# taz.de -- Uiguren-Unruhen: Der Funke von Xinjiang
       
       > Taxifahrer wollen keine Uiguren transportieren, Gerüchte blühen. Der
       > Konflikt von Han-Chinesen und Uiguren ist Sprengstoff für die Regierung.
       
 (IMG) Bild: Überall und immer wieder keimen Zusammenstöße zwischen Uiguren, Han-Chinesen und Soldaten auf.
       
       ÜRÜMQI taz | Dichter Nachmittagsverkehr fließt durch die Nördliche
       Befreiungsstraße von Ürümqi, eine moderne Geschäftsmeile mit Hochhäusern,
       Hotels, Fastfood-Restaurants, einem Krankenhaus für traditionelle
       chinesische Medizin.
       
       Plötzlich ertönen wilde Schreie: Ein Mann läuft davon, verfolgt von
       Dutzenden Männern. Sie verschwinden in einer Seitenstraße, vorbei an einer
       Kette von Soldaten, die die Straße sperren. Die Menge wird immer größer,
       Schaulustige finden sich ein, Geschäfte lassen die Rollläden herab. "Ein
       Uigure hat einen Han-Chinesen angegriffen", heißt es. "Nein, ein
       Han-Chinese hat einen Uiguren getötet", sagt ein anderer. Schnell wird das
       Geschrei der Menge lauter: Uniformierte führen zwei bullige Männer mit
       Handschellen auf dem Rücken gefesselt ab. Doch das erregt die Menschen noch
       mehr, denn die Verhafteten sind Han-Chinesen und keine Uiguren, die in
       dieser Region der Stadt als Bösewichter gelten. Sofort wendet sich die
       Stimmung gegen die Polizisten: "Ihr seid Verräter an den Han-Chinesen!",
       skandieren die Umstehenden und: "Lasst sie frei!" Fäuste fliegen in die
       Luft, jemand schwenkt eine kleine rote Nationalflagge. Als ein Polizeiwagen
       heranrollt, schlägt die aufgeheizte Menge mit den Fäusten auf das Autodach:
       "Lasst sie frei!"
       
       Weitere Einheiten in Kampfkluft, viele haben Gewehre, traben herbei. Aus
       einem Hubschrauber werden Flugblätter abgeworfen. "Parteichef Wang Lequan
       sagt: Beruhigt euch. Geht nach Hause, geht zur Arbeit, geht zurück in Eure
       Wohnviertel", heißt es da.
       
       Gestern Nachmittag in der Hauptstadt der Provinz Xinjiang: Der Vorfall
       zeigt, dass sich die Lage noch immer nicht beruhigt hat, nachdem es am
       vorigen Sonntag zu schweren ethnischen Unruhen gekommen ist. Und er
       beweist, wie dramatisch die Lage ist. Denn der Konflikt zwischen Uiguren
       und den zugewanderten Han-Chinesen droht in Proteste gegen Regierung und
       Partei umzuschlagen. Denn der Zorn, dass Polizei und Armee die Uiguren
       schützen, ist groß. "Kann ja sein, dass die beiden Festgenommenen einen
       Uiguren umbringen wollten", sagt ein Passant. "Aber das ist verständlich,
       man muss den Uiguren eine Lektion erteilen - und die Regierung ist viel zu
       schwach dazu."
       
       So finden sich die Sicherheitskräfte im Zentrum Ürümqis plötzlich in der
       Zwickmühle: Wenn sie han-chinesische Täter festnehmen, rufen sie den Unmut
       der Mehrheit hervor. Gehen sie nur gegen Uiguren vor, riskieren sie den
       Vorwurf des Rassismus - und lösen womöglich neue Proteste aus.
       
       Wie groß die Angst der Zentralregierung ist, dass der Funke von Xinjiang
       auch andere Regionen entzündet, zeigte Präsident Hu Jintao mit seiner
       Entscheidung, vorzeitig den G-8-Gipfel in Italien zu verlassen. Er darf
       keine Schwäche zeigen.
       
       Unermüdlich verkünden die Behörden, dass sie die Schuldigen an den Unruhen
       streng bestrafen werden. In der Xinjiang-Metropolenzeitung erschienen
       gestern seitenweise Fotos von Toten in der Leichenhalle, auf den Straßen,
       von Schwerverletzten in den Krankenhäusern.
       
       Noch immer ist nicht ganz klar, was genau am Sonntagabend geschah. Soviel
       bislang erkennbar ist, schlossen sich einem aus einigen Dutzend Studenten
       bestehenden Demonstrationszug eine große Menge uigurischer Männer an. Die
       Hochschüler wollten dagegen protestieren, dass die Behörden die Uiguren
       nicht über die wahren Hintergründe von Zusammenstößen zwischen uigurischen
       und han-chinesischen Arbeitern in Südchina informiert hatten.
       
       Die Polizei war schnell überwältigt - ein Massaker folgte, bei dem 156
       Menschen starben - Han-Chinesen ebenso wie Angehörige anderer Volksgruppen.
       
       Seither schlagen die Emotionen hoch. Nicht nur auf Märkten und Straßen,
       auch in mehreren Universitäten soll es in den vergangenen Tagen zu
       Zusammenstößen zwischen uigurischen und han-chinesischen Studenten gekommen
       sein. Einige Hochschulen haben deshalb vorzeitig das Semester beendet.
       
       Durch die Straßen kurven lange Militärkonvois. Auf ihren Planen stehen
       Parolen wie: "Errichten wir ein harmonisches Xinjiang." Lautsprecherwagen
       versuchen die Menschen zu beruhigen. Gerüchte verbreiten sich blitzschnell.
       Das Internet ist noch immer blockiert. In den Vierteln der Uiguren
       berichten die Bewohner weinend davon, dass sie von Han-Chinesen bedroht
       worden seien, die Polizei schütze sie nicht. Sie zeigen auf ihren Handys
       kurze Videofilme von verletzten Nachbarn. "Ich verstehe das alles nicht!",
       sagt eine junge Uigurin, die im Umweltamt arbeitet, ihren Namen aber aus
       Furcht vor der Polizei nicht nennen will.
       
       Nun erklärt ein Taxifahrer, er werde keine Uiguren mehr befördern. "Sie
       sind schlechte Menschen, sie zahlen nicht."
       
       "Wir haben doch lange friedlich zusammengelebt. Bei mir im Büro vertragen
       sich alle Nationalitäten immer gut, wir sind Freunde." Eine uigurische
       Lehrerstudentin sagt von ihren han-chinesischen Kommilitonen: "Alle sind
       traurig. Aber sprechen darüber, was geschehen ist, können wir nicht."
       
       8 Jul 2009
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jutta Lietsch
       
       ## TAGS
       
 (DIR) China
       
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