# taz.de -- Nackt bis auf den Penisköcher: Traditionell keine Kleider
       
       > Eine Wanderung durch das Hochland der indonesischen Provinz Papua zu
       > einer erst vor wenigen Jahrzehnten von Weißen entdeckten Kultur
       
 (IMG) Bild: Kinder auf Biak Island, West Papua, beim Fischen
       
       Dem ersten Nackten begegnen wir schon in der Ankunftshalle des Flughafens
       von Wamena. Nackt ist nicht ganz richtig, schließlich trug der Mann vom
       Volk der Dani seinen traditionellen, aus einer länglichen Kalebasse
       hergestellten und mit Schnüren um Taille und Scrotum befestigten
       Penisköcher.
       
       Wamena im zentralen Hochland der indonesischen Provinz Papua, die früher
       Irian Jaya hieß, ist eine Gründung von Missionaren. Von hier aus erreicht
       man die Dörfer der Dani nur zu Fuß. Eine richtige Karawane zieht da los:
       zwei Besucher, der Führer und Dolmetscher Melchior, drei Träger und ein
       Koch. Dafür sollten wir noch sehr dankbar sein - auch weil es selbst ohne
       Gepäck mitunter schwierig ist, auf den teilweise steilen und glitschigen
       Wegen nicht auszurutschen. Dankbar aber auch, dass wir nicht nur auf die
       Küche der Dani angewiesen waren: in der Glut gegarte ungesalzene
       Süßkartoffeln, eine gekochte Frucht, die nach Moder schmeckt, und eine
       schleimige Substanz, die aus dem Mark der Sagopalme gewonnen wird.
       Süßkartoffeln prägen nicht nur die Küche, sondern auch die Landschaft. An
       den steilen Hängen kleben winzige Terrassen, auf denen die Knollen angebaut
       werden.
       
       Überall begegnen einem Frauen mit Netzen, die von der Stirn auf den Rücken
       hängen und in denen sie Süßkartoffeln und ihre Babys tragen. Als Frau
       begrüßt man alle Leute mit einem lang gezogenen "La-uuk". Männer haben es
       schwerer: Sie müssen Männer und Frauen unterschiedlich anreden. Darauf
       folgt ein sehr langer Händedruck, der überraschend weich ist dafür, dass
       die Hände unglaublich hart und schwielig sind. Am späten Nachmittag
       klettern wir noch über eine letzte kleine Mauer und kommen in einem Dorf
       an: einer Ansammlung strohgedeckter Hütten, in denen offenbar zwei
       Großfamilien leben. Ein Mann kann sich hier mehrere Frauen nehmen - wie
       viele, hängt von der Anzahl der Schweine ab, die er für sie aufbringen
       kann.
       
       Das Begrüßungskommando steht schon bereit, ein paar Männer mit Penisköcher
       und eine Frau mit Bastrock. Überall, wo Touristen auftauchen, stellen sich
       einem vor allem ältere Männer mit "ihren traditionellen keinen Kleidern",
       wie unser Führer das ausdrückte, in den Weg. Nun heißt es fotografieren -
       und zahlen. Für sie ist es eine der wenigen Einkommensquellen in einer
       Gesellschaft, die inzwischen von der monetären Wirtschaft eingeholt wurde.
       Als wir gerade mit dem Knipsen fertig sind, kommt eine andere Frau dazu,
       wie die meisten Dani in ganz normale, wenn auch ärmliche westliche Kleider
       gehüllt. Sie zieht noch im Laufen ihr T-Shirt nach oben über ihre Brust und
       lacht, und auch ohne Dani-Kenntnisse ist unschwer zu erkennen, dass sie
       sich über das Nackten-Geschäft mit den Touristen lustig macht.
       
       Die Männer schlafen gemeinsam in den runden Hütten, in den eckigen die
       Frauen. Da Textilien für die Dani eine relativ neue Sache sind und da die
       Temperatur nachts deutlich unter 10 Grad fällt, drängt man sich beim
       Schlafen dicht auf einem Holzgitter zusammen, unter dem zuvor ein kleines
       Feuer entzündet wurde. Für die Touristen gibt es glücklicherweise eine
       eigene Hütte, in der wir unsere Schlafsäcke ausrollen können.
       
       Die Dani sind mir schon einmal begegnet - in einem Dokumentarfilm. "Dead
       Birds" von Robert Gardner entstand Anfang der 1960er-Jahre, nur etwa 25
       Jahre nachdem das Baliem-Tal von Weißen entdeckt worden war. Der Film ist
       ein Klassiker, aber nicht unumstritten, weil einige Szenen offenbar
       gestellt waren und die Dani nie selbst zu Wort kommen. Trotzdem hat er mich
       beeindruckt.
       
