# taz.de -- US-Independent-Kino im Forum: Der Sommer mit Al
       
       > Nuscheln wie daheim auf dem Sofa: Wer Freunde hat, kommt leichter voran
       > im US-Independent-Kino. "The Exploding Girl", "Marin Blue", "Beeswax" und
       > "Sweetgrass" im Forum.
       
 (IMG) Bild: "Mumblecore" ist angesagt: Freunde hängen miteinander rum und erzählen sich was aus ihrem Leben. Szene aus "Beeswax".
       
       Gedächtnisverluste, Schlafanfälle, Rollstühle: Im unabhängigen
       US-amerikanischen Kino, wie es das Internationale Forum des Jungen Films in
       diesem Jahr präsentiert, sind die Figuren trotz oder wegen ihrer
       körperlicher Einschränkungen immer auf der Suche: nach sich, nach
       Gerechtigkeit, nach der wahren Liebe. Wer Freunde hat, kommt dabei leichter
       voran.
       
       Die Studentin Ivy (Zoe Kazan) erlebt einen Sommer im Haus ihrer Mutter. Mit
       ihr ist Al (Mark Rendall), ihr Schulfreund aus Kindertagen. Er kommt über
       die Semesterferien bei Ivy und ihrer Mutter unter. Zusammen ausgehen,
       rumhängen, durch den Park spazieren, Karten spielen, so verbringen die
       beiden diese Sommerwochen.
       
       Ein Wunder gelingt 
       
       Ivy ist mit Greg zusammen, oder glaubt das zumindest. Der ist nur durchs
       Telefon präsent und irgendwann nicht einmal mehr das. Als die Trennung
       ausgesprochen wird, erzählt Ivy niemandem davon. Als Epileptikerin musste
       sie sich angewöhnen, ihre Gefühle unter Kontrolle zu halten, um Stress zu
       vermeiden. Dass Al der sein könnte, der am besten in ihr Leben passt,
       begreift sie erst allmählich.
       
       Mit "The Exploding Girl" gelingt Regisseur Bradley Rust Gray das gar nicht
       so kleine Wunder, die altbekannte Geschichte "girl meets boy" so zu
       erzählen, als würde man sie zum ersten Mal erleben. Einfühlsam lotet der
       Film die Übergange zwischen Freundschaft und Liebe aus, unaufdringlich
       fängt die Kamera Gesten, Blicke, Bewegungen ein von Figuren, die ganz bei
       sich sein dürfen. Ein schwereloser Film.
       
       "I have this condition" sagt die junge Frau, nachdem sie sich wieder
       aufgerichtet und den Schlaf aus ihren Augen gerieben hat. "Ich habe diese
       Krankheit", übersetzen die Untertitel inhaltlich zutreffend und doch
       unzulänglich. Denn in "Marin Blue" von Matthew Hysell ist ein medizinisches
       Symptom immer auch existenzielle condition humaine. Wie Schlafwandler
       bewegen sich die Figuren durch ein Los Angeles, das gänzlich aus
       aufgegebenen Räumen zu bestehen scheint, aus betongrauen Parkplätzen und
       verlassenen Coffee Shops, aus dem Niemandsland der Hochwasserkanäle und der
       spukhaften Leere unbewohnter Häuser.
       
       Und so, wie die Stadt ohne Spuren der Vergangenheit ist, bleiben ihre
       Bewohner ohne Erinnerung. Marin Blue (Najarra Townsend), die unter
       narkoleptischen Attacken leidet, begegnet in einer psychiatrischen Klinik
       Jim (Cory Knauf), der sein Gedächtnis verloren hat. Er klettert über den
       Anstaltszaun, sie macht sich auf die Suche nach ihm. Obwohl viel von Flucht
       und vom Freiheitsversprechen der Highways die Rede ist, verstricken sich
       die Figuren in einem selbstgewählten Labyrinth, das vermutlich an David
       Lynch erinnern soll, aber zu oft nach angestrengter Kunsthochschule
       aussieht.
       
       Der 32-jährige Andrew Bujalski gilt als bekanntester Vertreter einer Gruppe
       von Ultra-Low-Budget-Filmemachern in den USA, die seit einigen Jahren Filme
       realisieren, indem sie Freunde und Bekannte vor die Kamera bitten und
       entlang locker vorgegebenen Narrationen Dialoge improvisieren lassen. Meist
       geht es um die gegenwärtige Lage von Twenty-Somethings, die sich zwischen
       Künstlerdasein, Selbstverwirklichung, Universitätsjobs und Beziehungsarbeit
       damit abfinden müssen, irgendwann erwachsen zu werden. Weil in den Filmen
       viel genuschelt wird, hat sich der Ausdruck "mumblecore" als Bezeichnung
       etabliert; andere reden respektvoll-ironisch von "Slackavetes".
       
       Wer mit wem und warum 
       
       Wie schon in Bujalskis vorigen Filmen "Funny Ha Ha" und "Mutual
       Appreciation" sind die Protagonisten von "Beeswax" die meiste Zeit damit
       beschäftigt, Gespräche darüber zu führen, welchen Status dieses Gespräch
       eigentlich gerade hat. Wer mit wem unter welchen Bedingungen eine Beziehung
       oder Partnerschaft eingeht oder abbricht - ob emotional, geschäftlich,
       familiär, juristisch - ist die Frage, die alle Beteiligten umtreibt. Um im
       Bild des Titels zu bleiben: Jeder kann sich entscheiden, wie er sein
       Bienenwachs einsetzt - sich gemütlich in seiner Wabe einrichten oder eine
       Kerze anzünden, um die andere sich versammeln. Bei Bujalski vergisst man
       bald, dass man im Kino ist und nicht bei Freunden zu Hause auf dem Sofa
       herumlümmelt. Übrigens sitzt eine der Hauptfiguren in einem Rollstuhl.
       
       Aus dem Muster der drei Spielfilme heraus fällt der US-Dokumentarfilm
       "Sweetgrass" von Ilisa Barbash und Lucien Castaing-Taylor. Er berichtet,
       wortlos meist, von den Lebensumständen der letzten Schafhirten im
       amerikanischen Westen, die im Sommer gewaltige Herden durch unwegsames
       Gelände und über Bergketten treiben. Wie Mensch, Tier, Landschaft und Klima
       dabei zusammenkommen, packt "Sweetgrass" geduldig in eindrucksvolle
       Panoramen.
       
       10 Feb 2009
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dietmar Kammerer
       
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