# taz.de -- Alptraum auf den Malediven: 150 Zentimeter bis zum Untergang
       
       > Tropenparadies in Gefahr: Die Malediven könnten schon bald im Meer
       > verschwinden. Eine Auswanderung aller Einwohner nach Indien oder
       > Australien ist bereits in Planung.
       
 (IMG) Bild: 99 Prozent Wasser: Beim Flug über die Malediven sieht man Blau - soweit das Auge reicht.
       
       Als Mohamed Anni Nasheed, der frisch gewählte Präsident der Malediven,
       direkt nach der Verkündung der Ergebnisse der ersten freien Wahlen vor
       wenigen Monaten vor die Fernsehkameras trat, hätte es einiges zu sagen
       gegeben. Zum Beispiel, was er zu tun gedenkt, um die Jugendlichen vom
       Heroin wegzubekommen - jeder dritte Malediver unter 21 Jahren ist
       drogenabhängig -, oder welche Pläne er gegen die Armut hat: 60 Prozent der
       Malediver verdienen gerade mal 1 Dollar am Tag. Zu beiden Punkten sagte er
       kein Wort. Stattdessen tat Mohamed Anni Nasheed etwas, was weltweit noch
       kein Präsident vor ihm getan hat: Er kündigte an, seinem Volk in einem
       anderen Land eine neue Heimat zu kaufen. Schließlich haben die Malediver
       ein noch weitaus größeres Problem als Armut und Heroin. Eines, das einer
       biblischen Katastrophe gleichkommt: Ihr Inselstaat versinkt im Meer.
       
       Schon heute sieht man beim Blick aus dem Wasserflugzeug, das die Touristen
       vom Flughafen nahe der Hauptinsel Male ins gebuchte Resort bringt, fast nur
       Wasser. Dabei ist das Staatsgebiet der Malediven doppelt so groß wie
       Belgien. 99,9 Prozent davon macht allerdings der Indische Ozean aus. Der
       Rest sind zumeist kleine Inseln, die aussehen wie aus einem Comicstrip -
       ein Häufchen Sand mit windschiefen Palmen, gerade mal einen Meter über dem
       Meeresspiegel gelegen. Nur unwesentlich größer, aber genauso flach ist die
       eine halbe Flugstunde westlich von Male gelegene Touristeninsel Velavaru.
       Sollte der Meeresspiegel wie von Experten vorhergesagt bis zum Ende des
       Jahrhunderts um bis zu 1,5 Meter ansteigen, wäre Velavaru in wenigen
       Jahrzehnten im Meer versunken. Genau wie die restlichen 1.190 Inseln der
       Malediven.
       
       Gischt spritzt hoch, als die Schwimmer der "Twin Otter" bei der Landung das
       Wasser berühren. Ein bunt bemaltes Dhoni, das traditionelle Holzboot der
       Malediver, bringt die Touristengruppe ans Ufer. Auf Velavaru, an dessen
       Pier das schmale Holzboot festmacht, stehen 80 klimatisierte Bungalows mit
       Whirlpool und Strandzugang in einem tropischen Palmengarten. Flughunde
       segeln durch die Luft. Der blütenweiße Strand fällt sanft ins glasklare
       Meer ab. Von Katastrophenstimmung ist nichts zu spüren. Stattdessen wartet
       am Strand ein gut gelauntes Empfangskommando. Ein Angestellter verteilt zum
       Frischmachen nasse Läppchen vom Silbertablett. Drei andere wuchten das
       Gepäck auf einen Handwagen. Auf den Malediven existieren zwei komplett
       voneinander getrennte Welten, die unterschiedlicher kaum sein könnten.
       Während die Einheimischen zumeist am Rande des Existenzminimums leben,
       biegen sich auf den Resortinseln die Büfetttische unter gewaltigen Lasten
       von kanadischem Hummer, Parmaschinken und neuseeländischen Lammsteaks.
       1.000 Liter Süßwasser verbraucht ein Tourist am Tag alleine beim Duschen,
       zu trinken gibt es norwegisches Gletscherwasser, 15 Dollar die Flasche. Die
       Einheimischen sind froh, wenn sie genug Diesel zum Betrieb der
       Meerwasserentsalzungsanlage haben.
       
