# taz.de -- Hygieneexperte übers Desinfizieren: "Ein Klo muss Keime haben"
       
       > Er hat das Bundesverdienstkreuz, den Deutschen Umweltpreis und den
       > Sonderpreis "Ökomanager des Jahres" erhalten. Jetzt kämpft Franz Daschner
       > dafür, dass sich Ärzte ordentlich die Hände waschen.
       
 (IMG) Bild: Lieber ohne Sagrotan: Im Klo dürfen sich die Keime gefahrenlos tummeln.
       
       taz: Herr Daschner, sind Ärzte beim Händewaschen wie kleine Kinder? 
       
       Franz Daschner: Das mit dem Händewaschen ist tatsächlich fast ein
       soziologisches Problem. Bei meinen kleinen Enkeln muss ich nach dem
       Spielplatz immer wieder mahnen: Geht Hände waschen! So ist es mit den
       Ärzten im Krankenhaus auch.
       
       Wie nachlässig sind die Ärzte denn? 
       
       In 30 bis 40 von hundert Fällen desinfizieren sie ihre Hände nicht richtig
       - das ist leider weltweit so. Die Händedesinfektion ist die am häufigsten
       vernachlässigte Maßnahme in Krankenhäusern. Dabei ist sie das
       Allerwichtigste überhaupt. Denn die meisten Keime werden über die Hände an
       die Patienten übertragen.
       
       Sie haben jahrelang als Hygienefacharzt das Institut für Umweltmedizin und
       Krankenhaushygiene an der Uniklinik Freiburg geleitet. Warum konnten Sie
       den Ärzten nicht mehr Hygiene beibringen? 
       
       Das ist bei vielen Ärzten und Pflegekräften im Unterbewusstsein noch nicht
       angekommen. Man muss sie immer wieder darauf ansprechen und ermahnen, wie
       die Kirche beim sechsten Gebot. Zum Teil liegt das an Unwissenheit, dann
       Faulheit, Zeitmangel - oder die Angst der Leute davor, ihre Uhren oder
       Ringe durch das Desinfektionsmittel zu beschädigen. Ich sage deswegen ja
       immer: Macht in der Arbeit den Schmuck ab!
       
       Ärzte erzählen oft, dass die Hände rissig und spröde werden, wenn man sie
       nach jedem Patienten 30 Sekunden desinfiziert. 
       
       Stimmt, man muss zugeben, dass das alkoholhaltige Desinfektionsmittel mit
       seinen Farb- und Duftstoffen auch stark die Haut angreift. An meiner Klinik
       haben wir diese Stoffe erst mal aus dem Mittel entfernt.
       Desinfektionsmittel müssen ja nicht blau oder grün sein oder gut riechen.
       Aber eins muss man auch sagen: Die Männer könnten sich ruhig öfter die
       Hände eincremen, um sie vor den Mitteln zu schützen. Frauen haben uns die
       Hautpflege voraus.
       
       Wie gefährlich können denn die Krankenhauskeime für die Patienten werden? 
       
       Die häufigsten Krankenhausinfektionen, die durch die Keime entstehen
       können, sind Lungenentzündung, Blutvergiftung, Harnwegsinfektion und
       Wundinfektion. Sie machen rund 80 Prozent der Infektionen aus.
       
       800.000 dieser Infektionen soll es jährlich geben, kommen alle Keime über
       die Hände des Personals? 
       
       Tatsächlich werden die meisten Keime generell über die Hände übertragen. In
       den Hygienerichtlinien der Kliniken steht zwar immer, man soll seinen
       Arztkittel mit der Außenseite zur Wand hängen, wenn man einen infektiösen
       Patienten behandelt hat, und das Stethoskop desinfizieren. Das ist aber
       alles vergleichsweise nebensächlich. Die Hände sind das größte Problem.
       
       Wie kommen die Keime in den Menschen? 
       
