# taz.de -- Gewalt gegen Frauen: Ein Hauch von Optimismus
       
       > Auch in ruhigeren Zeiten werden im Kongo täglich Frauen vergewaltig und
       > nur wenige Täter angezeigt und verurteilt. Gründe gibt es viele -
       > manchmal auch Hoffnung.
       
 (IMG) Bild: Vergewaltigungen sind im Kongo grausamer Alltag: Kongolesin bei Nachuntersuchung.
       
       In das Büro von Militärstaatsanwalt Jean-Blaise Bwa Mulundu passen gerade
       mal ein Tisch, zwei Stühle und einige Kartons Kopierpapier. Das baufällige
       Haus stinkt nach Urin, die Wände schimmeln. Vor der Tür steht ein löchriges
       Armeezelt: Aus Platzmangel müssen die Vernehmungen im Freien stattfinden,
       auch heute warten ein Dutzend Personen. Die Zeit können sie sich damit
       vertreiben, den anderen Verhören zu lauschen. "So ist doch keine
       Geheimhaltung möglich", klagt Bwa Mulundu. Zielsicher greift er nach einer
       Akte. "Eben war bereits eine amerikanische Forscherin hier, die sich für
       die Vergewaltigungen interessiert", erklärt er süffisant. "Deshalb habe ich
       die Zahlen schon parat."
       
       Bwa Mulundu weiß, dass auf seinem Amt die Hoffnung ruht, Vergewaltigungen
       in der Provinz Nord-Kivu im östlichen Kongo wenigstens einzudämmen. Seine
       Arbeit, die Strafverfolgung der Täter, ist westlichen Geldgebern etwas
       wert. Und das bedeutet: Vielleicht kann Bwa Mulundu von seinem engen Büro
       bald in einen international gesponserten Neubau umziehen. Vielleicht erhält
       er ein Fahrzeug, um Tatorte zu besichtigen, und vielleicht kann er auch
       bald Prämien für besonders effiziente Arbeit einstreichen. "Dies wurde uns
       versprochen, aber bislang scheinen sich die internationalen Helfer vor
       allem selbst zu bereichern."
       
       Als Militärstaatsanwalt in der Provinzhauptstadt Goma soll er Vergehen von
       Soldaten ahnden. Im östlichen Kongo ist dies eine enorme Aufgabe. Denn die
       kongolesische Armee ist zwar militärisch in Teilen nicht funktionsfähig.
       Dafür richten die unbezahlten und unversorgten Soldaten ihre Waffen oft auf
       Zivilisten und nehmen sich, was sie wollen: Lebensmittel, Wertgegenstände,
       aber eben auch Frauen und Mädchen. Ende Oktober ergriff die Armee die
       Flucht vor anrückenden Rebellen, die erst kurz vor der Stadt ihren
       Vormarsch stoppten. Die Regierungssoldaten nutzten das Chaos zu
       Plünderungen, Vergewaltigungen, Morden. Wieder kamen Dutzende vergewaltigte
       Frauen und Kinder in die Gesundheitsstationen.
       
       "Viele Opfer fühlen sich isoliert, auch weil Familien und
       Dorfgemeinschaften vergewaltigte Frauen nicht wieder aufnehmen wollen",
       klagt Ruffine Nsimire, eine Mitarbeiterin von Heal Africa. "Deshalb bieten
       wir neben der medizinischen Hilfe auch das Erlernen eines Handwerks an. Und
       wir gehen in die Dörfer, um aufzuklären." Im Hof des Hospitals in Goma
       herrscht auf den ersten Blick eine entspannte Stimmung: Zwischen den
       Unterkunftsbaracken wird gekocht und palavert, Kinder spielen. Erst auf den
       zweiten Blick entdeckt man diejenigen, die teilnahmslos herumsitzen.
       
       "Wir geben durchaus Fälle an eine Anwaltsorganisation weiter", erklärt
       Nsimire. "Aber viele Frauen wollen das nicht. Sie bevorzugen es, wenn die
       Dorfvorstände eine einvernehmliche Schlichtung arrangieren." Die Familien
       von Vergewaltigten werden dann mit etwas Geld oder Nutztieren entschädigt,
       eine Praxis, in die gelegentlich auch Offiziere der Armee einwilligen.
       Immerhin springt dabei zumindest materiell mehr heraus, als die Opfer von
       der Justiz erwarten können: Zwar werden Beschuldigte neben einer
       Gefängnisstrafe auch zu Entschädigungszahlungen an ihre Opfer verurteilt.
       Da aber die meisten Täter genauso mittellos sind wie ihre Opfer, sind diese
       Urteile das Papier nicht wert, auf dem sie niedergeschrieben werden. Vielen
       gelingt es ohnehin, sich durch Bestechung freikaufen.
       