       Die Männer schienen mit nicht viel anderem als einem ritualisierten, aber
       dennoch immer wieder tödlichen Dauerkrieg mit den Nachbardörfern
       beschäftigt - mit Wachestehen, Anschleichen und Kämpfen, während die Frauen
       für die Ernährung sorgten. Einmal kam auch ein kleiner Junge ums Leben,
       Frauen ließen sich zum Zeichen der Trauer Fingerglieder abhacken. Ältere
       Frauen mit verstümmelten Händen trifft man immer noch. Heute finden die
       Kriege meist nur noch in Form von "mock wars" statt, gespielten Kriegen für
       die Touristen.
       
       Das ganze Dorf wartet schon auf unsere Ankunft, Männer und Frauen in
       traditionellem Outfit, die Frauen teilweise mit weißen Punkten bemalt, die
       Männer mit Federkronen auf dem Kopf und großen Eberzähnen in der Nase. Vor
       dem Dorf klettert ein Mann auf einen Wachturm aus Bambus, die anderen gehen
       unterdessen im hohen Gras in Stellung. Es folgen ein paar Vorstöße mit
       Speeren und Pfeilen in Richtung der Gegengruppe. Anschließend schütteln
       sich alle die Hände und sagen in einem fort "wah wah wah", was Danke heißt.
       Noch ist es eine exklusive Darbietung nur für uns, sie ist aber auf dem
       besten Weg, eine Kommerzveranstaltung zu werden wie die Tänze der
       Massai-Krieger in Kenia, zu denen die Touristen scharenweise angekarrt
       werden.
       
       Anschließend wird ein Schwein geschlachtet - oder vielmehr mit einem Pfeil
       erlegt - und im Erdofen gegart. Dafür werden stundenlang erhitzte Steine in
       eine mit frischem Gras ausgelegte Kuhle gelegt, es folgen Blattgemüse, die
       unvermeidlichen Süßkartoffeln und die Fleischteile und schließlich wieder
       Gras, bis sich ein kleiner Turm gebildet hat, der mit Bast verschnürt wird.
       Nach zwei Stunden ist alles fertig. Die Männer sitzen in einer Gruppe auf
       dem Dorfplatz und bekommen zuerst serviert. Anders als früher dürfen sich
       dann auch die Frauen vom Fleisch nehmen.
       
       Die Pfeile kommen immer noch gelegentlich zum kriegerischen Einsatz: gegen
       indonesische Soldaten. Melchior berichtet von einem Angriff von Dörflern
       auf die Stadt Wamena vor mehreren Jahren anlässlich einer
       Auseinandersetzung um das Hissen der verbotenen Flagge von Papua. Dabei
       wurden angeblich zahlreiche Javaner getötet. Wie viele Papua die Soldaten
       töteten, sagt er nicht.
       
       Als ich mich später in einem Restaurant in Wamena noch einmal nach der
       Episode erkundige, steht ihm buchstäblich Angst ins Gesicht geschrieben.
       Über so etwas spreche man hier nicht, flüstert er. Verstohlen zeigt er
       später das Display seines Handys: ein Christus mit der papuanischen Flagge
       - blau-weiße Streifen und ein weißer Stern auf rotem Grund.
       
       Abends treffen wir uns im Hotel mit einer indonesischen Ethnologin. Nach
       den Vorfällen befragt, verstummt die eben noch begeistert von den
       Traditionen der Dani erzählende Frau. "Das gehört nicht zu meinem
       Forschungsgebiet", presst sie schließlich hervor. "Es gibt Orte, wo man
       über bestimmte Dinge nicht sprechen sollte." Dabei macht sie mehrmals eine
       Geste, dass ihr Mund verschlossen ist.
       
       Kurze Zeit später steht eine kleine Meldung aus Papua in der Jakarta Post:
       Als indonesische Militärs an einem Haus vorbeikamen, in dem sich ein paar
       junge Männer versammelt hatten, vermuteten sie sogleich separatistische
       Umtriebe. Sie forderten die Männer auf herauszukommen, feuerten Warnschüsse
       ab, und hinterher war einer der Jugendlichen tot. Freunde macht sich die
       Regierung im fernen Jakarta hier nicht.
       
       30 Apr 2009
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Nicola Liebert
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Reiseland Indonesien
       
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