       Von den steigenden Fluten sind die Resortinseln allerdings genauso
       betroffen wie die Inseln der Einheimischen. Abdul Azeez Hakeem, den alle
       nur Azeez nennen, hat den schwersten Job, den das Velavaru-Resort zu bieten
       hat. Der Meeresbiologe soll die Insel gegen die Fluten verteidigen. Den
       Grund für den Anstieg des Meeresspiegels sehen Experten in der
       Klimaerwärmung. Wenn an den Polen das Packeis schmilzt, schwappen auch auf
       den Malediven die Wellen ein klein wenig weiter den weißen Strand hinauf.
       
       Auf eine Debatte, ob der Klimawandel tatsächlich stattfindet, will sich
       Azeez nicht einlassen. "Viele sagen, es fehlt noch der endgültige Beweis,
       wie hoch der Meeresspiegel wirklich steigt", sagt er. "Aber wir haben keine
       Zeit, auf diesen Beweis zu warten." Als besonders ungerecht empfinden Azeez
       und seine Landsleute, dass die Malediver zum Treibhauseffekt so gut wie
       nichts beitragen - ihr kleines Land ist nach Regierungsangaben für 0,0012
       Prozent des globalen Kohlendioxidausstoßes verantwortlich.
       
       Für den Meeresbiologen Azeez geht es bei seiner Arbeit um mehr als nur
       darum, eine Touristenbehausung zu schützen. Der 60-Jährige kämpft um seine
       Heimat. Er ist auf dem Nachbaratoll aufgewachsen und hat lange in Male
       gelebt. Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts klagte der englische
       Archäologe H. C. P. Bell über die Überbevölkerung auf der gerade einmal 2
       Quadratkilometer großen Hauptinsel. Damals lebten 5.000 Menschen in Male.
       Heute sind es 100.000. Bis unter die Decke gestapelt schlafen sie in den
       winzigen Wohnungen der mehrstöckigen Häuser. Während Alkohol für die
       einheimischen Muslime verboten ist, steht über Heroin nichts im Koran. Die
       offizielle Statistik spricht von 12.000 Abhängigen, die Dunkelziffer soll
       weitaus höher liegen. Nachts kämpfen Jugendbanden mit Macheten um die
       Vorherrschaft im Heroingeschäft. Auf Male ist nirgendwo eine Palme zu sehen
       und auch kein feinsandiger Strand. Den gibt es auf den Touristeninseln wie
       Velavaru. Zumindest jetzt noch. Denn die Auswirkungen des Klimaphänomens
       "El Niño" haben die Lage seit Ende der 90er-Jahre zusätzlich verschärft.
       Infolge von sich verändernden Meeresströmungen stiegen damals die
       Wassertemperaturen im Indischen Ozean für mehrere Wochen um 3 Grad. Zu warm
       für die hitzeempfindlichen Korallen. In Teilen der Malediven starben die
       sensiblen Organismen gleich massenhaft ab. Viele Inseln liegen seitdem
       schutzlos da, weil die sie umgebenden Korallenriffe nicht mehr wie vorher
       bis knapp unter die Wasseroberfläche reichen, sondern tiefer unten enden
       und die Wellen jetzt ungebremst an den Strand schlagen, was besonders
       während der Monsunstürme zu starker Erosion führt.
       
       Den Strand zu erhalten, bezeichnet Meeresbiologe Azeez schon heute als
       einen "stetigen Kampf gegen die Natur". Vier Mitarbeiter hat er dafür auf
       Velavaru im Einsatz. Morgens um sechs, wenn die Touristen noch schlafen,
       machen sie ihre Runde. Besonders bei stärkerem Seegang finden die Männer
       immer wieder Stellen, an denen die Wellen Sand weggespült haben. Auf
       einigen Nachbarinseln sind schon ganze Strandabschnitte verschwunden.
       Palmen fallen um, weil das Wasser die Wurzeln freigespült hat. Um das zu
       verhindern, schaufeln die Männer auf Velavaru Sand mit einem Elektrobagger
       auf die ausgespülten Stellen. Reicht das nicht, pumpen sie Sand vom Grund
       der Lagune auf den Strand. Wenn die Touristen nach dem Aufstehen auf die
       Terrassen ihrer Strandvillen treten, sind die Reifenspuren längst
       weggeharkt.
       