       Eine Wundinfektion passiert meistens im Operationssaal. Der Keim muss
       hineinfallen oder hineingebracht werden. Zum Beispiel bei einer
       Hüftimplantation passiert es so: Der Patient hat auf der Haut normalerweise
       Keime. Die Haut wird natürlich vor der OP desinfiziert - aber beim
       Aufschneiden sitzen in den Ausgängen der Schweißdrüsen noch
       Krankheitserreger, da ist es unvermeidbar, dass sie in die Tiefe gelangen.
       Und in 5 bis 10 Prozent der Fälle von Dickdarmoperationen kommt es zu einer
       Wundinfektion, die unvermeidbar ist - weil im Darm bei jedem Menschen Keime
       sind, die man nicht einfach entfernen kann.
       
       Viele Krankenhausinfektionen sind also bei Menschen, die sich operieren
       lassen, vorprogrammiert? 
       
       Ja, 70 Prozent der Infektionen sind selbst mit den besten Methoden der
       Hygiene nicht vermeidbar. Aber das eine Drittel, das übrig bleibt, kann und
       muss man verhindern. Vor allem auch, weil durch schlechte Hygiene auch
       Krankheitserreger, die gegen Antibiotika resistent sind, immer weiter
       verbreitet werden - zum Beispiel so genannte MRSA-Erreger.
       
       Warum sind die so gefährlich? 
       
       Wenn ein MRSA-Keim durch die Luftröhre in die Lunge kommt oder durch eine
       offene Wunde in den Knochen, ist das furchtbar: Es gibt nur noch wenige
       Antibiotika, die dagegen helfen - weil der Keim schon resistent geworden
       ist. Die wenigen wirksamen Antibiotika sind sehr teuer für das Krankenhaus.
       Und sie haben nicht selten schwere Nebenwirkungen für den Patienten. Durch
       Hygienemangel in Krankenhäusern verbreitet sich der MRSA - von Stadt zu
       Stadt, von Osteuropa nach Westen oder von England auf den Kontinent.
       
       Spielt da nicht auch eine Rolle, dass die Menschen zu oft Antibiotika
       nehmen, auch wenn sie nur eine kleine Erkältung haben? 
       
       Leider werden Antibiotika mindestens zu einem Drittel von Ärzten in
       Krankenhäusern und Praxen unnötig verschrieben - dadurch wird der
       MRSA-Erreger immer resistenter. Jeder sollte darüber nachdenken, wenn er so
       ein Rezept bekommt. Allerdings: Wäre die Krankenhaushygiene angemessen,
       käme der Erreger gar nicht erst in die Wunden und könnte nicht so viel
       Schaden anrichten.
       
       Sie haben mehrere Umweltpreise bekommen. Wie hängt das mit Ihrer Aufgabe
       der Desinfektion im Krankenhaus zusammen? 
       
       Viele Desinfektionsmittel, die ins Abwasser geschüttet werden, sind von den
       Inhaltsstoffen her sehr schlecht abbaubar. In deutschen Krankenhäusern
       werden sie sogar zu stark eingesetzt - und zwar im Bereich der
       Flächendesinfektion, das heißt auf dem Boden oder an den Wänden. Das ist
       alles schlecht für die Umwelt.
       
       Wie bitte, Sie prangern zu viel Reinigung im Krankenhaus an? 
       
       Moment! Reinigen sollten die Kliniken, dass es glänzt. Ich bin gegen zu
       viel Desinfektion. In den meisten Fällen ist zum Beispiel eine Desinfektion
       des Bodens überflüssig. Man weiß mittlerweile, dass Krankenhausinfektionen
       nicht vom Boden kommen. Die Ärzte bücken sich ja nicht und reiben ihre
       Hände auf dem Flur. Aber so eine Einstellung gegen Bodendesinfizierung
       bringt einem nicht nur Umweltpreise. Ich wurde dafür auch schwer
       angefeindet von Kollegen.
       
       Warum? 
       
       Ich sage nur so viel: Flächendesinfektion ist ein großer Markt, daran sind
       viele Hygienefachärzte als Gutachter beteiligt.
       
       Wie sieht es denn mit der Sauberkeit im privaten Haushalt aus, da gibt es
       doch auch überall Keime, oder? 
       
       Zu Hause gibt es überall Keime. Auf dem Boden sind auf 10
       Quadratzentimetern mindestens 500 davon.
       
