# taz.de -- Aus Le Monde diplomatique: Es war einmal in Nicaragua
       
       > Am 19. Juli 1979 endete in Nicaragua die Diktatur der Familiendynastie
       > Somoza, die über 40 Jahre das Land beherrscht hatte. Die Aufständischen
       > unter Daniel Ortega übernahmen die Macht. Ein Bericht.
       
 (IMG) Bild: Genosse Präsident Ortega, einst Guerillero Daniel.
       
       César Augusto Sandinos Antwort an einen nordamerikanischen Offizier, der
       ihn zur Kapitulation aufgefordert hatte, bewies Entschlossenheit: "Ich
       ergebe mich nicht. Ich erwarte Sie hier. Wenn ich kein freies Vaterland
       haben kann, will ich lieber sterben."
       
       Im frühen 20. Jahrhundert hatte Nicaragua bereits mehrere Invasionen der
       USA hinter sich. Seit 1854 mischten sich die Nordamerikaner militärisch in
       die Politik des Landes ein. Auch Großbritannien versuchte, dessen
       Atlantikküste unter seine Kontrolle zu bringen, denn beide Großmächte
       planten lange Zeit eine Kanalverbindung zwischen Pazifik und Atlantik auf
       nicaraguanischem Gebiet, bevor die Entscheidung für den 1914 vollendeten
       Panamakanal fiel.
       
       Unter dem Vorwand, die politischen und militärischen Konflikte zwischen
       Liberalen und Konservativen im Land zu schlichten, entsandte
       US-Außenminister Philander C. Knox im September 1909 ein Truppenkontingent
       nach Nicaragua, das erst 1925 wieder abzog. Ein Jahr später landeten erneut
       mehr als 5.000 amerikanische Marinesoldaten und blieben bis 1933, diesmal
       vorgeblich, um die drohende Eroberung des Landes durch die "mexikanischen
       Agenten des Bolschewismus" zu verhindern.
       
       Einer dieser "Agenten" war Sandino. Zwar betrachtete er sich selbst als
       liberal, doch 1927 griff er zu den Waffen, nicht nur um die US-Invasoren,
       die er wahlweise als "Imperialisten" oder "Kokainistenbande" bezeichnete,
       zu bekämpfen, sondern auch gegen die liberal-konservative Elite Nicaraguas.
       Diese betrachtete er als repressiv, ausbeuterisch und rassistisch.
       
       Außerdem warf er ihr den Ausverkauf des Landes vor. "Sandino hat von den
       anarchistischen Gewerkschaften in Mexiko die schwarz-rote Fahne und vom
       Salvadorianer Farabundo Martí(1) die Analyse der Klassengesellschaft
       übernommen", erklärt der Soziologe Orlando Nuñez. "In seinen Schriften
       formulierte er die Notwendigkeit einer lateinamerikanischen Einigung, von
       der schon Simón Bolivar geträumt hat, aber er spricht auch davon, die
       indigene Bevölkerung einzubinden und das Bündnis mit den einheimischen
       Unternehmern zu suchen, um dem US-Imperialismus die Stirn zu bieten."
       
       Bedrängt von der kleinen Guerilla, die Sandino, der "General der freien
       Männer", um sich geschart hatte, wurden die US-Truppen zu Anfang der Großen
       Depression aus Kostengründen abgezogen. Zurück ließen sie eine
       Nationalgarde unter Führung eines einheimischen Offiziers, der seine
       Ausbildung in Militärakademien der USA absolviert hatte: Anastasio Somoza.
       Am 21. Februar 1934 folgte Sandino einer Einladung der Regierung zu
       Verhandlungen. Beim Verlassen des offiziellen Empfangs bei Präsident Juan
       Bautista wurde er ermordet. Einige Monate danach gab Somoza zu, dass die
       Anweisung zu diesem Mordanschlag vom US-Botschafter Arthur Bliss Lane
       gekommen war.
       
       Unter der Vormundschaft Washingtons hielt sich die Somoza-Dynastie -
       Anastasio (1936-1956), Luis (1956-1963), Anastasio Junior (1967-1979) -
       mehr als vier Jahrzehnte an der Macht. 1960 gründeten Carlos Fonseca
       Amador, Tomas Borge und andere nicaraguanische Intellektuelle unter dem
       Eindruck der kubanischen Revolution die Sandinistische Nationale
       Befreiungsfront (FSLN).
       
