# taz.de -- Aktionsbündnis gegen Studiengebühren: Notwendig oder Irrtum der Geschichte
       
       > Das "Aktionsbündnis gegen Studiengebühren" wird zehn Jahre alt: Eine
       > wichtige Kraft meinen die einen. Das Bündnis hätte es besser nie gegeben,
       > finden andere.
       
 (IMG) Bild: Die Studentenproteste sind vor allem Interessenvertretung.
       
       ## Ein Bündnis gegen den marktgläubigen Zeitgeist
       
       Seit 10 Jahren kämpft das "Aktionsbündnis gegen Studiengebühren" nun - und
       dennoch kassieren zahlreiche Bundesländer fürs Studium ab. Das wirft die
       Frage nach dem Erfolg des Bündnisses auf. Das ABS ist gegen den
       marktgläubigen Zeitgeist der letzten Jahre nicht angekommen -
       Privatisierung, Deregulierung und Wettbewerb waren die Schlagworte auch der
       Hochschulpolitik. Allerdings ist das Bündnis trotz der Tatsache, dass
       Politiker und Journalisten zunehmend pro Gebühren waren - selbst aus der
       taz kam ein Gebührenmodell! -, seiner Linie treu geblieben: Es lehnt jede
       Form von Studiengebühren ab. Was Gegner gerne als Unverbesserlichkeit
       denunzieren, ist die wahre Stärke des Bündnisses: Die Erkenntnis, dass es
       ein gerechtes Bildungssystem nur ohne Gebühren geben kann.
       
       Exemplarisch hierfür steht die Kampagne gegen die rot-grüne Herumeierei im
       Jahr 2002 - vor der Bundestagswahl Schröder gegen Stoiber. Dies trieb
       manche Sozialdemokraten und Grünen samt journalistischem Anhang dazu, dem
       ABS zu unterstellen, Wahlkampf für Stoiber zu machen. Dabei ist die Stärke
       des Bündnisses die eindeutige Positionierung - gegen Studiengebühren, egal,
       wer regiert.
       
       Das Aktionsbündnis wurde 1999 gegründet, weil Rot-Grün es am notwendigen
       Ernst vermissen ließ, ihr Wahlversprechen einzulösen und das Bezahlstudium
       bundesweit zu verbieten. Dabei zeichnet sich das Bündnis dadurch aus, dass
       es nicht nur Studierendenvertretungen als Bündnispartner hat, sondern auch
       mit Organisationen aus dem sozialen, gewerkschaftlichen und kirchlichen
       Raum eng kooperiert.
       
       Dieser Ansatz ist richtig, da es nicht nur darum gehen kann, eine
       privilegierte Schicht wie die Studierenden vor Gebühren zu schützen.
       Vielmehr war es immer Anliegen des Bündnisses, die Öffnung des
       Bildungssystems als soziale Frage zu thematisieren. Denn das Bildungssystem
       ist auch ohne Studiengebühren ein Skandal - mit Studiengebühren wird es
       jedoch noch skandalöser. Das Ausspielen von Kindergarten- gegen
       Studiengebühren macht weder das eine noch das andere richtiger. Die
       Abschreckungseffekte auch vermeintlich niedriger Studiengebühren wurden
       unlängst durch eine Studie im Auftrag des Bundesbildungsministeriums
       bestätigt. Studiengebühren degradieren Bildung zu einer Investition in das
       eigene Humankapital, mit allen Konsequenzen: Die Bedingungen von Bildung
       beeinflussen auch deren Inhalt. Diesen Zusammenhang herzustellen war
       Aufgabe des ABS und der studentischen Proteste.
       
       Sicherlich: Streikbewegungen und Demonstrationen haben oft Eventcharakter -
       und es gibt Menschen, die hauptsächlich deshalb dabei sind. Diese Aktionen
       sind aber vor allem legitimer Ausdruck bestimmter politischer Meinungen.
       Hier ist dem Aktionsbündnis in den vergangenen zehn Jahren eine
       erstaunliche Mobilisierung gelungen. Wer Studiengebühren einführte, musste
       mit Protesten rechnen. In NRW legten 20.000 von 60.000 betroffenen
       Studierenden einen juristischen Widerspruch gegen den Studienkontenbescheid
       ein. Organisiert wurde diese Masse vom ABS zusammen mit dem
       Landes-Asten-Treffen.
       
       Daran wird deutlich, dass das Bündnis nicht die Spielwiese einzelner
       Funktionäre ist, sondern dass der entsprechende Rückhalt vorhanden war:
       Eine große Masse der Studierenden war bereit, für ihr Recht auf Bildung
       auch auf die Straße zu gehen.
       
       Das ABS hat dabei das Bewusstsein für die gesellschaftliche Bedeutung der
       Bildung gestärkt und die Folgen von Studiengebühren in die Öffentlichkeit
       getragen. Argumente und historisches Wissen zum Thema Studiengebühren zu
       entwickeln und auf die Tagesordnung zu setzen, das waren zentrale Erfolge
       des Bündnisses: Nur so ist es möglich, politische Mehrheiten zu
       organisieren. Die Proteste der Studierenden in Hessen sowie die
       kontinuierliche Arbeit des ABS - aktionistische und Lobbyarbeit - haben
       maßgeblich dazu beigetragen, dass die zeitweilige rot-rot-grüne Mehrheit im
       Wiesbadener Landtag zur Abschaffung der Studiengebühren genutzt wurde.
       
       Das Aktionsbündnis hat es nicht geschafft, ein gebührenfreies Studium in
       Deutschland durchzusetzen. Aber es hat die Kräfteverhältnisse beeinflusst
       und ist daher als Akteur nicht mehr wegzudenken. Keines der Argumente des
       ABS ist widerlegt und es gilt, die richtige Politik durchzusetzen - gegen
       Studiengebühren und für ein durchlässiges Bildungssystem. KLEMENS HIMPELE 
       
       ## Schnöde Interessenvertretung von Krisengewinnlern
       
       Neulich war es wieder so weit: Die Studenten wollten kommentieren, was die
       Wissenschaftsminister beschlossen hatten. Um 14 Uhr teilten die Minister
       der Länder mit, aus dem Hochschulpakt werde nichts. Die ersten Ticker
       kamen, viele Lobbyisten hatten ihre Meldungen schon vorab versandt.
       Irgendwann erreichten uns die Mails der Abgeordneten. Die Deadlines
       endeten. Dann tat sich lange nichts mehr. Um 19.53 Uhr geschah etwas
       Unerhörtes: Die Studenten sprachen! Sie kritisierten scharf, zeigten "klare
       Grenzen auf" usw. Wahrscheinlich dachten sie, sie kämen wenigstens mit
       starken Worten um sieben Minuten vor acht noch in die "Tagesschau".
       Erfahren hat von der Mitteilung kein Mensch.
       
       Ja, das ist zutiefst ungerecht. Wie sollen junge Studierende die harten
       Gesetze des Medienbetriebs kennen? Geht es nicht viel mehr um die wichtigen
       Inhalte als um den Zeitpunkt des Absendens? Alles nicht falsch, aber eben
       auch nicht richtig. Nach zehn Jahren "Aktionsbündnis gegen Studiengebühren"
       (ABS) muss man erwarten können, dass die Studenten wissen, ob sie Lobby
       oder Weltverbesserer sein wollen. Und dass sie das Handwerk können. Sind ja
       keine kleinen Kinder mehr.
       
       Das ABS wird jetzt 10 Jahre alt, und man muss sagen: Es ist ein Irrtum der
       Geschichte. Kein Wunder, dass eine Mehrheit von Studierenden und
       Öffentlichkeit das ABS weder kennen noch sich für dieses rückwärtsgewandte
       Konglomerat von Besserwissern interessieren.
       
       Studiengebühren sind ein völlig korrekter Obolus, den man den Studierenden
       abverlangt - schließlich ziehen diese ungeheure Vorteile daraus, dass sie
       mit den Besten des Landes an sündhaft teuren Geräten Erkenntnisse fördern
       dürfen. Wer allen Ernstes einen monatlichen Beitrag von rund 83 Euro als
       Ungerechtigkeit und unüberwindliche soziale Schranke bezeichnet, weiß
       nicht, wovon er redet. Wie bitte sollte man dann noch Begriffe finden für
       die echten Skandale: Die Existenz von Sonderschulen, in denen
       Hunderttausende vom allgemeinen Bildungswesen ferngehalten werden? Die
       Tatsache, dass zwischen 37 Prozent (Bayern) und 79 Prozent (Hamburg) der
       Hauptschüler nur auf Grundschulniveau lesen können? Dass es unterhalb des
       Lehrlingswesens ein sogenanntes Übergangssystem gibt, in dem bis zu einer
       halben Million Jugendliche alles erringen, nur keinen Abschluss?
       
       Nein, die Studierenden sind nicht die Benachteiligten, sie sind die
       Krisengewinnler eines durch und durch ungerechten Bildungsunwesens, das die
       Zukunftschancen vieler talentierter Kinder zunichte macht.
       
       Das Interessante ist, dass seit der Pisastudie vor allem zwei Gruppen einer
       effektiven Reform dieses wilhelminisch angehauchten Privilegiensystems im
       Wege stehen: Das sind zum einen die Kultusminister, die auf die Verfassung
       geschworen haben, dass sie "die Sonderung der Schüler nach der
       wirtschaftlichen Leistungskraft ihrer Eltern" nicht zulassen - ohne ihrem
       Eid gerecht zu werden. Und das sind zum anderen die organisierten
       Studierenden. Anstatt ihrer Rolle als junge Intellektuelle zu erfüllen,
       missbrauchen sie das "Recht auf Bildung" für schnöde Interessenvertretung.
       Sie reiten den hehren Begriff zuschanden - nur damit sie weiter für lau
       studieren können. Das ist subjektiv ein vollkommen legitimes Interesse.
       Aber man möge es, bitte, nicht mit dem Lorbeer gesellschaftlicher
       Veränderung umkränzen.
       
       Höhepunkt der bigotten Kampagne des ABS war im vergangenen Herbst die
       Verleihung eines Preises namens "Chancentod des Jahres". Die Studenten
       haben allen Ernstes die Hamburger Grünen mit diesem Preis bedacht. Genau,
       sie unterstellen ausgerechnet jener Partei, die Bildungsgerechtigkeit zu
       verletzen, die gerade eine harte gesellschaftliche Auseinandersetzung mit
       der Upperclass ausficht - um die schreiende Ungerechtigkeit des Hamburger
       Schulsystems zu bekämpfen. Die Studenten haben sich nicht etwa auf die
       Seite der Grünen geschlagen. Sie sind ihnen in den Rücken gefallen, sie
       kämpfen Seit an Seit mit Pfeffersäcken gegen den Umbau des Schulsystems.
       Und das wegen Studiengebühren, die man nach dem Studium von
       Besserverdienern erhebt. Irre.
       
       In einigen Jahren wird es ohne Zweifel überall Studiengebühren geben,
       moderate. Zugleich wird man verstanden haben, dass man
       Bildungsgerechtigkeit nicht an den Hochschulen herstellen kann, sondern in
       Kindergärten, Schulen und auf dem zweiten Bildungsweg. Und das ABS? Hat das
       kapiert oder geht unter. Besser, es hätte es nie gegeben. CHRISTIAN FÜLLER
       
       8 Apr 2009
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Füller
 (DIR) Klemens Himpele
       
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