# taz.de -- Abenteuer im Krisengebiet: Beirut - the place to see?
       
       > Laut "New York Times" ist Beirut Spitzenreiter der Must-Sees. Ein Besuch
       > der arabischen Stadt mit ihrem Nachtleben und ihren Schlaglöchern
       
 (IMG) Bild: Corniche, die Strandpromenade von Beirut
       
       Was haben wir gefeiert!", schwärmt Ruth Abcarius, 75. Seit 50 Jahren lebt
       die Wahllibanesin im einst schicken Beiruter Vorort Baabda in den heute
       willkürlich und stark besiedelten Bergen, die die libanesische Hauptstadt
       umschließen. Die Liebe zog sie 1958 aus dem tristen Nachkriegsdeutschland
       in die damals mondäne Stadt an der Levante. In den noblen Hotels an der
       Corniche, der Strandpromenade von Beirut, traf die junge Journalistin
       damals den internationalen Jetset.
       
       Man ging oft aus, frühstückte danach in einem der kleinen Restaurants, die
       die ganze Nacht geöffnet waren. Viele dieser kleinen Restaurants sind nun
       von allgegenwärtigen US-Fastfood- und Coffeeshop-Ketten verdrängt worden.
       Doch natürlich gibt es sie auch noch, die gute libanesische Küche in allen
       Preisklassen. Ein Grund, weshalb die New York Times Beirut unlängst auf
       Platz eins ihrer Reiseempfehlungen setzte. Frau Abcarius kann diese Wertung
       nicht nachvollziehen. "Was ist nur aus diesem Land geworden!", empört sie
       sich. "Die Korruption, der tägliche Verkehrsinfarkt, die
       Umweltverschmutzung und das wilde Bauen haben überhandgenommen. Und das
       bisschen, was glänzt und wiederaufgebaut ist" - sie meint die Fußgängerzone
       im Herzen Beiruts -, "ist künstlich, überteuert, amerikanisiert." Es ist
       der einzige Ort der Stadt, an dem man nicht über Schlaglöcher stolpert und
       entlang teurer internationaler Designerboutiquen flanieren kann. Der 2005
       ermordete Ministerpräsident Rafiq Hariri baute das Stadtzentrum mit Geld
       aus dem panarabischen Immobilienfonds "Solidere" wieder auf. Es wirkt ein
       wenig wie Disneyland. Wer das geleckte, sandsteinfarbene Geschäftsviertel
       betreten möchte, muss seine Taschen von Soldaten kontrollieren lassen.
       
       Ruth Abcarius kennt Beirut aus der Zeit, als es eine nach Jasmin, Oleander
       und Orangenbäumen duftende Villenstadt war. Die Häuser aus osmanischer und
       französischer Mandatszeit standen in Schönheitskonkurrenz miteinander.
       Davon ist nicht mehr viel übrig. Nur wenige Ecken in Beirut sind als
       "Viertel mit traditionellem Charakter" ausgewiesen. Ruth Abcarius fragt
       sich beim Spaziergang im christlichen Viertel Ashrafiye, ob der
       "traditionelle Charakter" nicht eher durch die Bürgerkriege als durch die
       vergangene goldene Zeit geprägt ist. Denn die wenigen erhaltenen Häuser mit
       den großen Veranden und den osmanischen Elementen sind, wie so viele
       Gebäude, deutlich von den Spuren des Bürgerkriegs und des Verfalls
       gezeichnet: Einschusslöcher, abgeblätterte Fassaden, Risse in den Wänden,
       halb verfallene Häuser, klaffende Wunden aus der Zeit, als Morde und Bomben
       an der Tagesordnung waren.
       
       Neben architektonischen Relikten wachsen anonyme Hochhäuser mit
       Glasfassaden in den Himmel. Beiruts Stadtbild ist eine Mischung aus den
       schmutzigsten Ecken Tel Avivs und Istanbuls mit einem Schuss Potsdamer
       Platz. Wer Abenteuer sucht, für den steht Beirut ganz oben auf der Liste zu
       bereisender Ziele. Doch das Auswärtige Amt rät bei Reisen in den Libanon zu
       erhöhter Vorsicht und spricht Warnungen für viele Regionen des Landes aus.
       Wie kommt die kriegsversehrte levantinische Metropole zu der Ehre,
       Washington, D. C. und die Galapagosinseln auf die Plätze zwei und drei der
       "Must-Sees" zu verweisen?
       
       Das kulturelle Leben beschränkt sich fast ausschließlich auf die
       Veranstaltungen des Institut Français und des Goethe-Instituts, einige
       wenige private Galerien und einige Festivals im Sommer. Zwar wird mehr
       geboten als in anderen arabischen Ländern, doch nicht viel mehr als in
       einer deutschen Kleinstadt. Legendär ist nur das Nachtleben. Der Libanon
       ist das einzige arabische Land, in dem Prostitution legal ist. Beirut hat
       die einzige schwul-lesbische Disco der Arabischen Welt. Im Sommer tummeln
       sich in den Nachtclubs viele Touristen aus Saudi-Arabien und den
       Golfstaaten, die den Restriktionen ihrer Länder entfliehen wollen.
       
       Naji Gebran, 47, ist ein angesehener Mann. Er besitzt zwei Diskotheken, das
       BO18 und das BO18 Classic, in dem donnerstags die angesagten
       80er-Jahre-Partys steigen. Drinks kosten hier so viel oder sogar ein
       bisschen mehr als in vergleichbaren Clubs in Deutschland. Harte
       Türkontrolle sorgt dafür, dass nur wohlhabende Männer und schöne,
       freizügige Frauen reingelassen werden. Der Mindestlohn im Libanon beträgt
       250 US-Dollar pro Monat, so viel kostet der preiswertere Champagner im
       BO18. Man fährt mit dem Auto in die Disco, auf dem Parkplatz stehen
       ausschließlich Luxusschlitten. Trotz seines Alters und "gerade wegen der
       angespannten Lage" in seinem Land liebt Naji das Nachtleben.
       
       Die große Politik ist dem verheirateten sunnitischen Muslim, der mit
       Alkohol und Mädchen so hedonistisch wie ein deutscher Clubbesitzer lebt,
       zuwider. "Jeder kümmert sich in dieser Bananenrepublik nur um seins, warum
       soll ich mich nicht auch nur um meins kümmern?", sagt er. Als im letzten
       Krieg die Polizei plötzlich in seinem Club anrückte, schmissen die
       Discogänger ihre Drogen einfach auf den Boden. Nach herrschendem Recht ist
       er als Clubbetreiber für das gefundene Kokain und Ecstasy verantwortlich.
       Also musste er sich ein wenig mit den Behörden ärgern, ein anständiges
       Schmiergeld zahlen und war fortan der Ansprechpartner der Behörden, wenn es
       um Regulationen, Verbote oder neue Genehmigungen der Beiruter Clubbetreiber
       geht. "Ich bin der Minister des Beiruter Nachtlebens!", lacht er mit seiner
       rauchigen Stimme. "Ich liebe das Leben!" Frau Abcarius kommentiert trocken:
       "Ja, feiern können sie, die Libanesen. Das ist auch alles."
       
       Gemmayze liegt im christlichen Ostteil von Beirut: Luxuriöse Autos, viele
       gepanzert, stauen sich um Mitternacht in den schmalen Gassen. Aus den Boxen
       der Mercedesse, BMWs und Ferraris schallen Technomusik oder traditionelle
       arabische Klänge, die Lautstärke aufgedreht bis zum Anschlag. Grüppchen
       wohlfrisierter Frauen stöckeln mit ihren eleganten Begleitern in tief
       aufgeknöpften, gestärkten Hemden über die kaputten Straßen. Die in Beirut
       allgegenwärtigen Schlaglöcher stammen noch aus der Zeit, als die
       israelische Armee 1982 Jagd auf Jassir Arafat und seine PLO machte und die
       Straßen mit Panzern demolierte. Auch hier zeugen Einschusslöcher von der
       Gewalt, die Beirut und den Libanon jahrzehntelang beherrschte. Doch das
       scheint niemanden zu interessieren. In Gemmayze beherbergt fast jedes Haus
       eine Bar oder ein Restaurant, in dem Alkohol auch unter der Woche bis
       frühmorgens in Strömen fließt. Zumindest in der fünfmonatigen Sommersaison,
       die von Mai bis September hunderttausende Auslandslibanesen zurück ins Land
       lockt. Dann wird der Himmel über Beirut allabendlich von mehreren
       Feuerwerken erleuchtet, denn viele der rund acht bis zehn Millionen
       Auslandslibanesen heiraten im Sommer in der Heimat, und pompöse Zeremonien
       gehören in diesem Land einfach dazu.
       
       "Die Atmosphäre ist schon eine ganz besondere", sagt Hans K., deutscher
       Ingenieur, der für eine internationale Firma Wiederaufbauprojekte im ganzen
       Land betreut. "Man merkt den Menschen an, dass sie leben wollen, sie
       feiern, als gäbe es kein Morgen. Die jungen Frauen betonen ihre
       Jungfräulichkeit und fragen schon beim ersten Rendezvous, ob man heiraten
       will. Kaum merken sie, dass man harte Euros verdient, gehen sie aufs
       Ganze." Aber auch für die modernen, freizügigen Christinnen spielt die
       Jungfräulichkeit in der oftmals arrangierten Ehe eine Rolle: In den
       zahlreichen Privatkliniken Beiruts boomt neben der plastischen auch die
       rekonstruktive Chirurgie. Die Jungfernhäutchen der jungen, reichen Schönen
       werden vor der Hochzeit wiederhergestellt.
       
       Verlässt man die Teile des neuen, glitzernden Beirut der meist christlichen
       und reichen sunnitischen Einwohner, beginnt das schmutzig-staubige Arabien.
       Ein normaler New Yorker Tourist wäre spätestens hier irritiert über die
       Reiseempfehlung der größten US-amerikanischen Zeitung. Im Libanon 2009
       gilt, wie der Deutsche nach einschlägigen Erfahrungen mit den lokalen Damen
       durchschaut: "Ganz klar: Mehr Schein als Sein." Vielleicht sind sich
       Beiruter und New Yorker doch näher, als man denkt.
       
       14 Feb 2008
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jasna Zajcek
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Libanon
       
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