# taz.de -- Debatte Rassismus: Falsche Freunde
       
       > Der Fall Marwa zeigt: Dass sich Muslime spezifischer Hetze ausgesetzt
       > fühlen, muss Thema werden. Denn Islamisten nutzen das Schweigen für ihre
       > Zwecke.
       
       Über den Mord an der 31-jährigen Ägypterin Marwa E. während einer
       Gerichtsverhandlung in Dresden werden immer neue Details bekannt. Zwar hat
       sich eine Woche nach der Tat selbst die Bundesregierung genötigt gesehen,
       ihre Bestürzung über den Mord zum Ausdruck zu bringen. Dennoch kamen die
       rassistischen Hintergründe der Tat in den Medienberichten zunächst kaum zur
       Sprache. Anders als in den Fällen der "Ehrenmorde", bei denen schnell über
       kulturelle oder religiöse Beweggründe spekuliert wird, spielten die
       ideologischen Motive des Täters in der Berichterstattung keine Rolle. Es
       war vor allem der Tatort, der den Fall zu einer Nachricht machte.
       
       Für viele Muslime stellte sich dies anders dar. Noch am selben Tag ging die
       Nachricht durch diverse Onlineforen und Mailinglisten. Und noch immer
       beherrscht das Thema die Diskussionen. Nicht selten wird dabei von
       Erfahrungen berichtet, selbst schon mal mit Beschimpfungen wie "Islamistin"
       oder "Terroristin" konfrontiert worden zu sein, mit denen der Täter die
       Apothekerin in Dresden diffamiert hatte. Es sei die feindselige Stimmung
       gegenüber Muslimen, so lautete der Tenor vieler Kommentare, die ein solches
       Verbrechen erst möglich mache. Schließlich stach der Täter wie von Sinnen
       auf die Frau ein - nachdem er ihr noch im Gerichtssaal abgesprochen hatte,
       ein "richtiger Mensch" zu sein. Die Frau sei "das erste Todesopfer der
       islamfeindlichen Propaganda", hieß es dementsprechend in einem Aufruf zu
       einer Demonstration, auf der am vergangenen Sonntag mehrere hundert
       Menschen in Berlin den Mord skandalisierten.
       
       In jüngster Zeit sind es immer öfter Initiativen aus dem islamistischen
       Spektrum, die sich im Kampf gegen Diskriminierungen als
       Interessenvertretung der Muslime profilieren. Auch die Demonstration in
       Berlin wurde von salafitischen Gruppierungen um den Kölner Prediger Pierre
       Vogel organisiert. Als Shootingstar der Szene versammelt der ehemalige
       Boxer regelmäßig hunderte Zuhörer auf seinen bundesweiten Vortragsreisen.
       
       Aus diesem Spektrum stammt auch die Website "[1][muslimegegenrechts.de]",
       auf der vor dem "Islamhass im Alltag" gewarnt wird. Die Startseite zeigt
       das Foto eines Konzentrationslagers, bevor schließlich ein Video startet,
       in dem Vogel über die "Propaganda der Medien" gegen den Islam referiert.
       Die Botschaft der Seite: Ein neuer Holocaust droht - diesmal an Muslimen.
       Mit dem Kampf um gleiche Rechte von Muslimen und Migranten und für eine
       pluralistische Gesellschaft haben die Betreiber dieser Website allerdings
       nichts zu tun. Mit dem Versuch, Muslime auf die islamische Gemeinschaft
       einzuschwören, dagegen umso mehr.
       
       Die Gemeinschaft, für die sich die Aktivisten dieses Spektrums einsetzen,
       zeichnet sich durch eine wortgetreue Auslegung der islamischen Quellen aus
       - und durch die Denunziation all derer, die von dieser Auslegung abweichen.
       Die hier angebotene Gemeinschaft verspricht Schutz gegen Angriffe von
       außen, wobei das Außen selbst zum Feindbild wird. Der Begriff der
       "Islamophobie" dient dabei als Schlachtruf, der nicht so sehr als Kritik an
       diskriminierenden Gesetzen denn als Aufforderung zur Verteidigung der
       eigenen Wahrheit gemeint ist. Über Rassismus, mit dem nicht nur Muslime,
       sondern auch Afrodeutsche oder vietnamesische Migranten konfrontiert sind,
       schweigt man sich hier aus. Schon im Rahmen der Proteste gegen den
       sogenannten Antiislamisierungskongress im Mai in Köln hatten Vertreter
       salafitischer Initiativen deutlich gemacht, was sie auf die Straße treibt.
       "Es geht um alles! Es geht darum, unsere Religion zu verteidigen", hieß es
       in einem Aufruf.
       
       Gerade bei jungen Muslimen stoßen die Vertreter dieser Strömung nicht
       selten auf offene Ohren. Dies auch deshalb, weil sich viele Muslime mit
       ihren Diskriminierungserfahrungen ansonsten kaum ernst genommen fühlen.
       Dabei gehören Benachteiligungen und Begegnungen mit Vorbehalten für Muslime
       zum Alltag.
       
       Erst kürzlich kam eine Studie der Europäischen Agentur für Grundrechte zu
       dem Ergebnis, knapp ein Drittel der Migranten mit türkischem
       Familienhintergrund in Deutschland könnte von Diskriminierungen innerhalb
       des letzten Jahres berichten - wobei sich die Diskriminierungen oft an der
       Religion wie auch an der Herkunft festmachten. Andere Studien bestätigen,
       dass es sich dabei nicht um subjektive Einschätzungen handelt.
       Antimuslimische Einstellungen finden sich heute eben nicht mehr nur am
       rechten Rand, sondern auch in der Mitte der Gesellschaft. Mit den
       entsprechenden Folgen im Alltag von Muslimen.
       
       Es gehört schon eine gehörige Portion Ignoranz dazu, diese Erfahrungen als
       bloße Einbildungen abzutun. Dennoch sprach die FAZ vor einigen Wochen von
       einem "Fest des Jammertürkentums", als es sich der Vorsitzende der
       Türkischen Gemeinde in Deutschland bei einer Veranstaltung anlässlich von
       60 Jahren Grundgesetz herausnahm, bei aller Feierlichkeit auch auf
       fortbestehende Benachteiligungen von Migranten hinzuweisen.
       
       Auf der "Achse des Guten", einem Weblog prominenter Publizisten, wurde der
       Artikel über die Veranstaltung aufgegriffen - nur die Überschrift brachte
       nun noch etwas pointierter zum Ausdruck, was man eigentlich sagen wollte:
       "Das Jammern ist des Türken Lust".
       
       Es sind solche Stimmen, die Diskriminierungen und rassistische Hetze
       leugnen oder banalisieren, die es den Vertretern des islamistischen
       Spektrums umso leichter machen, bei diesem Thema zu punkten. Das Schweigen
       über die Hintergründe des Mordes an Marwa E. ist auch in dieser Hinsicht
       fatal - hatte sie doch versucht, sich mit einer Anzeige gegen die
       Beleidigungen zu wehren. Vielen Muslimen ist die Möglichkeit, sich auch
       gerichtlich gegen Diskriminierungen zur Wehr zu setzen, bis heute nicht
       bewusst. Umso wichtiger wäre die Förderung eines gesellschaftlichen Klimas,
       in dem der Protest gegen rassistische Benachteiligungen und Anfeindungen
       selbstverständlich wäre. Die zögerlichen Reaktionen auf den Mord dürften
       das Vertrauen der Muslime, dass sie in ihrem Kampf um ihre Rechte auf einen
       solchen gesellschaftlichen Rückhalt setzen können, kaum bestärkt haben.
       
       GÖTZ NORDBRUCH
       
       9 Jul 2009
       
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