# taz.de -- Neuanlauf für Freihandel: WTO sieht Krise als Chance
       
       > Brasilien und andere Länder wollen wegen der Wirtschaftskrise weitere
       > Handelsschranken abzubauen. Experten sehen das anders: Staaten müssten
       > nun ihre Märkte schützen können.
       
 (IMG) Bild: Mehr Handel gegen das Konjunkturloch - das ist Lamys Rezept gegen die Krise.
       
       BERLIN taz Mehr Handel soll die Welt aus dem Konjunkturloch ziehen. Dieses
       Motto lässt inzwischen eine ganze Reihe von Politikern und
       Wirtschaftsexperten nach einer Wiederaufnahme der Doha-Verhandlungsrunde
       der Welthandelsorganisation (WTO) rufen. Brasiliens linker Präsident Luiz
       Inácio Lula da Silva etwa hat sich vergangenes Wochenende in Washington bei
       seinem US-Amtskollegen Barack Obama dafür starkgemacht. Ähnlich äußerte
       sich Neuseelands Handelsminister Tim Groser, langjähriger Leiter der
       WTO-Agrarverhandlungen. Und die Industrieländer-Organisation OECD begreift
       in einem neuen Report "die Krise als Chance zur Wiederbelebung der
       Handelsreformen".
       
       Im vergangenen Jahr waren die 2001 in Doha unter dem vollmundigen Titel
       "Entwicklungsrunde" gestarteten WTO-Verhandlungen geplatzt, weil sich Nord
       und Süd nicht darüber einigen konnten, wie weit die jeweils andere Seite
       ihre Märkte öffnen sollte. Jetzt könnte es sein, dass die WTO zur
       Krisengewinnlerin wird. Schon auf ihrem ersten Finanzgipfel im Dezember in
       Washington hatte sich die die Gruppe der wichtigsten Industrie- und
       Schwellenländer (G 20) für einen neuen Anlauf ausgesprochen.
       
       Zu 80 Prozent habe man die in Doha gesetzten Ziele inzwischen erreicht,
       erklärte WTO-Generaldirektor Pascal Lamy vergangenen Monat. Lula meinte
       jetzt nach seinem Besuch bei Obama, ein WTO-Abschluss sei in greifbarer
       Nähe. Offenere Märkte auch in den Entwicklungsländern würden für dringend
       benötigtes Wirtschaftswachstum im Süden sorgen, jetzt wo die Märkte des
       Nordens wegen der Krise wegbrechen, erklärte Lula. Das mag im Falle
       Brasiliens sogar richtig sein. Das Land hat sich zur Exportnation
       aufgeschwungen, vor allem bei landwirtschaftlichen Produkten, und zu seinen
       Kunden zählen zunehmend auch andere Entwicklungsländer. Doch heißt das,
       dass auch andere Länder von offeneren Märkten profitieren würden?
       
       Die US-Professoren Kevin Gallagher und Timothy Wise mahnen zur Vorsicht.
       Die bisherigen WTO-Regeln böten Entwicklungsländern in der Krise einen
       gewissen Schutz. Sie können zum Beispiel im Notfall Kapitalkontrollen
       einführen oder Schutzmauern gegen plötzliche Importfluten errichten. "Würde
       jetzt eine neue WTO-Vereinbarung durchgepeitscht, könnte das das Aus für
       viele dieser Instrumente bedeuten", warnen die beiden Entwicklungsökonomen.
       Die im Rahmen der Doha-Runde geforderten Zollsenkungen würden außerdem für
       die Entwicklungsländer auf Einnahmeverluste in einer Größenordnung von 63
       Milliarden US-Dollar hinauslaufen. Bei vielen von ihnen machen
       Zolleinnahmen einen beträchtlichen Teil der öffentlichen Haushalte aus -
       Geld, das gerade in der Krise auch dringend benötigt wird. Diesen Verlusten
       stünden lächerliche Gewinne durch einen Abschluss der Doha-Runde gegenüber:
       Das Carnegie Endowment for International Peace beziffert die potenziellen
       Mehreinnahmen der Entwicklungsländer mit gerade einmal 21,5 Milliarden
       Dollar.
       
       Aber dass sich die G 20 auf ihrem nächsten Finanzgipfel Anfang April in
       London auf mehr als Lippenbekenntnisse zu mehr Freihandel einigen wird,
       scheint ohnehin zunehmend unwahrscheinlich. Gerade veröffentlichte die
       Weltbank eine Studie, der zufolge die 20 Industrie- und Schwellenländer dem
       Protektionismus offenbar nur verbal eine Absage erteilen. In Wirklichkeit
       hätten seit Beginn der Finanzkrise bereits 17 von ihnen Maßnahmen
       umgesetzt, die den freien Handel einschränken.
       
       NICOLA LIEBERT
       
       24 Mar 2009
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Nicola Liebert
       
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