# taz.de -- Neuer Lars-von-Trier-Film "The Boss of It All": Am Ende entscheidet der Computer
       
       > Lars von Triers neuer Film "The Boss of It All" spielt unter Hysterikern
       > im IT-Gewerbe. Zwang zur Harmonie hält er für eine Lebenslüge der Dänen -
       > und für eine gute Basis für Komödien.
       
 (IMG) Bild: Am Ende eine doch nicht so berechenbare Komödie: Filmszene aus "The Boss of It All".
       
       Antonio Stavros Gambini ist ein Autor von absurden Dramen wie dem Einakter
       "Die gehängte Katze". Der erfolglose Schauspieler Kristoffer glaubt an ihn.
       Er dient einer höheren Sache: dem absoluten Imperativ der Treue gegenüber
       der gespielten Figur, wie Gambini sie lehrt. Die Thesen dieses Gambini, den
       sich Lars von Trier für "The Boss of It All", schon wieder einen
       theatertheoretischen Film, ausgedacht hat, werden zwar nie ganz kohärent.
       Aber es scheint sich um einen radikalen Authentizismus, irgendwo zwischen
       Artaud und Strasberg, zu handeln, wie er von den mittleren 50er-Jahren bis
       zu den mittleren 60ern, dem Lieblingstheaterjahrzehnt des dänischen
       Regisseurs, so verbreitet war. "Das Theater", so sagt der fiktive Autor von
       "Stadt ohne Schornsteine" einmal, "beginnt dort, wo das Theater endet."
       
       Für den in der Wolle seiner skandinavischen Pullover gefärbten
       Authentizisten Kristoffer ist es Ehrensache, ein Angebot anzunehmen, das
       von ihm verlangt, eine Rolle in der Wirklichkeit zu spielen. Gambini wäre
       stolz auf ihn. Kristoffer soll in einem IT-Betrieb die Rolle des ständig
       abwesenden Chefs übernehmen. Der wahre Inhaber, ein harmoniesüchtiger
       Knuddelbär namens Ravn, der seine Angestellten betrügt und um jeden Preis
       beliebt sein will, hatte den exzentrischen, in den USA versteckten Boss
       erfunden und ihm alle unangenehmen Entscheidungen zugeschustert.
       
       Die Parallele zum abwesenden Autor, auf den Regisseure sich für die
       Begründung ihrer Willkürakte berufen, ist natürlich beabsichtigt. Und auch
       Lars von Trier arbeitet, wie von René Pollesch bis Ricky Gervais viele
       Regisseure zwischen TV und Theater, mit der Idee, dass in der heutigen
       Büro-Arbeitswelt nicht mehr Masken getragen werden, sondern
       Authentizitätsperformances abgehen wie im alten Avantgarde-Theater.
       
       Bald erfährt Kristoffer auch, was ihm Ravn vorenthalten hat. Im Namen des
       ominösen großen Anderen aus Amerika hatte Ravn seine Mitarbeiter
       gewohnheitsgemäß über zum Teil äußerst persönliche E-Mails gesteuert und
       gegeneinander ausgespielt. Die plötzliche Fleischwerdung der Fiktion vor
       der ganzen Firma hat massive Folgen: Sex auf Schreibtischplatten,
       gebrochene Heiratsversprechen und wohlgesetzte Boxhiebe.
       
       Ravn versucht derweil, den ganzen Laden samt Software-Lizenzen an einen
       Exzentriker, einen isländischen, Dänen hassenden Unternehmer zu verhökern.
       Dieser ewig die Edda zitierende, übellaunige, postkoloniale Patriot will
       sich für die dänische Besatzung rächen und wird von dem isländischen
       Regisseur Fridrik Thor Fridriksson dargestellt, der auch im wirklichen
       Leben nicht ganz unähnliche Ideen verfolgt.
       
       Von Triers Sinn für Humor beschränkt sich nicht auf die berechenbare (und
       am Ende doch nicht so berechenbare) Komödie, die er mit Dialogen zwischen
       begriffsstutzigen und als ebenso empfindlich wie phlegmatisch karikierten
       Dänen lakonisch erzählt. Er hält das leise vor sich hin bröckelnde
       Niedergangspanorama mit Zwangscharaktern und Hysterikern auch für genau
       zeitgemäß. Es treffe die dänischen Gegenwartsverhältnisse, vor allem die
       laut von Trier zentrale dänische Lebenslüge eines unbedingten
       Harmlosigkeitsdiktats mit Harmoniezwang. Diese wird von dem Film zum einen
       gezeigt, zum anderen verdoppelt.
       
       So erschienen auch die Selbstdistanzierungen, die von Trier ständig
       einschiebt, zunächst als ein Teil des von ihm dargestellten Problems,
       triebe er sie nicht bis zu einer doppelten Negation der trüben Theaterlogik
       und damit zu einer Verschärfung der Darstellung. Er erniedrigt den ganzen
       muffigen Bürostoff, indem er ihn fast ausschließlich in langweiligen
       Innenräumen dreht. Nur die Strategiebesprechungen zwischen Ravn und
       Kristoffer spielen an ausgesuchten Schauplätzen der Kopenhagener Realität.
       Da wird bei einem Treffpunkt im Zoo von jemandem geredet, der ein
       unglaubliches Gedächtnis hätte, während man dazu missraten kadrierte Bilder
       von einem Elefanten sieht. Ravn ringt nach Worten und sagt tatsächlich:
       "Äh, äh, wie ein Elefant." Das ist natürlich groß.
       
       Doch auch von dem Genre des bilderdummen, hässlichen Fernsehfilms, das
       automatisch zu entstehen droht, wenn man in Büroräumen dreht, gibt es eine
       Distanzierung. Von Trier arbeitet, angeblich, mit einem Verfahren namens
       "Automatovision": Man konstruiert eine Einstellung, dann gibt man die in
       ein Zufallsprogramm ein, das diese sinnlos modifiziert. Das fällt einem
       nicht sehr stark auf.
       
       Zwischen all den krumpligen Jump-Cuts kauft man auch den Rest des leicht
       beknackten Looks als einen weiteren Dogma-Trick mit ein, dessen Ergebnis
       aussieht wie missglückt hässliches Fernsehen: doppelt negierte Telenovela.
       Aber man rechnet das Fremdartige der Bildausschnitte, anders als bei der in
       mancher Hinsicht verwandten Fernsehserie "The Office" von Ricky Gervais,
       nicht einer handgehaltenen Kamera zu. Man fühlt sich vielmehr ideal
       eingestimmt in Version 2.0 des alten skandinavischen Lieblingsthemas der
       Lebenslüge. Nur dass, anders als bei Ibsen, nicht mehr eine Wahrheit hinter
       der Lüge und ein echter Mensch hinter der Maske steckt, sondern immer
       wieder neue Bosse, die die handelnden Bosse dirigieren: eine endlose
       Befehlskette von unfähigen Regisseuren, Masken hinter Masken und am Ende
       ein Computer, der über Bildausschnitte entscheidet.
       
       13 Jan 2009
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Diedrich Diederichsen
       
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