       Lange Zeit waren die Erfolge dieser Guerilla eher bescheiden, vor allem
       weil es den Kämpfern an Erfahrung im Umgang mit der Landbevölkerung fehlte.
       Doch die Machtfülle und der Machtmissbrauch der Familie Somoza und deren
       Willfährigkeit gegenüber den USA schürten auch in Teilen des Bürgertums
       Unzufriedenheit.
       
       Dort keimte die Hoffnung, man könne sich im Bunde mit der FSLN des
       Diktators entledigen und politisches Territorium zurückerobern. Auf der
       anderen Seite erkannten die Sandinisten, dass mit dieser Annäherung ihre
       Ziele in greifbare Nähe rückten. Auch das Zusammengehen mit den Anhängern
       der christlichen Befreiungstheologie - verstanden als eine Kirche der Armen
       - war ein entscheidender Schritt.
       
       Während die Diktatur die Repression verschärfte, gewann die linke Guerilla
       mit einigen spektakulären militärischen Erfolgen im Jahr 1978 auch
       international viel Sympathie. Die US-Regierung unter Präsident Carter
       (1977-1981) konnte Somoza nicht mehr stützen. Am 19. Juli 1979 endete der
       bewaffnete Aufstand mit dem Sturz des Diktators.
       
       Die sandinistische Revolution stieß international - insbesondere bei den
       europäischen Linken - auf viel Sympathie. Dass zahlreiche Bürgerliche an
       der Macht beteiligt waren, bekräftigte die Hoffnung, zumal der
       sozialdemokratisch orientierten Regierungen, auf ein moderates politisches
       System. Carlos Fonseca, der Sohn des FSLN-Gründers, erinnert sich: "Die
       Revolution hat Begeisterungsstürme ausgelöst. Alle, die damals jung waren,
       hat diese politische Atmosphäre zutiefst geprägt. Nichts schien uns
       unmöglich."
       
       In weniger als zehn Jahren sorgte die Bildungskampagne der Regierung unter
       dem jungen Daniel Ortega für einen Rückgang des Analphabetentums von 54 auf
       12 Prozent. Menschen aus einfachen Verhältnissen erhielten Zugang zu
       höherer Bildung. Gesundheitsversorgung war nicht länger das Privileg einer
       Minderheit. Bauern profitierten von der teilweisen Enteignung und
       Neuverteilung von Großgrundbesitz.
       
       Wichtige Ressourcen wurden verstaatlicht. Die Regierung drängte die
       Arbeiter zum gewerkschaftlichen Zusammenschluss und die kleinen Bauern zur
       Gründung von landwirtschaftlichen Kooperativen. "Es begann ein Prozess der
       sozialen Gerechtigkeit und der politischen Organisation auf der untersten
       Ebene", sagt Orlando Nuñez.
       
       Doch dafür wäre ein Umbau des politischen Systems und eine andere
       Wirtschaftsordnung nötig gewesen. An diesem Punkt kam es innerhalb des
       Regierungsbündnisses sehr bald zu Zerwürfnissen. Die mit der FSLN
       verbündeten Bürgerlichen wollten zwar die Diktatur stürzen, aber
       keinesfalls die rechtsstaatliche Ordnung in ihrer überkommenen Form
       antasten.
       
       Die Revolutionäre dagegen betrachteten ihre liberalen Mitstreiter als
       Mittel, um international in einem günstigeren Licht dazustehen und so einem
       möglichen Boykott oder militärischen Angriff zu entgehen. Nuñez: "Die
       Revolution musste den Eindruck einer demokratischen und katholischen
       Gesinnung erwecken. Mit anderen Worten: Sie durfte die Interessen der
       Vereinigten Staaten und Europas nicht erkennbar gefährden."
       
       Doch die Rechnung ging nicht auf. Noch unter Jimmy Carter rüsteten die
       Vereinigten Staaten die ehemaligen Nationalgardisten Somozas zum
       konterrevolutionären Kampf. Und Präsident Ronald Reagan war kaum im Amt,
       als er sich im Januar 1981 zu der Behauptung verstieg, Nicaragua sei
       gegenwärtig das größte Sicherheitsproblem für die USA.
       
       US-amerikanische Offiziere und Söldner, darunter etliche Exilkubaner,
       bildeten in Honduras, El Salvador und Costa Rica die konterrevolutionäre
       Guerilla aus. Vom Grenzgebiet der Nachbarländer aus griffen diese Contras
       nicaraguanische Soldaten und Zivilisten an. "Meine Generation wurde zum
       Kriegführen gezwungen", erzählt Carlos Fonseca Junior. "Ich war fünfzehn,
       als ich an die Front gehen musste, wie tausende andere Nicaraguaner auch.
       Unsere Gegner waren die traditionelle Oligarchie im eigenen Land und die
       Vereinigten Staaten."
       
       "Gottlose", "Kriegstreiber", "Kommunisten", "totalitäre Exporteure der
       Revolution", "Drogenhändler" - gekämpft wurde nicht nur mit Waffen. Die
       Tageszeitung La Prensa und andere konservative Medien in Nicaragua
       lieferten die Munition für eine internationale Diffamierungskampagne.
       
       Die Kriegswirtschaft brachte Nahrungsmittelknappheit und Rückschritte bei
       den Sozialreformen. Schon allein deshalb verbreitete sich Missstimmung in
       der Bevölkerung. Überdies spielten viele Maßnahmen der Sandinisten den
       Contras direkt in die Hände. Diese gewannen Anhänger bei den Kleinbauern,
       für die die massiv geförderten staatlichen Genossenschaften eine unfaire
       Konkurrenz darstellten. Auf Widerstand stießen auch dirigistische
       Handelsbeschränkungen und Preisdiktate, ebenso die im September 1983
       eingeführte allgemeine Wehrpflicht.
       
       Die indigenen Miskitos an der Atlantikküste wurden zwangsweise evakuiert,
       und es kam zu Massenverhaftungen. Jacinto Suárez kämpfte damals auf Seiten
       der FSLN und ist heute deren Abgeordneter im Zentralamerikanischen
       Parlament. "Es gelang uns damals nicht, ein gutes Verhältnis zur
       Landbevölkerung aufzubauen", sagt er. "Wenn ich heute mit ehemaligen
       Anführern der Contras rede, wird mir klar, dass wir da schwere Fehler
       gemacht haben. Wir haben Teile der Bauernschaft und der indigenen
       Bevölkerung angegriffen. So mancher von uns glaubte, dass ihm die Waffe in
       der Hand das Recht gab, seinen Willen mit Gewalt durchzusetzen."
       
       Obwohl die Contras in diesem Konflikt, der insgesamt 29 000 Menschenleben
       kostete, enorme Verwüstungen anrichteten, verfehlten sie ihre militärischen
       Ziele. Den Regierungstruppen gelang es, sie in einem schmalen Landstreifen,
       dem "Contra-Korridor", festzuhalten. 1984 gewannen die Sandinisten
       überlegen die Präsidenten- und Parlamentswahlen. Zudem regte sich in den
       USA Widerstand gegen die Unterstützung der Contras. 1986 wurde die
       Iran-Contra-Affäre öffentlich: Die US-Regierung hatte heimlich Waffen an
       Iran verkauft und mit diesem Geld die Contras finanziert. Zudem hatten die
       Contras mit Rückendeckung der CIA Drogenhandel betrieben.
       
       1987 wurden die Vereinigten Staaten vom Internationalen Gerichtshof in Den
       Haag wegen der Verminung der nicaraguanischen Häfen zu einer hohen
       Entschädigungszahlung verurteilt.
       
       Der Krieg gegen die Contras hatte das arme Nicaragua wirtschaftlich völlig
       erschöpft, das Land teilweise verwüstet und die Bevölkerung demoralisiert.
       Nach Friedensverhandlungen zwischen Sandinisten und Contras wurden am 25.
       Februar 1990 Präsidentenwahlen abgehalten, bei denen die bürgerliche
       Kandidatin Violeta Chamorro siegte, Anführerin des Nationalen
       Oppositionsbündnisses UNO. Im Verlauf des Wahlkampfs konnten die
       Sandinisten laut Meinungsumfragen noch auf die Unterstützung von 53 Prozent
       der Bevölkerung zählen. Doch dann marschierten die USA in Panama ein, und
       die Regierung beging einen verhängnisvollen Fehler.
       
