# taz.de -- die Krise als Chance: Rebell in Kurzarbeit
       
       > Detlef Fendt arbeitet seit 40 Jahren bei Daimler - nun sind er und viele
       > Kollegen auf Kurzarbeit. Fendt sieht die Krise auch als Chance
       
 (IMG) Bild: Leiden auf hohem Niveau.
       
       Der 56-jährige Werkzeugmacher Detlef Fendt, seit 1969 bei Daimler im Werk
       in Marienfelde beschäftigt, ist jetzt in Kurzarbeit. Das ist keine
       schlechte Sache. Das ist sogar ziemlich bequem. Detlef Fendt hat jetzt
       zwei, manchmal sogar drei Tage in der Woche frei. Und das sind natürlich
       entspannte Tage. Sonst ist es ja so: Fendt schiebt morgens um 6.15 Uhr sein
       Motorrad auf die Straße, braust los von Britz nach Marienfelde, drückt sich
       mit den Kollegen durchs Werkstor, steht in einem grauen Kittel mit dem
       Schraubstock acht Stunden an den Maschinen, produziert
       Mercedes-Nockenwellen, Ölpumpen und Motoren für die ganze Welt, die alte
       Routine des Fabrikarbeiters, um dann später nach Schichtende zu Hause in
       der Wohnung die abgewetzte Lederjacke über die Stuhllehne zu hängen und
       müde die Reste vom Wochenende warm zu machen.
       
       Aber an diesen neuen freien Tagen, wenn der Weltmarkt keine Eile hat,
       schläft Detlef Fendt erst einmal aus. Irgendwann zieht er sich dann die
       schwarze Lederhose über und das weite schwarze Seemannshemd. Und mit dem
       stoppeligen grauen Bart, der Nickelbrille und dem Ohrring sieht Fendt nun
       auch wirklich aus wie jemand, der eher auf ein Schiff gehört als in eine
       schmale Zwei-Zimmer-Wohnung in der Hufeisensiedlung in Britz. Vielleicht
       besucht Fendt mittags eine Freundin im Krankenhaus, vielleicht geht er auch
       in seine Küche, wo es schon nach kaltem Bratfett riecht, und kocht sich
       Fleisch und Gemüse, Kartoffeln und Soße. Eine echte Mahlzeit.
       
       Auch die große Jubiläumsfeier, die bald steigt, weil er jetzt 40 Jahre
       dazugehört zum Betrieb in Marienfelde, hält Fendt beschäftigt. Er hat eine
       dunkle Eckkneipe gemietet, er muss noch die alten Kollegen anrufen.
       Vielleicht bastelt Detlef Fendt an einem solchen freien Tag aber auch
       einfach nur an seinem Modellboot. Oder legt sich in seine Hängematte und
       liest ein Buch. Angenehme Freiheiten sind das. Die Hängematte ist quer
       durch Fendts Wohnzimmer gespannt. Die Frühlingssonne scheint durch die
       vergilbten Gardinen, Staubkörnchen tanzen im Licht.
       
       Auch finanziell wirken sich die neuen harten Zeiten nicht schlimm aus,
       findet Detlef Fendt. Unternehmen, die wegen der schlechten Auftragslage
       mindestens zehn Prozent weniger Umsatz machen, können bei der Bundesagentur
       für Arbeit Kurzarbeit anmelden. Damit soll mittelfristig verhindert werden,
       dass Mitarbeiter entlassen werden. Die Arbeitsagentur zahlt dann je nach
       Familienstand des Beschäftigten 60 oder 67 Prozent des Lohnes, so hat es
       die Bundesregierung im zweiten Konjunkturpaket festgelegt.
       
       Bei der Firma Daimler herrscht seit Mitte Januar Kurzarbeit. Wegen eines
       besonders hohen Tarifabschlusses beim Stammsitz des Unternehmens in
       Baden-Württemberg, der auch für die Berliner Beschäftigten des Konzerns
       gilt, bekommt Detlef Fendt seither sogar 90 Prozent seines normalen
       Gehalts. Das macht 2.000 statt 2.200 Euro netto. Und "wer damit nicht
       auskommt," knurrt Fendt, "lebt falsch". Er sitzt am Küchentisch und haut
       mit der flachen Hand auf die gestreifte Tischdecke.
       
       Man muss wissen, dass Detlef Fendt maßgeblich daran mitgearbeitet hat, dass
       die Belegschaft von Daimler soviel Geld erhält, Mitarbeiter von anderen
       Firmen in Kurzarbeit bekommen deutlich weniger. Fendt ist seit 1970
       Vertrauensmann der IG-Metall im Betrieb, er kämpft seit über 30 Jahren an
       vorderster Gewerkschaftsfront, zuerst für die 35-Stunden-Woche, dann immer
       wieder für höhere Tarife, zuletzt auch für die Regelungen zur
       Altersteilzeit. Stets hat er gute Abschlüsse für die Kollegen erzielt, hat
       Forderungen mit weißer Farbe ans Pförtnerhäuschen gemalt. Er ist einer, der
       Flugblätter verteilt und in diesen endlosen Gewerkschaftsrunden sitzt und
       redet.
       
       Selbst jetzt während der Kurzarbeit ist Fendt häufig mit Betriebsratsarbeit
       beschäftigt, muss Protokolle schreiben, Sitzungen organisieren. Und
       vielleicht ist es der Frust über die Kollegen, vielleicht einfach
       Realismus, wenn Fendt an einem dieser freien Donnerstage eingeklemmt in
       seiner engen Küche sitzt, hinten an der Wand hängen die Kaffeebecher mit
       dem Schriftzug von der IG-Metall, oben auf dem Regal steht eine kleine
       Leninbüste, darunter wartet ein Megaphon auf seinen nächsten Einsatz, und
       Fendt also feststellt: "Bei Daimler arbeitet eine der verwöhntesten
       Belegschaften der Welt".
       
       Denn es ist ja wirklich ziemlich beachtlich, was Fendt und seine
       Gewerkschaft für die Daimler-Mitarbeiter raus geholt haben: Erstmal im Mai
       vergangenen Jahres eine Erfolgsbeteiligung von 3.750 Euro, "die wir den
       Aktionären aus dem Hals gewrangelt haben", wie Fendt es nennt. Dann haben
       sie im November noch eine Tariferhöhung von 4,2 Prozent erkämpft plus eine
       einmalige Zahlung von 510 Euro Ende Januar, obwohl die Krise da schon voll
       ausgebrochen war. Jetzt im Mai zahlt die Firma schon wieder eine
       Erfolgsbeteiligung von 1.900 Euro, und dann kommen da auch noch die
       Kollegen und meckern. Ja, tatsächlich: das ist passiert! Die Kollegen kamen
       angelaufen und haben sich bei Fendt beschwert, warum es nicht mehr geworden
       ist. Fendt bohrt sich mit dem Finger im Ohr und kann es nicht fassen. Es
       ist eine Situation, die Fendt beschreibt als "Leiden auf hohem Niveau. Auf
       sehr hohem Niveau".
       
       Damit das klar ist: Detlef Fendt steht keineswegs auf der Seite des
       Arbeitgebers. Ganz im Gegenteil. Fendt ist Marxist. Er hat nicht nur Lenin
       in der Küche stehen - im Flur hängt ein roter Schal und im Wohnzimmer
       gucken Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht von einem Ölgemälde herunter.
       Fendt kämpft für das Proletariat, das sagt er ganz offen. Einer, der in
       einem kapitalistisch strukturierten Großkonzern arbeitet, um dann nach
       Feierabend gegen ebendiese Strukturen zu kämpfen. Das ist Fendts
       Kompromiss.
       
       Und wenn jemand wirklich einmal wissen möchte, warum der Daimler-Konzern
       von der Krise mitgerissen wurde, was alles falsch gemacht wurde oben in den
       Chefetagen, und warum es noch eine ganze Weile weiter gehen wird mit dem
       freien Fall - für den ist Detlef Fendt der richtige Mann. Zusammenfassen
       lässt sich seine Kritik ungefähr so: Wichtige technologische Neuerungen,
       wie die Entwicklung des Hybridantriebs und der Brennstoffzelle, hat der
       Daimler-Konzern zwar begonnen, dann aber nicht weiterverfolgt. Und warum
       müssten immer die Beschäftigten die Leidtragenden der Krise sein? "Warum
       bittet man nicht die Aktionäre zur Kasse?"
       
       Auch sonst laufe einiges grundsätzlich schief in der Welt, findet Fendt.
       "Man muss sich doch überlegen, ob das Auto als Individualverkehrsmittel
       überhaupt eine Zukunft hat." Die Verschwendung der Rohstoffe, die
       Umweltverschmutzung. "Das kann nicht gesund sein, ich will jedenfalls nicht
       in einer autogerechten Stadt leben", erklärt Fendt. "Ohne Parks, ohne
       Spielplätze. Nur Parkplätze." Sein Lösungsvorschlag: Die
       "Vergesellschaftung der gesamten Automobilbranche", die Schaffung eines
       "zentralen Moblilitätskonzerns", die Konstruktion eines brauchbaren
       "Massenverkehrssystems für den öffentlichen Nah- und Fernverkehr".
       
       Fendt kratzt sich seine grauen Bartstoppeln, dass es knistert, er guckt auf
       die leere Bierflasche, die auf der Anrichte steht, den verwelkten
       Rosenstrauß daneben. Er ist ein bisschen abgedriftet vom Thema. Natürlich
       bleibt die Frage, was nach der Kurzarbeit kommt. Nach den 18 Monaten. Denn
       nur solange können Unternehmen die staatliche Hilfe zur Entlohnung ihrer
       Belegschaft in Anspruch nehmen. Detlef Fendt glaubt nicht, dass die Notlage
       dann vorbei ist. Er grinst. Es ist das schale Grinsen, desjenigen, dem die
       Krise nur Recht gibt.
       
       Ein Grinsen, das auch von der Gewissheit kommt, dass ihm selbst nicht viel
       passieren kann. Die Daimler-Belegschaft hat eine Beschäftigungsgarantie bis
       zum Jahr 2012. Auch das hat der IG-Metall-Betriebsrat vor ein paar Jahren
       ausgehandelt. Und nach diesem Datum ist für Fendt die Altersteilzeit
       bereits in Sicht. Detlef Fendt knipst herausfordernd an einem
       Kugelschreiber herum.
       
       Natürlich ist das bei den jüngeren Kollegen anders. Sie haben zugesehen,
       wie im vergangenen Jahr nach und nach alle Zeitarbeiter gehen mussten. Nun
       kriecht die Angst in die Fabrikhallen, die Sorge um die eigene Zukunft.
       Und: "Na kla wäre ich bei einem Streik dabei, wenn es wirklich um
       Standortschließungen oder Entlassungen ginge", ruft Fendt und breitet die
       Arme weit aus.
       
       Wie er da am Küchentisch sitzt - ein Rebell in Kurzarbeit - wird man den
       Eindruck nicht los, dass Detlef Fendt ziemlich einverstanden ist mit der
       momentanen Situation. Die Zeiten sind gut, weil sie schlecht sind. Der alte
       Wert der Solidarität sei in den vergangenen Wochen in Marienfelde wieder
       wichtig geworden, meint Fendt. Bei der letzten Unterschriftensammlung habe
       er auf Anhieb 20 neue Mitglieder für die Gewerkschaft geworben. Er lacht.
       Demnächst will er die bekennende Kommunistin Sarah Wagenknecht von der
       Linkspartei zu einer Versammlung in den Betrieb einladen.
       
       31 Mar 2009
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Kirsten Küppers
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA