Alexander Abel von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Das Problem
       sei, dass es mehr und mehr Urnenbeisetzungen gebe. Die brächten einerseits
       weniger Einnahmen und andererseits größere Leerräume auf den Friedhöfen, so
       Abel. Dies mache die Arbeit der Friedhofsgärtner aufwändiger, als wenn die
       Gräber Reihe in Reihe ständen.
       
       "Inzwischen werden 41 Prozent der Berliner anonym bestattet", bestätigt
       Achim Dick, Geschäftsführer der Friedhof Treuhand Berlin (FTB), den Trend
       zur Billigbestattung. Der Schock komme dann erst später, "wenn die
       Hinterbliebenen an einem festen Ort trauern wollen, aber niemand weiß, an
       welcher Stelle sich die Urne befindet".
       
       Auch Dick beobachtet eine zunehmende Verwilderung der Berliner Friedhöfe.
       Er spricht von einer Entwicklung, die spiegelbildlich für die Gesellschaft
       sei: "Das Mittelfeld bricht weg." Es gebe nur noch wenige Angehörige, die
       großen Wert auf ein aufwändig gepflegtes Grab legen und dafür viel Geld
       ausgeben. Mehr und mehr würden einfache Bodendecker gepflanzt, die schnell
       wachsen und wenig Pflege benötigen.
       
       Rita Rothe betreut die evangelischen Dreifaltigkeits-Friedhöfe in
       Kreuzberg. Auch hier sind "viele Gräber sehr ungepflegt". Bestattung und
       Grabpflege sind nicht billig. Neben den Bestattungskosten von
       durchschnittlich 2.000 Euro kommt auf die Hinterbliebenen eine einmalige
       Friedhofsgebühr von etwa 800 Euro zu. Für die 20-jährige Pflege eines
       Erdgrabes muss man in der einfachsten Version noch einmal mit 4.500 Euro
       rechnen. Eine anonyme Beisetzung der einfachsten Form kostet die
       Angehörigen dagegen nur 730 Euro.
       
       Trotz des hohen Preises befinden sich immer wieder prachtvolle Grabstätten
       zwischen den einfach bepflanzten Gräbern. Umrandet von marmorierten Steinen
       und kleinen Hecken sind frische Blumen in geharkte Erde gepflanzt. Diese
       Gräber werden meist nicht von den Angehörigen, sondern von professionellen
       Friedhofsgärtnern gepflegt. "Komplettpflege" steht dann auf kleinen
       Plastikschildchen, die in der Erde stecken. Doch diese Gräber sind in der
       Minderheit. Die meisten scheinen nicht einmal mehr besucht zu werden.
       "Nutzungsrechte abgelaufen. Angehörige bitte bei der Verwaltung
       vorsprechen", steht dann dort geschrieben.
       
       Lutz Rademacher ist Geschäftsführer der Vertragsgärtnerei für den
       Heidefriedhof in Tempelhof. Dort sind die meisten Blätter schon weggeharkt.
       "Ich habe zum Glück ausreichend qualifizierte Mitarbeiter", sagt er. Fünf
       Friedhofsgärtner kümmern sich um die Gräber. Trotzdem kann auch er die
       Tendenz bestätigen. Von 10.000 Grabstellen auf dem Heidefriedhof werden
       circa 1.500 von seiner Gärtnerei gepflegt. Um die anderen kümmern sich die
       Angehörigen - oder auch nicht.
       
       Dass die Gräber immer weniger gepflegt werden, hat verschiedene Gründe,
       mutmaßt Rademacher. "Viele junge Leute müssen ständig mobil sein. Sie sind
       nicht vor Ort oder haben keine Zeit, sich um die Grabpflege zu kümmern. Und
       die Älteren können das oft körperlich nicht mehr", erklärt er. Dazu komme
       natürlich noch der finanzielle Faktor: "In Zeiten von Hartz IV sparen viele
       da, wo es ihnen nicht direkt wehtut."
       
       Sein Kollege Brodzinski aus Schöneberg vermutet einen tiefergehenden Grund:
       "Die jungen Leute haben keinen Bezug mehr zum Tod. In der Nachkriegszeit
       war das anders", lautet sein Erklärungsversuch. Das sei aber auch ein
       Großstadtproblem. In ländlichen Gegenden, in denen Leute sich näher kennen,
       sei auch der Tod selbstverständlicher - und der soziale Druck, ein Grab
       anständig zu pflegen, größer. Trotzdem werde der Friedhof immer ein Ort der
       Begegnung bleiben, meint der Gärtner. Das sei etwas ganz anderes als zu
       Hause zu trauern. Die anonyme Beerdigung ist seiner Meinung nach "nur aus
       der Not geboren".
       
       Der Wandel der Zeit erfordert also auch neue Bestattungsformen. Seit einem
       Jahr gibt es deswegen die "Ruhegemeinschaften" oder auch "Grab-WGs". Viele
       kleine Steine mit den Namen der Verstorbenen liegen nebeneinander in der
       Erde. Frische Blumen sind darum gereiht. 20 bis 40 Urnen werden dabei
       jeweils an einer Stelle beigesetzt. Im Gegensatz zur anonymen Bestattung
       gibt es hier Platz für eine Namensnennung. Das ist im 20-jährigen
       Pflegepaket inbegriffen. Kostenpunkt: 895 Euro.
       
       Bisher wurden 150 Urnen auf neun Friedhöfen in Ruhegemeinschaften
       beigesetzt. Die Friedhofsgärtner haben damit gute Erfahrungen gemacht. "Die
       Leute sind begeistert", sagt Gerd Brodzinski. "Die Angehörigen müssen nicht
       kommen - außer sie wollen." Und auch bei den Gärtnern finden die Grab-WGs
       Anklang. Denn die werden von ihnen gepflegt und tragen zum besseren
       Erscheinungsbild der Friedhöfe bei. Janine Lamann
       
       22 Nov 2008
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Janine Lamann
       
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 (DIR) Obdachlosigkeit
       
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