       "Dank der Verhandlungen mit den Contras schien das Land endlich einem
       Frieden nahe", sagt Jacinto Suárez. "Endlich hörte das Töten auf, und es
       zeigte sich ein Licht am Ende des Tunnels. Aber als die Amerikaner in
       Panama einmarschierten, umstellten Panzer die US-Botschaft in Managua.(2)
       Bewaffnete Sandinisten marschierten durch die Straßen, um Solidarität mit
       dem Nachbarland zu demonstrieren. Zwei Tage danach lagen wir in den
       Meinungsumfragen nur noch bei 34 Prozent. Dieser Trend ließ sich nicht mehr
       umkehren. Die Leute hatten Angst, dass unter einer sandinistischen
       Regierung der Krieg weitergehen würde."
       
       Den Wahlverlierern blieben noch wenige Wochen, um mit Violeta Chamorro eine
       geordnete Machtübergabe auszuhandeln. Gegen den Widerstand der Vereinigten
       Staaten akzeptierte die neue Präsidentin, den Sandinisten das Kommando über
       Armee, Polizei und Geheimdienste zu überlassen, wobei Letztere allmählich
       aufgelöst werden sollten.
       
       Die Europäer spielten bei diesem Friedensprozess die Rolle des Vermittlers.
       Insbesondere der spanische Ministerpräsident Felipe González "übernahm eine
       Aufgabe, die die Gringos nicht direkt erledigen konnten", versichert der
       damalige Armeeinspekteur Lenín Cerna. "Schon bald danach hatten sie alle
       unsere Geheimdienste in der Hand." Immerhin behielten die Sandinisten die
       Kontrolle über Armee und Polizei. Der letzte hohe Offizier, der seine
       Laufbahn als sandinistischer Guerillero begann, wird demnächst in Pension
       gehen.
       
       Nachdem die Contras aufgelöst waren, gliederten sich ihre Angehörigen mehr
       oder weniger erfolgreich in die nicaraguanische Gesellschaft ein. Die neue
       Regierung und die Oligarchie begannen zunehmend, die Vereinbarungen zur
       Machtübergabe in Frage zu stellen. Zugleich gingen sie daran, die sozialen
       Errungenschaften der Revolution zu demontieren. Der Wind hatte sich
       gedreht.
       
       Das war auch für Israel Galeano, einen ehemaligen Anführer der Contras,
       eine bittere Erfahrung: "Erst hat die Oligarchie mit eurer Hilfe den
       Somoza-Clan verjagt. Dann hat sie uns benutzt, um euch aus der Regierung zu
       jagen. Keiner von uns hat etwas davon gehabt. Nur die Oligarchie hat am
       Ende triumphiert."(3)
       
       Elena Aguilar war einst militante Sandinistin und arbeitet heute an der
       Arbeiter-und-Bauern-Schule "Francisco Morazán" in einem Vorort von Managua.
       Sie schildert, wie die alten Eliten des Landes nicht nur den Staat
       betrogen, sondern auch die Bauern, die in den 1980er-Jahren von der
       Umverteilung des Ackerlands profitiert hatten. "Zunächst erklärte man den
       Bauern, dass die alten Eigentümer ihr Land zurückverlangten, stattdessen
       aber vom Staat entschädigt würden.
       
       Tatsächlich hat der Staat großzügige Entschädigungen gezahlt. Das hat die
       Alteigentümer aber nicht daran gehindert, später die Rückübertragung von
       "gestohlenem" Land einzuklagen. Es kam zu endlosen Gerichtsverhandlungen.
       Die Bauern und die Kooperativen konnten sich diese Prozesse nicht leisten.
       Irgendwann tauchten angebliche Berater auf und rieten den Leuten zum
       Vergleich. Viele verkauften ihr Land billig an die Kläger. Rein zufällig
       gab es enge Familienbande zwischen diesen Klägern und einigen hohen
       Ministerialbeamten."
       
       Mit Violeta Chamorro hielt der Neoliberalismus in Nicaragua Einzug - zum
       Vorteil vor allem US-amerikanischer, aber auch europäischer und asiatischer
       Konzerne. Öffentliche Güter wurden verschleudert, die Spekulation blühte.
       "In nur wenigen Jahren", sagt Orlando Nuñez, "haben diese Leute die ohnehin
       schwache Mittelschicht im Land so gut wie eliminiert und den vielen
       Kleinbetrieben auf dem Land und in den Städten den Boden entzogen. Sie
       haben Nicaragua in seine bisher schlimmste wirtschaftliche, soziale und
       finanzielle Krise gestürzt."
       
