# taz.de -- David Bowies Berliner Jahre: Müsli, Nazis und Kokain
       
       > Gut, aber zu bildungshuberisch schreibt "FAZ"-Redakteur Tobias Rüther
       > über Bowies Berliner Jahre. Und meint, der habe sich wie Berlin an sich
       > selbst berauscht und aus Größenwahn ruiniert.
       
 (IMG) Bild: Verkörperte über Jahrzehnte authentisch-antiauthentische Dandyutopie: David Bowie.
       
       Zweimal in seiner Geschichte war Berlin die Hauptstadt der Popmusik: ein
       paar Jahre in den Neunzigern, als Techno der Sound der Wiedervereinigung
       war, und zwischen 1976 und 1978, als David Bowie mit Iggy Pop in Schöneberg
       in der Hauptstraße 155 wohnte und mit Hilfe von Brian Eno drei
       revolutionäre Alben einspielte - "Low", "Heroes" und "Lodger" - , die als
       "Berliner Trilogie" in die Musikgeschichte eingegangen sind.
       
       Damals war Tobias Rüther gerade sechs. Nun hat der FAZ-Redakteur ein Buch
       über diese Zeit geschrieben. "Helden - David Bowie in Berlin" ist ein
       umfangreicher Essay, der aufzeigt, wie sich Westberlin und der Popstar auf
       der Suche nach einem Neuanfang ideal ergänzten. Der Mann, der sich immer
       wieder neu erfand, kam in die Stadt, die nie ist, sondern nur wird. "Wie
       Bowie hat sich Berlin an sich selbst berauscht und aus Größenwahn
       ruiniert", heißt es irgendwann. Darüber, wie ruiniert Bowie nach seinen
       diversen Verwandlungen tatsächlich war, kann nur spekuliert werden. Er war
       recht dünn. Seine letzte Verkörperung, der Thin White Duke der
       Station-to-Station-Zeit, hatte sich angeblich nur von Milch und Kokain
       ernährt. Zwar gibt es auch allerlei Drogenanekdoten von Bowie in Berlin,
       doch unter Experten gilt der Aufenthalt als Phase der Genesung. Angeblich
       habe er sogar Müsli am Morgen gegessen.
       
       Mit Fleiß hat Rüther Material zusammengetragen, mit Zeitzeugen gesprochen,
       analysiert die drei Platten, skizziert ihren Stellenwert im Werk, die zwei
       Iggy-Pop-Alben ("The Idiot" und "Lust For Life") werden auch nicht
       vergessen, die Bowie teils oder vollständig in Berlin produziert hatte. Er
       schreibt über Bowies Koketterie mit dem Faschismus (die dazu führte, dass
       es Nazi-Bootlegs von Bowie gibt), erläutert die missverständlichen Zitate
       und Posen. Bowies Versuche als Maler werden erläutert und ein paar
       Anekdoten erzählt.
       
       Im Nachhinein scheint alles kunstgeschichtsmäßig ordentlich eingeordnet,
       zitatetechnisch abgesichert und logisch miteinander verknüpft, was im
       Moment des Geschehens teils Zufall, teils Pose war. Das Buch ist
       verdienstvoll, die Passagen über den Einfluss von Krautrock auf Bowie sind
       richtig gut - aber das Bildungshuberische nervt zuweilen. Rüther ist der
       Versuchung erlegen, ständig Geistesgrößen zitieren zu müssen, als gelte es,
       vor einem neugierigen, aber doch konservativen Doktorvater bestehen zu
       müssen.
       
       Vor allem auch, weil er Dinge vergisst oder nicht weiß, die wichtiger
       wären: etwa, dass es zu dem als skandalös empfundene Bekenntnis Bowies von
       1972 "ich bin schwul" (eigentlich: bi), ein nicht minder skandalöses
       Gegenzitat aus der "Lets Dance"-Zeit gibt, sinngemäß: Ich bin nicht schwul
       und war es auch nie. Zwar erinnert Rüther an bestimmte Sachverhalte - die
       sozusagen authentisch-antiauthentische Dandyutopie, die Bowie verkörperte -
       und beschreibt den kulturellen Wechsel, für den Bowie in Berlin stand. Aber
       eben nicht genau: Die emanzipatorische Bedeutung des Popstars fehlt, dessen
       Spiel mit Verkleidungen und Geschlechterrollen nicht nur chic war, sondern
       auch vielen Mut machte, die sich nicht so recht heimisch in ihrer
       Geschlechterrolle fühlten. Zu viel Bildung. Zu wenig Emotion.
       
       DETLEF KUHLBRODT
       
       5 Jan 2009
       
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