# taz.de -- Nach Mord an Ägypterin in Dresden: Boykottaufruf gegen deutsche Arzneien
> In Ägypten gibt es derzeit kein anderes Thema als den Mord an der jungen
> ägyptischen Mutter im Dresdner Landegerichtssaal. Die Menschen beklagen
> Islamfeindlichkeit in Deutschland.
(IMG) Bild: Rassismus-Vorwürfe gegen Deutschland: Protest in Kairo.
KAIRO taz | „Schwangere Deutsche in Ägypten erstochen!“ Was wäre da los.
Wie würden die deutschen Medien berichten, wie würden die Deutschen
reagieren, fragt der aufgebrachte junge ägyptische Blogger Hischam Maged.
„Wie würde darüber berichtet, wenn eine westliche Frau irgendwo auf der
Welt – Gott verbiete im Nahen Osten – von einem muslimischen Extremisten
niedergestochen worden wäre? schreibt er. Eine Frage, in der eine Menge
Wut, Fassungslosigkeit und Ärger steckt.
Denn das war die Grundstimmung bei der Beerdigung Marwa Al-Scherbinis in
der ägyptischen Hafenstadt Alexandria am Montag. Es gibt in Ägypten diese
Woche kein anderes Thema als den Mord an der jungen ägyptischen Mutter im
Dresdner Landegerichtssaal. Die Trauerfeier in Alexandria wurde zur Anklage
gegen die deutsche Politik und Islamfeindlichkeit in Deutschland. „Warum
wurde Marwa getötet?“ heißt es auf einem Plakat, dass einer der gut tausend
ägyptischen Trauernden hochhielt. Einige Heißsporne riefen „Nieder mit
Deutschland“ und forderten gar Rache. „Vor mehr als 20 Jahren habe ich an
der deutschen Schule in Alexandria mein Abitur gemacht. Ich war immer stolz
drauf. Seit dieser Woche schäme ich mich dafür,“ heißt es in einem
Leserbrief in der ägyptischen Tageszeitung Al-Masry Al-Youm.
Die 32 Jahre alte, im vierten Monat schwangere Apothekerin aus Alexandria
war am vergangenen Mittwoch von einem 28 Jahre alten Russland-Deutschen
Alex W. im Gerichtssaal mit 18 Messerstichen getötet worden. Ihr drei Jahre
alter Sohn musste die Bluttat mit ansehen. Doch damit nicht genug. Ihr
Ehemann wurde schwer verletzt, als er sich schützend vor seine Frau
stellte, nicht nur von den Messerstichen des Angreifers, sondern von den
Schüssen aus der Pistole eines Gerichtswärters, der offensichtlich den
Ägypter für den Angreifer hielt. „Der Wächter dachte wohl, weil er nicht
blond ist, muss er der Aggressor sein,“ erklärt der verbitterte Bruder der
Toten Tarek Al-Scherbini im ägyptischen Fernsehen dazu.
In Ägypten prangt Marwa „die Kopftuchmärtyrerin“ auf allen Titelseiten.
Marwa, die Axel W. auf einem Spielplatz in Dresden letztes Jahr
aufgefordert hatte, eine Schaukel für ihr Kind freizumachen, wurde von ihm,
wohl auch wegen ihres Kopftuches als "Islamistin", "Terroristin" und
"Schlampe" beschimpft. Ende 2008 war Axel W. dafür zu einer Geldstrafe von
780 Euro verurteilt worden. Beim Berufungsprozesses zückte er dann das
Messer. Die Staatsanwaltschaft in Dresden spricht von einem
„ausländerfeindlichen Angriff eines fanatischen einsamen Wolfes.“
Doch in Ägypten zeigt man sich enttäuscht über die schwache Reaktion aus
Deutschland. Wieso sind Araber und Muslime bei einer ähnlichen Tat immer
gleich Terroristen, während diese Tat mit einem muslimischen Opfer als das
Werk eines Einzelnen heruntergespielt wird, wird in allen Medien gefragt.
Für die staatliche Tageszeitung Al-Ahram ist Marwa das Opfer einer weit
verbreiteten Islamfeindlichkeit in Europa, das sich immer mehr als privater
christlicher Club ansehe.
Man wundere sich, wo der deutsche Justizminister oder die Kanzlerin sei,
die sich nun eigentlich für diese Tat entschuldigen müssten, heißt es in
dem privaten ägyptischen Fernsehsender OTV. Diese Rolle werde im Moment
einzig und allein dem deutschen Botschafter in Kairo Bernd Erbel
überlassen. Der müht sich sichtlich ab, tauchte in allen möglichen
Fernsehprogrammen auf, verurteilte in einem für einem deutschen Diplomaten
ungewöhnlich fließendem Arabisch die Tat, forderte eine strenge Bestrafung,
aber wies auch stets darauf hin, dass es sich um eine Einzeltat handele. Er
hofft mit diesem Versuch der Schadensbegrenzung zu erreichen, dass jetzt
niemand den Kopf verliert, genauso der Großscheich der Islamischen
Azhar-Universität Muhammad Al-Tantawi, der inzwischen erklärte, dass die
Tat eines Einzelnen nicht den religiösen Dialog zerstören könne.
Aber das ist gar nicht das Thema in den ägyptischen Medien. „Alles was wir
wollen ist, dass dem Fall des Mordes an einer jungen unschuldigen Mutter
durch die Hand eines Fanatikers und den Bedingungen, die dazu geführt
haben, mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird,“ schreibt die unabhängige
ägyptische Tageszeitung El-Schourouk. „Diejenigen, die diese feindliche und
rassistische Stimmung gegen Muslime geschaffen haben, sind verantwortlich
für den Tod Marwas,“ schreibt die Wochenzeitung Rose El-Yussuf. Al-Qaida
sei wegen ihrer terroristischen Taten im Namen des Islam genauso
verantwortlich, wie der frühere US-Präsident Bush mit seinen Kreuzzügen
gegen die Muslime und seiner Besetzung von islamischen Ländern, heißt es
weiter „Westliche Medien tragen auch eine Verantwortung, weil sie alle
Muslime als Terroristen brandmarken,“ lautet der Vorwurf des ägyptischen
Politmagazins. Und jetzt versuchten die gleichen Medien den Fall Marwas auf
ihren hinteren Verbrechensseiten verschwinden zu lassen,“ meint die
ägyptische Oppositionszeitung Al-Wafd.
Aber es wird nicht nur Kritik ausgeteilt, sondern auch selbst eingesteckt.
„Westliche Medien zögern, die Botschaft zu verbreiten, dass nicht nur
Araber und Muslime Terror ausüben können,“ schreibt der prominente
ägyptische Schriftsteller Alaa Al-Aswany. Im gleichen Atemzug fragt er aber
auch, ob die Muslime an dem schlechten Image, das der Islam habe, nicht
Mitschuld trägen. „Was denken sie, wenn Bin Laden aus seiner Höhle kommt
und die Ermordung einer größtmöglichen Zahl von Amerikanern und Europäern
befiehlt.“, fragt Aswany die Leser der Tageszeitung El-Schourouk. Weniger
Selbstgefälligkeit auf beiden Seiten also.
Der Apothekerverband in Alexandria, dem auch Marwa angehörte, hat übrigens
inzwischen zum einem einwöchigen Boykott deutscher Medikamente aufgerufen.
Das ist der Gegenpol zu dem deutschen „Was regen sie sich so auf, das war
doch nur ein Verbrechen.“ Übrigens stößt die heftige ägyptische Reaktion in
Deutschland auf ein größeres Interesse, als das Verbrechen im Saal des
Dresdner Landesgerichtes selbst. Eine deutsche Radiostation rief gerade an.
„Wie sehr sind nun deutsche Touristen in Ägypten gefährdet?“, lautete die
besorgte Frage des Moderators. Also sind doch die anderen wieder Böse. Und
damit wären wir wieder beim Anfang.
8 Jul 2009
## AUTOREN
(DIR) Karim Gawhary
(DIR) Karim El-Gawhary
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