# taz.de -- US-Deserteur über den Irakkrieg: "Falludscha hat mir die Augen geöffnet"
       
       > André Shepherd ist der einzige US-Soldat, der wegen des Irakkriegs nach
       > Deutschland floh und Asyl beantragte. Zu George W. Bush sagt er: "Du
       > Mistkerl solltest ins Gefängnis!"
       
 (IMG) Bild: André Shepherd: "Im Militär glaubt jeder an die Integrität seiner Einheit" - Widerstand zu leisten, ist da schwer.
       
       taz: Herr Shepherd, Sie waren als Soldat in den Jahren 2004 und 2005 ein
       halbes Jahr in der Nähe von Tikrit im Irak stationiert und haben die
       Motoren von Apache-Kampfhubschrauber gewartet. Es gab und gibt Tausende von
       zivilen Opfern in dem Krieg. Fühlen Sie sich schuldig? 
       
       André Shepherd: Ja, natürlich. Apache können in der Wüste ohne Wartung
       nicht mehr als ein paar Stunden fliegen. Auch Waffen- und
       Maschinenspezialisten wie ich sind indirekt schuld an den Opfern. Damit
       muss ich den Rest meines Lebens zurechtkommen.
       
       Wie gelingt das? 
       
       An manchen Tagen mehr, an anderen weniger. Aber ich habe gelernt, damit zu
       leben, denn in meinem Einsatz wusste ich einfach nichts über den Krieg. Da
       ich mich jetzt so sehr gegen ihn wehre, da ich weiß, was ich nun weiß, gibt
       es einen Ausgleich für das, was in der Vergangenheit passierte. Das macht
       es auch einfacher, wenn ich heute mit Irakern rede.
       
       Sie sind am 21. April 2007 vor ihrem zweiten Einsatz nach Deutschland
       desertiert. Was gab den Ausschlag? 
       
       Ich wollte nicht mehr verantwortlich sein für das, was dort passiert. Zu
       diesem Zeitpunkte wusste ich genau, was wir dort tun. Wenn ich einmal
       Kinder haben sollte und sie mich fragen: Warum hast du in diesem Krieg
       mitgemacht?, dann kann ich ihnen sagen, dass ich im ersten Einsatz keine
       Ahnung hatte, was dort wirklich passiert. Wenn ich das zweite Mal gegangen
       wäre, hätte ich keine Entschuldigung mehr gehabt. Außerdem wusste ich, man
       kann das System nicht als Soldat von innen bekämpfen. Sie hätten mir
       Handschellen angelegt und mich in den Knast gesteckt. Seit ich
       untergetaucht bin, bekomme ich dagegen Unterstützung von der
       Zivilbevölkerung.
       
       Seit Sie im November 2008 Asyl in Deutschland beantragt haben, leben Sie
       mit Irakern und Afghanen in einem deutschen Asylbewerberheim. Gibt es
       Konflikte? 
       
       Nein, das sind großartige Menschen. Wie reden über fast alles. Ich versteh
       nicht, warum im Westen jeder Mensch aus dem Nahen Osten als potenzieller
       Selbstmordattentäter gebrandmarkt wird. Wir haben auch radikale Freaks in
       den USA, trotzdem kommt kein russischer Fernsehsender und behauptet, jeder
       Amerikaner sei ein Psychopath. Diese auf Rassismus basierende
       Stigmatisierung der Menschen muss aufhören. Warum fördern Regierungen das?
       Um die Menschen daheim zu kontrollieren.
       
       Wie ist das Zusammenleben im Asylbewerberheim? 
       
       Wie in einer WG. Wir haben eine gemeinsame Küche, kochen zusammen, schauen
       Fernsehen und teilen uns eigentlich alles: Fitnessgeräte, Bücher, Computer.
       Arabische Musik ist großartig. Über Religion reden wir kaum. Wenn wir über
       Politik sprechen, sagen sie: Es ist völlig egal, dass du aus Amerika
       kommst. Wir haben großen Respekt vor dem, was du getan hast. Sie waren
       unglaublich erleichtert zu hören, dass es weltweit 25.000 desertierte
       US-Soldaten gibt, die sagen: Wir machen diesen Krieg nicht mit. Dass es
       Widerstand im Militär gibt, macht meinen Mitbewohnern große Hoffnung. Sie
       verstehen, dass wir nicht in ihren Ländern sein wollen.
       
       Gibt es Ihrem Leben jetzt einen neuen Sinn, zu einem Symbol der
       Friedensbewegung geworden zu sein? 
       
       Ja, aber ich will nicht, dass Leute mich als einen Leader ansehen. Wenn sie
       mich als Symbol verwenden, ist das okay. Wir haben aber viele großartige
       Menschen, die Friedensarbeit machen, viel länger als ich.
       
       Wie groß ist der Zweifel von Soldaten in Einsatzgebieten? 
       
       Wir hatten unsere Freizeit, in der wir mit den Piloten gesprochen haben.
       Sie sehen kaum, was auf dem Boden passiert, wenn sie ihre Mission fliegen.
       Oft sagten sie, über Einsatzgeheimnisse können sie nicht sprechen. Zivile
       Opfer müssen bekannt werden, damit Menschen verstehen, was dort im Irak
       abgeht.
       
       Haben Sie im Irak Bilder von zivilen Opfern gesehen? 
       