       Das Image vom tropischen Urlaubsparadies darf auf keinen Fall gefährdet
       werden. Denn die Geschäfte laufen gut. Mehr als eine halbe Millionen
       Reisende kamen im letzten Jahr auf die Malediven. Vor zehn Jahren waren es
       nicht einmal die Hälfte. Um die Einnahmen weiter anzukurbeln, hat die
       Regierung neue Inseln für den Bau von Resorts freigegeben. 80 Resorts gibt
       es schon jetzt, in den nächsten fünf Jahren könnten 40 neue hinzukommen.
       Die steigenden Besucherzahlen verschärfen aber auch das schon jetzt akute
       Müllproblem. Auf Velavaru gibt es wie in den meisten Resorts eine
       Müllverbrennungsanlage. Der Großteil des Abfalls, vor allem Plastik und
       Metall, wird aber nach Thila Fushi gebracht, eine Industrieinsel westlich
       von Male. In acht Jahren soll die Kapazität der Insel allerdings erschöpft
       sein. Umweltschützer sprechen schon jetzt von einer toxischen Bombe.
       
       Um die Wucht, mit der die Wellen bei Sturm auf den Strand treffen,
       abzuschwächen, versucht Azeez auf Velavaru die Korallenriffe zu verstärken.
       Im Taucheranzug watet der Meeresbiologe ins Meer, bis ihm das glasklare
       Wasser bis zur Brust reicht, dann steckt er das Atemgerät in den Mund,
       schiebt die Brille über die Augen und taucht ab. Mit kräftigen
       Flossenschlägen schwimmt Azeez auf eine etwa 5 Meter lange
       Metallkonstruktion zu, die er und seine Männer vor einigen Monaten auf dem
       Grund der Lagune versenkt haben. Was aussieht wie ein metallenes
       Bettgestell, ist ein künstliches Riff. Davor auf dem Meeresboden steht eine
       Plastikkiste mit abgebrochenen Korallen, die seine Mitarbeiter vor allem
       nach Stürmen am Strand finden. Azeez greift hinein. Luftblasen steigen aus
       seinem Atemgerät an die Oberfläche. Mit einem Kabelbinder befestigt Azeez
       die Koralle an einem der Metallstreben. An vielen Stellen sind sie schon
       dicht mit Korallen bewachsen, vor allem mit solchen, denen die höheren
       Temperaturen nichts ausmachen. Noch ist das künstliche Riff in der
       Erprobungsphase. "Unsere Hoffnung ist", sagt Azeez später am Strand, "dass
       wir mit unseren Konstruktionen eines Tages die natürlichen Riffe verstärken
       können".
       
       Der Tsunami im Dezember 2004 hat den Maledivern gezeigt, wie verwundbar ihr
       Land ist. 69 der 199 bewohnten Inseln wurden vollständig überflutet. Anders
       als in den anderen von der Katastrophe betroffenen Staaten gab es für die
       Malediver kein sicheres Hinterland, in das sie hätten fliehen können -
       viele klammerten sich an Palmen oder schwammen um ihr Leben. Der
       Klimawandel kommt viel langsamer als der Tsunami, aber die Vernichtung
       könnte umso gründlicher sein.
       
       Die zerstörten Resorts wurden damals in Windeseile wieder aufgebaut. Der
       Tourismus macht den Großteil des Bruttosozialprodukts aus. Und er ist auch
       der Schlüssel für die Finanzierung des geplanten Ausweichquartiers. Teile
       der Einnahmen aus dem Tourismus sollen in einen Staatsfonds fließen, mit
       dem der Kauf der neuen Heimat für die Malediver finanziert werden soll.
       Präsident Mohamed Anni Nasheed zählt das benachbarte Indien, Sri Lanka und
       das dünn besiedelte Australien zu den möglichen Ländern, auf deren
       Territorium die heute 300.000 Malediver ihren neuen Staat gründen könnten.
       Die Regierungen der genannten Länder hätten ihr Verständnis für die
       Situation der Malediver bekräftigt, heißt es. Verträge oder Abkommen gibt
       es noch nicht.
       
       25 Mar 2009
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Alexander Dluzak
       
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