# taz.de -- Bischöfin Käßmann über Heimkinder: "Eine Entschuldigung ist zu banal"
       
       > Landesbischöfin Margot Käßmann will die Misshandlungen von ehemaligen
       > Heimkindern aufarbeiten lassen und die Archive öffnen. Doch ihre Kollegen
       > mauern und verweisen auf den zeitlichen Kontext.
       
 (IMG) Bild: "Ich schließe nicht aus, dass es Entschädigungszahlungen geben wird."
       
       taz: Frau Käßmann, am 2. April tagt der Runde Tisch zur Aufarbeitung des
       Schicksals ehemaliger Heimkinder zum zweiten Mal. Was muss der Runde Tisch
       leisten? 
       
       Margot Käßmann: Die Opfer müssen ihre Geschichte erzählen und die Täter
       müssen ihre Schuld erkennen. Nur so kann es eine Versöhnung geben. Lange
       Zeit gab es für das Schicksal der ehemaligen Heimkinder keine Plattform. Am
       Runden Tisch können sie das Unrecht, dass ihnen wiederfahren ist,
       öffentlich machen.
       
       Rund 80 Prozent aller Heime wurden von kirchlichen Trägern geführt. Was
       muss die Kirche zur Aufarbeitung beitragen? 
       
       Wir können unsere Archive öffnen. Zum einen für unabhängige Historiker, die
       die Geschichte der westdeutschen Heimerziehung objektiv untersuchen. Zum
       anderen müssen die Betroffenen Zugang zu ihren Akten bekommen.
       
       Wird sich die Kirche nicht auch bei den Opfern entschuldigen müssen? 
       
       Ich kann das für meine Kirche tun. Ich bitte um Entschuldigung. Aber ich
       finde das Wort 'Entschuldigung' im Grunde zu banal. Die Verletzungen, die
       man den Kindern und Jugendlichen beigebracht hat, haben deren gesamtes
       Leben geprägt. Ich kann nicht begreifen, wie Menschen mit einem
       christlichen Ethos so mit Kindern umgehen konnten.
       
       Wie viele Kinder in der Nachkriegszeit in westdeutschen Kinderheimen
       misshandelt wurden, lässt sich nur schätzen. Es melden sich aber immer mehr
       Betroffene, um so mehr das Thema in die Öffentlichkeit rückt.
       
       Ihre Kollegen vom Diakonischen Werk wollen die eigene Schuld an den
       Fehltritten trotzdem nicht eingestehen. 
       
       Ich sehe da Schuld. Diese Schuld besteht darin, dass die, die so verletzbar
       waren - nämlich die Kinder und Jugendlichen unter der Obhut der
       Erzieherinnen und Erzieher - nicht geschützt wurden. Wir müssen uns fragen,
       wie es dazu kommen konnte und warum es keine Kontrollen gab.
       
       Als ich ein Kind war, gab es die Redewendung: "Wenn Du nicht brav bist,
       kommst Du ins Heim." Das zeigt doch, dass die Leute sehr wohl wussten, dass
       es in den Heimen nicht kinderfreundlich zuging. Die Kirchen verweisen
       darauf, dass man die Geschehnisse in den Heimen im zeitlichen Kontext
       betrachten müsse. 
       
       Natürlich kann man auf die andere Pädagogik der Fünfziger und Sechziger
       Jahre verweisen. Damals ging man nicht zuallererst von der Würde des Kindes
       aus. Aus einem Kind musste erst noch etwas werden, und zwar ein
       Erwachsener. Auch hatten viele Mitarbeiter in den Heimen keine pädagogische
       Ausbildung. Manche arbeiteten schon im Nationalsozialismus in den
       Kinderheimen. Natürlich gab es Ausnahmen. Nicht jedes Heim war gleich. Aber
       dass Erbrochenes aufgegessen werden musste und dass Kinder geschlagen und
       in Dunkelzellen eingesperrt wurden, ist meines Erachtens nicht mit dem
       Verweis auf den zeitlichen Kontext zu rechtfertigen.
       
       Viele Betroffene berichten, dass sie in den Heimen zur Arbeit gezwungen
       wurden. Heute bekommen sie dafür keine Rente. Müssen diese Betroffenen
       entschädigt werden? 
       
       Ich schließe nicht aus, dass es Entschädigungszahlungen geben wird. Die
       Lösung wird hier aber nicht so pauschal möglich sein, wie bei den
       ehemaligen Zwangsarbeitern in der Nazi-Zeit. Die ehemaligen Heimkinder
       haben sehr individuelle Schicksale. Entschädigungszahlungen können deshalb
       auch nur für jeden Fall individuell entschieden werden. Eine nachträgliche
       Rentenversicherung sollte es in einigen Fällen aber sicher geben. Viele
       ehemalige Heimkinder leben heute in Altersarmut.
       
       Weshalb stehen sie den Anliegen der ehemaligen Heimkinder offen gegenüber,
       während andere Kirchenvertreter mauern? 
       
       Mauern verstehe ich nicht. Mit Fehlern und Schuld muss man offen umgehen.
       Ich denke, die Kirchen haben nichts zu verlieren. Wenn wir uns offen mit
       diesem Thema auseinander setzten, können wir nur an Glaubwürdigkeit
       gewinnen.
       
       1 Apr 2009
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Marlene Halser
 (DIR) Marlene Halser
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Haasenburg Heime
       
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