       Aber es werden immer mehr Reinigungsmittel, die Bakterien und Keime töten
       sollen, in den Drogerien verkauft. 
       
       Das ist alles Mist. Im Haushalt muss nur auf Anordnung eines Arztes
       desinfiziert werden, wenn ein Patient eine meldepflichtige Erkrankung hat,
       die Epidemien auslösen kann - etwa Salmonellen. Aber unter normalen
       Umständen ist das nichts anderes als ein Werbegag. Ein normaler
       Scheuerlappen mit Seife kann die Haushaltskeime so weit reduzieren, dass
       sie nicht infektiös sind. Die Menschen vergessen vor lauter Angst vor
       Keimen oft: Haushaltskeime gehören zu uns, die meisten machen nicht krank.
       
       Auch nicht in der Toilette? 
       
       Wenn es irgendwo Keime geben sollte, dann doch wohl im Bad. Ein Klo muss
       Keime haben - die muss man nicht desinfizieren, und die tun auch nichts! Im
       Gegenteil, Desinfektionsmittel, die man in die Toilette schüttet und
       runterspült, sind sehr umweltschädlich.
       
       Wie sieht es denn bei Säuglingen aus, müssen Eltern da nicht besonders
       vorsichtig sein? 
       
       Es ist andersherum. Kinder müssen sogar mit Haushalts- und Umgebungskeimen
       aufwachsen, denn so immunisieren sie sich und entwickeln Antikörper. Wenn
       Säuglinge in einer desinfizierten Umgebung aufwachsen, bekommen sie später
       häufiger Infektionen. Das haben Studien längst gezeigt. Ein Kleinkind, das
       auf dem Spielplatz einen Löffel Sand isst - das ist kein Problem. Und wenn
       der Nuckel auf den Boden fällt und man ihn dann mal ohne vorheriges
       Abwaschen in den Mund steckt, wird der Säugling davon nicht gleich krank.
       
       Dann kann man auch mit seinen Haustieren unbeschwert kuscheln und Kekse
       teilen? 
       
       Das nun doch nicht. Von einem Hund würde ich mich nicht abschlecken lassen,
       denn der könnte tatsächlich Keime haben, die dem Menschen schaden können.
       
       Herr Daschner, Sie sind bereits im Ruhestand. Aber die Keime lassen Sie
       nicht los? 
       
       Wenn Sie mich als Student gefragt hätten, ob ich Hygienefacharzt werden
       will, hätte ich gefragt: Halten Sie mich für bescheuert? Ich will mich doch
       nicht mit Klos beschäftigen. Ich war auch zuerst Kinderarzt und habe mich
       damit habilitiert. Aber dann bin ich eher zufällig auf Krankenhaushygiene
       umgestiegen. Denn die Welt der Keime ist faszinierend - was die alles
       können! Die Forschung darüber ist intellektuell äußerst anregend.
       
       Findet das der medizinische Nachwuchs auch? 
       
       Leider stehen Hygieniker nicht unbedingt an der Spitze der
       Beliebtheitsskala - es gibt kaum junge Ärzte, die nachrücken wollen. Ein
       Hygieniker ist ja wie ein Pfarrer.
       
       Warum? 
       
       Er muss immer ermahnen: Wascht euch die Hände. Zieht euch ordentlich die
       Kittel an. Das ist ein ständiges Teaching, Überwachen, Ermahnen. Auch wenn
       es in jedem Krankenhaus einen Facharzt geben müsste - es gibt eindeutig zu
       wenige, die das machen wollen.
       
       Keinerlei Begeisterung für Desinfektionsforschung? 
       
       Doch, manchmal schon. In meinem Institut wurde gerade eine Innovation
       eingesetzt: Desinfektionsfläschchen mit farb- und duftstofffreien Mitteln.
       Man kann diese kleinen Spender wie einen Kuli an den Kittel stecken. Da
       sind grade alle am Freiburger Klinikum stolz drauf und tragen sie immer mit
       sich herum!
       
       INTERVIEW: NICOLE JANZ
       
       1 Dec 2008
       
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