       Das Militär zeigt so etwas natürlich nicht, das würde die Moral zerstören.
       Es war die Schlacht von Falludscha, die mir wirklich die Augen geöffnet
       hat. Auf den Militärkanälen bekamen wir nur Bilder des Sieges zu sehen,
       jeder war am Feiern. Aber dann schaust du ins Internet und siehst Bilder
       einer total zerstörten Stadt. Unsere Apache-Hubschrauber waren in diesem
       Kampf dabei. Wir haben Stadtteile unbewohnbar gemacht wegen des Urans in
       der Munition. Ich dachte: Wir sind hier, um diesen Menschen zu helfen und
       nicht, um ganze Städte zu zerstören.
       
       Kann man als Soldat überhaupt Widerstand leisten gegen dieses System? 
       
       Das ist sehr schwer. Im Militär glaubt jeder an die Integrität seiner
       Einheit. Du willst nichts tun, das die Gemeinschaft untergräbt, weil du
       nicht willst, dass etwas passiert. Wenn man dort ist, will man seine Jungs
       beschützen.
       
       Haben Sie noch Kontakt zu den alten Kameraden? 
       
       Kaum. Ich will nicht, dass sie wegen mir Ärgern bekommen. Sie haben ihren
       letzten Einsatz aber alle heil überstanden. Sie wissen, was ich getan habe,
       verstehen es aber nicht. Manche meinten, zum Desertieren hätte ich auch
       einen Joint rauchen können, dann hätten sie mich nach einem Drogentest
       vielleicht aus der Armee geschmissen. Ich bin aber lieber ehrlich und sage:
       Was wir machen, ist falsch.
       
       Was dachten Sie, als Barack Obama die Wahl gewann? 
       
       Gewählt hätte ich ihn vermutlich nicht. Was er während des Wahlkampfs
       versprochen hat, klang für mich wie eine Fortführung der alten Regierung,
       nur mit netteren Reden. Der Krieg gegen den Terror verlagert sich nun vom
       Irak in die Berge von Afghanistan. Robert Gates ist immer noch
       Verteidigungsminister. Obama hat kein Wort über Soldaten in meiner
       Situation verloren. Er sollte allen Deserteuren eine Amnestie gewähren.
       
       Auch Deutschland schickt Soldaten nach Afghanistan. Ist das ein Krieg, in
       dem Deutschland sein sollte? 
       
       Nein. Die Mission war es, Bin Laden zu finden. Wenn sie ihn aus der
       Gleichung streichen, sollte jede Armee aus Afghanistan abziehen. Es war nie
       die Rede davon, Opiumanbau zu bekämpfen oder Pipelines zu bauen.
       
       Nehmen wir den Golfkrieg von Bush senior. Es gab eine UN-Resolution und
       einen Aggressor. Würden Sie in einem solchen Krieg kämpfen? 
       
       Jedes Mal, wenn eine Regierung von einer Gefahr spricht, kann ich es nicht
       mehr glauben. Jeder große Konflikt seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts
       wurde mit einer Lüge begonnen. Der Irakkrieg basiert auf einer glatten
       Lüge. Wenn es eine neue Bedrohung da draußen geben sollte, wem sollte man
       glauben? Ich töte keine Menschen, damit ein reicher Typ in einem
       Elfenbeinturm davon profitiert.
       
       Ihnen sitzt Georg W. Bush gegenüber. Sie haben 30 Sekunden Zeit. Was würden
       Sie ihm sagen? 
       
       "Du Mistkerl hast es verdient, ins Gefängnis zu wandern. Ich werde nicht
       für dich ins Gefängnis gehen." Aber genau das passiert. US-Soldaten
       desertieren überall auf der Welt. Sie kommen dafür ins Gefängnis. Während
       gegen die Menschen, die für den Krieg verantwortlich sind - Bush, Cheney,
       Rumsfeld, viele andere - nicht einmal Untersuchungen laufen. Das ist eine
       unglaubliche Ungerechtigkeit, auch für das Militär.
       
       Sie haben einen Eid auf die US-Flagge geschworen. Glauben Sie noch dran? 
       
       Ich glaube an die Werte, die er beinhaltet. Es heißt, ich solle die USA
       gegen alle Feinde beschützen, innere wie äußere. Und das ist genau das, was
       ich mache: Ich versuche das Land vor seiner eigenen Regierung zu
       beschützen.
       
       Sie haben Ihre Familie zuletzt im Januar 2004 gesehen. Haben Sie über die
       Konsequenzen nachgedacht, dass Sie womöglich nie wieder Ihr Land betreten
       werden? 
       
       Klar, das wusste ich. Ich spürte, dass die Situation so wichtig ist, dass
       meine persönlichen Wünsche zweitrangig sind. Radikale Änderungen im Leben
       erfordern einen hohen Preis. Wenn mir das Außenministerium die
       Staatsbürgerschaft entzieht, muss ich das akzeptieren. Aber ich vermisse
       meine Familie schrecklich. Meine Eltern, Großeltern, meine beiden Brüder
       und meine Schwester. Mal schauen, wir versuchen, ein Treffen hier zu
       arrangieren.
       
       Es besteht die Möglichkeit, dass Sie hier kein Asyl bekommen. Haben Sie
       sich darauf vorbereitet? 
       
       Dann finde ich einen Weg, woanders Asyl zu finden. Wahrscheinlich werde ich
       in allen Instanzen klagen, zur Not bis vor den Europäischen Gerichtshof.
       Die USA würden jedenfalls alles tun, um mich unter Kontrolle zu bekommen.
       Wenn ich zurückgehe und mich als Deserteur schuldig bekenne, dann gebe ich
       dem Militär Recht damit, die falschen Befehle der Regierung zu befolgen und
       zwei souveräne Staaten auf Grundlage einer Lüge zu besetzen. Dann gebe ich
       ihnen Recht, wenn sie die Regeln verletzten, die wir eigentlich verteidigen
       wollten.
       
       16 Mar 2009
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ingo Arzt
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA