# taz.de -- Unchristlicher Wahlkampf ohne Ethik: Du sollst nicht lügen!
       
       > Die Wahrheit ist das erste Opfer des Wahlkampfs zum Volksentscheid.
       > Gegner wie Befürworter von "Pro Reli" haben sich schwer versündigt gegen
       > das achte Gebot.
       
 (IMG) Bild: Ausriss aus dem Stimmzettel, den die Berliner am Sonntag bekommen
       
       Für alle die im Religionsunterricht geschlafen oder ihn komplett versäumt
       haben: Das achte der berühmten Zehn Gebote lautet in seiner Kurzform: "Du
       sollst nicht lügen!" Oder noch genauer, in der hübsch verschnörkelten
       Sprache der Bibel: "Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen
       Nächsten." Jedoch: Auf einem Transparent von "Pro Reli", das etwa an der
       Adalbert-Kirche in Mitte hängt, heißt es: "Wir glauben nicht, dass man auf
       Religionsunterricht verzichten kann. Freie Wahl zwischen Ethik und
       Religion." Das ist der ganze Text. Wer ihn liest, muss glauben, dass
       Schüler auf Religionsunterricht verzichten müssten - und dieser Eindruck
       ist falsch.
       
       In Wirklichkeit geht es um eine andere Frage. Doch sie ist zu profan, zu
       kleinteilig, um damit die Massen zu mobilisieren. Also wird getrickst und
       geblufft und der Volksentscheid so lange mit Bedeutung aufgeblasen, bis man
       glaubt, damit die erhoffte Wirkung zu erzielen.
       
       Am Sonntag geht es um die Frage, wie attraktiv der Religionsunterricht sein
       soll. Bisher können die Kirchen von der ersten bis zur letzten Klasse
       freiwilligen Religionsunterricht anbieten - aber nur zusätzlich zu den
       anderen Unterrichtsfächern. Die Kirchen wollen, dass die Schüler, die sich
       für "Reli" entscheiden, im Gegenzug keinen Ethikunterricht mehr haben. Das
       soll mehr Schüler in den Religionsunterricht treiben.
       
       Man kann dieses Anliegen falsch oder richtig finden. Nur die Werbekampagne
       für den Volksentscheid, die mehr aus Desinformation als aus Aufklärung
       besteht, geht schon in ihrem Grundton völlig am Kern vorbei. "Pro Reli"
       behauptet: "Es geht um die Freiheit." Auf einer Website sollen die Berliner
       "Lichter für die Freiheit" entzünden. Der Quizmoderator Günther Jauch wirbt
       auf Großflächenplakaten mit dem Spruch: "In Berlin gehts um die Freiheit.
       Sagen Sie nicht, Sie hätten keine Wahl gehabt." Wer das sieht, kann den
       Eindruck haben, der rot-rote Senat wolle das Land Berlin in eine Diktatur
       verwandeln. Jeder Berliner, der mit Ja stimmt, kann so das Gefühl haben,
       selbst einmal zum Freiheitskämpfer zu werden. Fast ein bisschen wie die
       Geschwister Scholl.
       
       Auch die Gegenseite schießt weit über das Ziel hinaus. Auf dem Plakat der
       Linkspartei steht: "Religion ist freiwillig. Damit das so bleibt, am 26.
       April mit Nein stimmen!" Dabei will ja überhaupt niemand Religion oder den
       Unterricht zur Pflicht machen.
       
       Es gäbe so viele zulässige Argumente gegen die Ziele des Volksentscheids.
       Doch die Linkspartei setzt nicht auf Aufklärung. Sie nimmt auch nicht die
       falsche Freiheits-Argumentation der Kirchen auseinander. Sondern sie zielt
       selbst am Kern der Sache völlig vorbei. Klar, damit kann man die eigenen
       Anhänger leichter mobilisieren. Aber es ist zutiefst zynisch, von einem
       dummen Wahlvolk auszugehen und es durch so eine Kampagne weiter zu
       verdummen. Die Bürger als Souverän können mehr Respekt erwarten.
       
       Der Volksentscheid wirft auch ein Schlaglicht auf die Kultur der
       politischen Debatte in Berlin und darüber hinaus: Wenn schon bei so einem
       vergleichsweise kleinen Thema so viel getrickst wird, wie sieht es dann
       erst bei den großen Fragen aus? Bei denen vielleicht auch alles etwas
       komplizierter ist und sich Lügen nicht so leicht entlarven lassen?
       
       Natürlich gibt es auch viele Plakate mit zulässigen Argumenten. Etwa von
       der SPD: "Religion oder Ethik? Wir machen beides!" Oder von der Initiative
       "Pro Ethik": "Ethik: Gemeinsam, nicht getrennt". Doch auch der Senat
       argumentiert nicht fair. SPD-Bildungssenator Jürgen Zöllner sagte: "Jeder,
       der dann nicht in den Ethikunterricht geht, ist aus meiner Sicht ein
       Verlorener für die staatliche Aufgabe der Integration." Für ihn gebe es
       "keinen Zweifel, dass ein erfolgreicher Volksentscheid die wichtige
       Integrationsaufgabe der Schulen gefährdet." Ethikunterricht ist zwar
       wichtig für die Integration - aber sicher nicht der alles entscheidende
       Faktor. Integration ist schließlich eine Aufgabe der gesamten Schule, nicht
       nur des Ethikunterrichts.
       
       Bernhard Schlink, Romanautor und Juraprofessor, sagte im Interview mit dem
       Tagesspiegel: "Ich hatte gehofft, die Kirchen würden für ihr politisches
       Engagement eine wahrhaftigere Sprache finden als die politischen Parteien."
       
       Doch am Ende trafen sich beide Seiten auf dem gleichen, niedrigen Niveau.
       Zerstörte Plakate, Gegendarstellungen und ein Eilverfahren um die Frage,
       wer wann wie und mit welchen Finanzmitteln etwas sagen darf oder nicht. So
       sieht er aus, der Streit über die Vermittlung der grundlegenden Werte.
       
       Katholiken immerhin sind im Vorteil. Wenn sie Buße tun und ein paar "Ave
       Maria" beten, werden ihnen alle Sünden vergeben.
       
       24 Apr 2009
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Sebastian Heiser
       
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