       Die Zahl der Vergewaltigungsopfer ist selbst in Monaten, in denen es zu
       relativ wenigen Kampfhandlungen kommt, erschreckend hoch. Bei einer Umfrage
       der Universität Berkeley gaben in der Provinz Nord-Kivu 13 Prozent der
       erwachsenen Befragten an, mindestens einmal sexuell missbraucht worden zu
       sein. Unter den nicht in die Studie einbezogenen minderjährigen Mädchen,
       der am stärksten betroffenen Gruppe, dürfte der Anteil noch höher sein.
       Allein in die Einrichtungen von Heal Africa kamen im Juli 386 Patientinnen.
       59 von ihnen gaben an, von Regierungssoldaten bedrängt worden zu sein.
       Damit war die Armee die größte organisierte Tätergruppe, dicht gefolgt von
       den verschiedenen Rebellengruppen im Nord-Kivu.
       
       Militärstaatsanwalt Bwa Mulundu kann nur einen Bruchteil der Fälle ahnden:
       Im gesamten letzten Jahr wurden ihm bloß 26 Fälle von sexueller Gewalt
       durch Soldaten und Polizisten angezeigt. Zehn Täter wurden verurteilt, alle
       zur Höchststrafe von 20 Jahren. Die übrigen Anzeigen kamen noch nicht zur
       Verhandlung oder endeten mit Freisprüchen. Angesprochen auf die merkwürdige
       Diskrepanz, erhebt der Staatsanwalt einen bösen Vorwurf: "Die Helfer mögen
       hohe Zahlen, um mehr Mittel zu erhalten. Die NGOs sollen die Opfer hierher
       schicken. Der einzige Weg im Kampf gegen die sexuelle Gewalt ist eine
       Anzeige!"
       
       Auch Julien Attakla-Ayinon ist der Meinung, dass die Hilfsorganisationen
       nicht genügend mit der einheimischen Justiz zusammenarbeiten. "Keiner soll
       mir erzählen, dass bei dieser großen Zahl niemand Anzeige erstattet", sagt
       der Mitarbeiter der Menschenrechtsabteilung der UN-Friedensmission.
       Attakla-Ayinons Ärger über die NGOs fügt sich in das Bild, dass die so
       genannte "internationale Gemeinschaft" im Kongo insgesamt abgibt: Obwohl
       die Helfer darin übereinstimmen, auf eine friedlichere Gesellschaft
       hinzuarbeiten, fällt Kooperation oft schwer.
       
       Die Hilfsorganisationen konzentrieren sich auf körperliche, psychische und
       materielle Hilfe. Die Vergewaltigten zur Anzeige zu drängen, steht auf
       ihrer Prioritätenliste weit hinten. Ayinon-Atakla versteht diese Bedenken,
       meint aber, dass trotzdem mehr getan werden müsste. Die Bestrafung der
       Täter, sinniert der UN-Angehörige aus dem westafrikanischen Benin, würde
       nicht nur den Opfern zu ihrem Recht verhelfen, sondern auch abschreckend
       wirken. Doch er weiß selbst, dass es noch ein weiter Weg ist, bis der
       kongolesische Staat die Gesetze durchsetzt, gerade auch gegen die eigenen
       Organe.
       
       Der UN-Menschenrechtsabteilung bleibt nur, die Verbrechen zu dokumentieren.
       Ihre Dossiers geben sie an die zuständigen Staatsanwälte. Doch schnell
       stößt die UN bei der kongolesischen Justiz an Grenzen. "Wir fordern, dass
       ein Verfahren eröffnet wird, stellen dem Staatsanwalt auch Transportmittel
       zur Verfügung. Trotzdem passiert oft wochenlang nichts," erzählt
       Ayinon-Atakla. "Dann schicken wir einen Brief. So wissen die Beamten
       wenigstens, dass wir wissen, dass nichts geschieht."
       
       Über die Gründe für die Untätigkeit ist sich Ayinon-Atakla nicht ganz
       sicher. Ist es schiere Gleichgültigkeit? Eine Kultur der Korruption?
       Mangelnde Bezahlung, wie die Justizbeamten selbst behaupten? "Das ganze
       Land funktioniert nicht, deshalb sind wir ja hier." Als Afrikaner ist er
       sich der feinen Linie zwischen Unterstützung und Fremdbestimmung bewusst.
       "Ich kann nicht wie ein Kolonialherr auftreten und sagen: Geh an die
       Arbeit! Es geht immer nur mit sanften Mitteln: Wir drängen, drängen,
       drängen."
       
       Damit gibt er einen verbreiteten Tenor wieder. Es macht auch keinen
       Unterschied, ob die Mitarbeiter der internationalen Organisationen selbst
       Kongolesen sind. Delphin Bulambo etwa ist der stellvertretende Direktor von
       Rejusco, der von der Europäischen Union finanzierten Agentur zur Reform des
       Justizwesens. Der Jurist aus der Landeshauptstadt Kinshasa hat schon einige
       Jahre Erfahrung in diesem Bereich. "Früher haben wir den Justizbeamten
       einen Aufschlag zu ihrem Gehalt bezahlt, um Korruption unnötig zu machen.
       Aber das war nicht motivierend", resümiert er. "Jetzt planen wir eine
       leistungsbezogene Prämie." Beim Blick auf die Rejusco-Residenz wird klar,
       warum der Militärstaatsanwalt die Aufbauhelfer verdächtigt, in die eigene
       Tasche zu wirtschaften: Die Villa im besten Viertel von Goma ist
       außerordentlich geräumig, frisch renoviert, und auf jedem Schreibtisch
       glänzt ein Laptop. Der Kontrast zur Ruine der Militärstaatsanwaltschaft
       könnte kaum größer sein. Der Vorwurf des Staatsanwalts, nur leere
       Versprechungen zu machen, entlockt Bulambo nur einen Seufzer: "Das Problem
       sind die fehlenden Kontrollmechanismen, die im kongolesischen Gesetz zwar
       vorgesehen, aber nicht eingerichtet sind. Wir können die Arbeit der
       Behörden ja nicht selbst überprüfen."
       
       Immerhin, es gibt Optimisten: Die jungen Anwälte Eugène Buzake und Masiala
       Mulahuko vertreten Opfer von sexueller Gewalt vor Gericht. Ihrer Meinung
       nach verbessern sich die Dinge allmählich. Als sie 2003 mit ihrer Arbeit
       begannen, war die Staatsanwaltschaft noch in der Hand der Rebellengruppe,
       die damals Goma beherrschte. Bei ihrem ersten Fall, einem vergewaltigten
       jungen Mädchen, mussten sie sogar die Stadt verlassen: Der Täter hatte gute
       Verbindungen zu den Rebellen und ließ die Anwälte bedrohen. Zur neuen
       Obrigkeit pflegen sie ein freundliches Verhältnis. Deren
       Ermittlungsfähigkeiten seien allerdings begrenzt. "Oft fragen die Ermittler
       uns, wer denn die Täter sind", sagt Buzake. "Sie haben weder die passende
       Ausbildung noch genügend Mittel, um ernsthaft nachzuforschen."
       
       Es sei aber deutlich, dass die Staatsanwaltschaften sich bemühten und auch
       die Richter sehr hohe Strafen mit Signalwirkung verhängten, so der junge
       Anwalt. "Früher wurde sexuelle Gewalt als Kavaliersdelikt betrachtet,
       vielleicht sogar als etwas Normales. Das ist nun anders, auch durch den
       internationalen Druck." Seit in fast allen größeren Dörfern
       Gesundheitszentren eingerichtet worden sind, werden mehr Fälle bekannt.
       Dies sei auch ein Zeichen, meint Buzake, dass die gesellschaftliche Ächtung
       der Opfer zurückgehe. "Viele verschweigen noch immer, was ihnen passiert
       ist. Aber allmählich entsteht aus der Gesellschaft heraus selbst eine
       soziale Bewegung gegen sexuelle Gewalt, die die Opfer in Schutz nimmt."
       
       24 Nov 2008
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Alex Veit
       
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