# taz.de -- Badekur in Ungarn: Ein großes, befriedetes Planschbecken
       
       > Ein Cadillac, Schwefeldämpfe und die Hoffnung auf Heilung. Der Thermalsee
       > in Hévíz weltweit der einzige, der zu therapeutischen Badezwecken genutzt
       > wird.
       
 (IMG) Bild: Mit dem Schwimmreif im Thermalsee Héviz, Ungarn
       
       Angefangen hat alles mit einem Cadillac. Einem, den der Sammler jeden
       Sonntag durch Frankfurt am Main ausführte. Den er so liebte, dass er ihn
       prophylaktisch behandelte. Für den befürchteten Fall eines Achsbruches
       hatte der Sammler als Ersatz irgendwo eine Hinterachse aufgetan. Sein
       Freund Karl-Heinz Berg aus dem nahen Butzbach half beim Transport: Er
       packte mit an, als es daran ging, das schwere Stück Metall aus dem Bulli in
       die Garage zu hieven.
       
       „Und da hat es hinten knacks gemacht“, erzählt der 69-Jährige. Irgendetwas
       war kaputt gegangen, mit Langzeitschäden für die Bandscheiben. Von Glück
       sagt er heute, dass es den Heilsee in Hévíz gibt. Seit 1989 kommt Herr Berg
       zweimal jährlich, um in dem weltweit einzigartigen Thermalgewässer nahe des
       Plattensees zu kurieren. Nie mehr musste er sich vom Arzt „hochspritzen
       lassen“ oder Medikamente gegen Schmerzen schlucken: „Das hat richtig was
       geholfen“, sagt Herr Berg über seine langjährige Badekur. Aber nicht nur
       für ihn, der an diesem Tag mit schwarzer Badehose und einem Schwimmreif
       über der Schulter sein Bad schon hinter sich hat, ist Hévíz eine Segnung.
       Schon die Römer hatten die heilende Kraft des eigentümlich warm sprudelnden
       Wassers entdeckt, wie historische Funde in der Nähe vermuten lassen.
       
       Heute ist Hévíz ein großes befriedetes Planschbecken für die Betagten.
       Umzäunt und mit begradigten Ufern hat der auch im Winter nie kälter als 24
       Grad warme See in der Größe von gut sechs Fußballfeldern etwas von einem
       beheizten Freibad, würden nicht wichtige Merkmale fehlen: kreischende
       Kinder, Pommesgeruch, balzende Jugend und schwimmende Menschen. Allzu
       anstrengende Bewegung ist im leicht radioaktiven Wasser nicht empfohlen,
       aber keine Bange: Der Gehalt an Radiumsalzen ist so gering, dass er für
       Erwachsene eher gesund ist. Kinder dürfen erst ab zwölf Jahren ins warme
       Nass, das im Sommer fast die Temperatur der Quelle am Grund erreicht: 38
       Grad. So treiben die Kurgäste in ihren Schwimmreifen hängend umher. Das
       Wasser ist wegen der Quelle immer in Bewegung. Manche machen an den im
       Grund verankerten Längsstangen fest, legen die Füße hoch, nehmen eine
       Sofastellung ein.
       
       Fast scheint es, als müsse die Abwesenheit kindlicher Unbeschwertheit durch
       die massenhafte Verwendung der Schwimmreifen kompensiert werden. Dabei hat
       es einen handfesten Grund, sich mit dem obligatorischen Accessoire eines
       Nichtschwimmers auszustatten, denn das schwefelige Nass dampft und kann
       sprichwörtlich benebeln: „Die Inhalation geht auf den Kreislauf, wer labil
       ist, kippt um“, erläutert Berg.
       
       Im Winter, wenn Luft- und Wassertemperatur stark voneinander abweichen,
       hängt eine isolierende Dunstglocke über Hévíz. Dann ist der See in Herrn
       Bergs Vorstellung wie eine riesige Suppenschüssel. Nur dass nicht junges
       Gemüse, sondern mit Schwefel, Kohlensäure, Kalzium, Natron, Magnesium,
       Hydrokarbonat und einer strahlenden Prise Radon „gekocht“ wird. Schnöde
       Karpfen fühlen sich ebenso wohl wie Seerosen, die um 1900 noch weitaus mehr
       Wasseroberfläche als heute bedeckten. Bedeckter waren damals auch die
       Körper.
       
       Im Kampf gegen Stechmücken wurde 1937 der Koboldkärpfling ausgesetzt. Er
       frisst die Larven. Libellen tanzen im Schilf, wo die natürliche Vegetation
       noch gedeiht. Mitte des letzten Jahrhunderts wurde endgültig erwiesen, dass
       das Wasser müde Knochen munter machen kann - bei Rheuma, Osteoporose,
       Erkrankungen des Bewegungsapparates und nach Operationen.
       
       Hévíz ist ein Hort der berechtigten Hoffnung auf Genesung und eine
       balneologische Erfolgsgeschichte. Im Jahr 2007 kamen erstmals über eine
       Million Gäste, wie Agnes Liscsinszky, PR-Managerin in Hévíz, sagt. Seit
       Wendezeiten boomt das Geschäft, in Hévíz soll das Pro-Kopf-Einkommen eines
       der höchsten in Ungarn sein.
       
