# taz.de -- Kolumne Idole: An der Reckstange mit Sissi
       
       > Wie viel Wahrheit verträgt ein Idol? Ein neuer Blick auf eine alte
       > Kaiserin und der tragische s-Verlust.
       
       Die eigentliche Katastrophe ist doch, immer wer anders sein zu wollen als
       der, der man ist. Ab jetzt werden hier also Idole seziert. Meine Großmutter
       mütterlicherseits verehrte Romy Schneider als "Sissi" und steckte mich mit
       ihrem Faible für die Kitschtrilogie an. An Weihnachten Kekse knabbern und
       die "Sissi"-Filme ansehen war Tradition. Ach, die schöne Romy! Die
       raffinierten Kleider! Die böse Erzherzogin Sophie! Die schöne Romy, äh,
       Sissi!
       
       Die Reanimation vergessener Bräuche kann Wunder wirken. Der Wiener Freund
       ersetzte in diesem Jahr die verstorbene Oma, schaute die
       "Sissi"-Gold-Edition auf DVD mit und verspritzte verbale Giftpfeile mit dem
       Tenor Geschichtsverklitterung. Also musste die Biografie "Elisabeth.
       Kaiserin wider Willen" der Historikerin Brigitte Hamann her.
       
       Ein wunderbares Buch, das die 50er-Jahre-Filme von Ernst Marischka verdammt
       alt aussehen lässt. Und seine "Sissi" verdammt langweilig.
       
       Die Frage ist doch: Wie viel Wahrheit verträgt ein Idol? "Sissi" hieß ja in
       Wahrheit bloß Sisi - und damit fängt die Sektion schon an. Elisabeth Amalie
       Eugenie, Herzogin in Bayern, geboren 1837, wurde mit 16 Jahren Kaiserin von
       Österreich, später Königin von Ungarn und gilt heute als magisch-schön,
       anmutig und irgendwie überirdisch. Vor allem, weil sie sich ab 40 nicht
       mehr porträtieren oder gar fotografieren ließ. Aber, aber, aber. Erstens:
       Sisi war gar nicht so ein armes, liebes Zuckerkind - sondern wurde
       zunehmend zu einer wunderlich-kapriziösen Schrulle. Zweitens: Erzherzogin
       Sophie war der Schwiegertochter am Anfang nicht übel-, sondern äußerst
       wohlgesonnen. Drittens: Franz-Joseph war kein fescher Jungkaiser - sondern
       ein ödipal geplagter Langweiler.
       
       Aber wie hätte das auch in den Film gepasst: Sisi legt sich über Nacht eine
       Scheibe Kalbsfleisch aufs Gesicht, um Falten vorzubeugen; badet um fünf Uhr
       früh kalt und lässt sich eine Stunde lang die kaiserliche Wespentaille
       schnüren. Sie verehrt Heinrich Heine derart glühend, dass sie meint, ihr
       "Meister" würde ihr die Gedichte, die sie zu Papier bringt, aus dem
       Jenseits diktieren. Sie leidet an Anorexie, ernährt sich oft nur von Milch
       und Fleischbrühe. Ihre Zähne sind so schlecht, dass sie nur mit halb
       geschlossenem Mund nuschelt. Die Diners in der Hofburg sind ein Desaster,
       da das Kaiserpaar nicht zur gepflegten Tischkonversation imstande ist.
       Weihnachtsfest? Dito.
       
       Was in den Marischka-Filmen ebenfalls zu kurz kommt, ist Sisis körperlicher
       Drill. Nächtliche Gewaltmärsche und Turnübungen an Ringen und Sprossenwand
       in ihren Gemächern. Ihr griechischer Vorleser Christomanos beschreibt den
       Anblick der Kaiserin an den Turnringen: "Sie trug ein schwarzes Seidenkleid
       mit langer Schleppe und von herrlichen schwarzen Straußenfedern umsäumt.
       Auf den Stricken hängend machte sie einen phantastischen Eindruck, wie ein
       Wesen zwischen Schlange und Vogel."
       
       Das hätte Romy Schneider sicher gern gespielt. Vielleicht hätte sie sich so
       zu Teil vier der "Sissi"-Schmonzette überreden lassen, hätte "Sissis"
       absolute Verweigerung des Kaiserinnenseins und ihre Flucht ins
       Absonderliche thematisiert. Wie viel Wahrheit verträgt ein Idol also?
       
       Im Falle Sisi ziemlich viel, machen ihre Grillen sie doch viel
       interessanter. Die Wiener aber sahen das nicht so, und es war für den
       Mythos "Sissi" beinahe ein Glück, dass die Kaiserin 1898 von einem
       italienischen Anarchisten mit einer Feile erstochen wurde. Und für das
       "Sissi"-Museum in der Wiener Hofburg, das diese Feile ausstellt, ebenfalls.
       
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       20 Feb 2009
       
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