       Im Schnitt kommen jährlich rund 700.000 Gäste, die meisten aus Deutschland
       und Österreich. „Hévíz ist der einzige Thermalsee weltweit ist, der zu
       balneologischen Zwecken genutzt wird“, sagt Fremdenführerin Adelheid Tóth.
       Dieter Stoppel von der Deutschen Gesellschaft für Geowissenschaften meint:
       „Der See ist eine absolute Seltenheit.“ Den Grundstein für das Kur- und
       Heilbad Hévíz, ja die ganze Spa-Industrie am Ort legte Graf György
       Festetics Ende des 18. Jahrhunderts, als er damals am noch unbefestigten
       Ufer ein erstes hölzernes Umkleidehäuschen errichten ließ. Zu dieser Zeit
       wurde das Wasser erstmals wissenschaftlich analysiert. Mit den
       fortlaufenden Untersuchungen wurde aber auch festgestellt, dass immer
       weniger Thermalwasser in das trichterförmige Becken den Weg aus den
       geothermischen Tiefen fand.
       
       Wie das damalige DDR-Organ Neues Deutschland Anfang der 1980er Jahre
       berichtete, erneuerte sich das Wasser des Sees damals innerhalb von 24 bis
       30 Stunden. Doch er brauchte immer länger für die Selbstreinigung. „Die
       besten Sporttaucher des Landes“ machten sich auf die Suche nach der
       allmählich versiegenden Heilquelle, die vor mehreren tausend Jahren
       erstmals Wasser preisgegeben hatte. Auf dem Grund in knapp 40 Metern Tiefe
       fanden die Wassermänner eine Höhle, „die nur einen schmalen Zugang hat und
       zuvor noch nie von einem Menschen betreten worden war“, schrieb das ND im
       Mai 1983. Dort entdeckten die Taucher, dass der See von zwei Quellen
       gespeist wird: einer, die rund 40 Grad warmes Thermalwasser hervorbringt,
       und einer Kaltwasserquelle von 17 Grad. Sie entdeckten auch, dass Geröll
       und Schlamm die Wasserzuflüsse buchstäblich verstopften. In Tausenden
       Tauchgängen schafften die Spezialisten alles zur Seite und fanden Relikte
       vergangenen Kurbetriebs wie Schmuck und Brillen. „Dem großen Mut dieser
       Männer“ sei es zu verdanken, dass sekündlich „sogar 15 bis 20 Liter
       Thermalwasser mehr als zuvor in den See strömen“, schloss der Artikel.
       
       Das aus Sicht der Kurgäste erfreuliche Ergebnis der Unterwasserexpedition
       mussten damals jedoch zwei Taucher mit ihrem Leben bezahlen. Sie hatten
       nicht gewusst, dass in dem warmen Thermalwasser weitaus längere
       Dekompressionspausen beim Auftauchen hätten eingelegt werden müssen. Für
       die Kurgäste lauern weitaus weniger Gefahren, es gibt aber dennoch
       „Kontraindikationen“, wie es Mediziner nennen: So eignet das Bad sich wegen
       der leichten Radioaktivität nicht zur Krebstherapie, es befördert das
       Wachstum von Tumoren sogar. Auch für Herz- und Kreislaufkranke wie für
       Lungenasthmatiker ist Hévíz kein Quell der Gesundheit. Dagegen kann es für
       Frauen, die Probleme haben, schwanger zu werden, wegen der minimalen
       Strahlung die entscheidende Stimulation bedeuten. Ohne ärztlichen Rat aber
       sei ein Bad von über dreißig Minuten nicht empfohlen, verheißt die
       Badeordnung.
       
       An die halten sich aber längst nicht alle. Ein Ehepaar aus Kassel dümpelt
       schon eine Stunde herum, den Reif „nur für die Gemütlichkeit“ dabei. Ein
       Bad schadet nicht, „nach vierzehn Tagen merken Sie aber schon was“, so der
       Tipp. Ein älterer Herr nimmt sich ein paar gemächliche Kraulbewegungen
       heraus. Als „Rettungsboot“ treibt ein Ruderboot durch die Seerosen. Ein
       schwimmendes Kaffeekränzchen von fünf Damen mit Hüten aber ohne Kaffee
       sinniert über die Jugend, die am Plattensee wenigstens den ganzen Tag baden
       könne. Die Konversation treibt dahin. Gehalten von dem Auftrieb der
       Schwimmgeräte.
       
       Von Interesse ist indes nicht nur der eigene Gesundheitszustand, sondern
       auch das Befinden des Sees. Mittlerweile würden sämtliche Hotels im Ort
       Wasser vom See abzapfen, sagt ein Stammgast mit breitem bayerischen Akzent
       und befürchtet, das Wasser könne bald ausgehen. Eine Badende mahnt: „Ohne
       den See würde es Hévíz doch gar nicht geben.“ Jedenfalls wird dem See
       Schlamm vom Grund entnommen. Immer mehr Hotels am Ort bieten Packungen mit
       „Hévízer Heilschlamm“ an. Im 18. Jahrhundert sah man die Magie von Hévíz
       unkompliziert: In einer wissenschaftlichen Arbeit hieß es: „Hévíz ist gut
       für die nach der harten, täglichen Arbeit Ermüdeten, weil das Wasser des
       Sees sie frisch macht, aber Hévíz tut auch den Nichtstuern gut, weil das
       Wasser sie zur Arbeit aufmuntert.“
       
       4 Jul 2009
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Stefan Robert Weissenborn
       
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 (DIR) Reiseland Ungarn
       
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