       Unter den Präsidenten Violeta Chamorro, Arnoldo Alemán und Enrique Bolaños
       gingen die meisten Errungenschaften der Revolution zum Teufel. Die Löhne
       schrumpften auf Grund der Inflation um ein Drittel, die Arbeitslosigkeit
       erreichte 45 Prozent, die Verarmung zog immer weitere Kreise.
       
       Unaufhaltsam schien der deprimierende Rückfall in alte Zeiten. "Die
       Revolution hat nicht lange genug gedauert, um das System zu erneuern",
       erklärt Carlos Fonseca. "Sie ist an den politischen und wirtschaftlichen
       Realitäten und an dem Krieg gescheitert, den man ihr aufgezwungen hat. Die
       aktive Teilhabe der Bevölkerung an der Macht war nicht institutionell
       gefestigt, sonst hätte der Neoliberalismus nicht so leicht die sozialen
       Errungenschaften aushebeln können."
       
       Ernüchternd ist, dass der Widerstand gegen diesen Neoliberalismus durch
       Spaltungen und erbitterte Kämpfe unter den Sandinisten untergraben wurde.
       Beim Parteikongress von 1994 eskalierte die Auseinandersetzung. Mit 12 von
       15 Sitzen im Parteivorstand siegte Ortegas radikaler Flügel. Für sein
       autoritäres Vorgehen wurde er wiederholt scharf kritisiert. Viele
       prominente Funktionäre, darunter fast alle früheren FSLN-Minister und
       Abgeordneten, traten aus der Partei aus und gründeten die Bewegung der
       Sandinistischen Erneuerung (MRS).(4)
       
       Zwölf Jahre später siegte die FSLN unter Ortega bei den Präsidentenwahlen
       am 5. November 2006 mit 38 Prozent der Stimmen. Um das zu erreichen, hatte
       sich Ortega immer wieder auf politischen Kuhhandel und Kompromisse
       eingelassen, die die alten Anhänger vor den Kopf stoßen mussten. So hatten
       in der Vergangenheit Sandinisten und Konservative gemeinsam dafür gesorgt,
       dass der ehemalige Präsident Arnoldo Alemán wegen Korruption angeklagt und
       verurteilt wurde.
       
       Nun bot Ortega dem zu 20 Jahren Haft verurteilten Politiker die Freilassung
       - formell als Umwandlung der Strafe in einen angeblichen Hausarrest -,
       falls sich Alemáns Liberale Verfassungspartei (PLC) aus dem
       Präsidentenwahlkampf heraushielt. Ebenso erstaunlich war der
       "Nichtangriffspakt" der Sandinisten mit Kardinal Miguel Obando y Bravo: In
       den 1980er-Jahren war der Kleriker einer der wütendsten Feinde der
       Sandinisten gewesen, doch angesichts des Vormarschs evangelikaler Sekten in
       Lateinamerika sah er den Vorteil eines solchen Bündnisses für die
       Katholiken und spielte mit.
       
       "Wir haben konsequent vorteilhafte Allianzen mit den Parteien der
       Oligarchie angestrebt", erzählt Eden Pastora5, der legendäre Comandante
       Zero aus den Tagen der Revolution und spätere Überläufer zu den Contras,
       der dann nochmals die Seite wechselte: "Mal machen wir mit den einen
       gemeinsame Sache, dann wieder mit anderen. So sind wir vorangekommen, aber
       wir verkaufen uns nicht. Es ist uns gelungen, den Gegner zu spalten und zu
       schwächen.
       
       Anfangs hatte ich auch meine Probleme mit dieser Strategie, aber ich bin
       der nüchternen Einsicht gefolgt: Wenn uns solche Pakte an die Macht bringen
       und uns in die Lage versetzen, unsere Gesellschaftsreform fortzusetzen,
       dann sind sie gerechtfertigt." Lenín Cerna sekundiert: "Unsere Bündnisse
       während der Opposition waren rein taktische Manöver. Was Taktik und
       Strategie angeht, macht uns so schnell keiner etwas vor. Wir waren
       schließlich mal Guerilleros und Offiziere, dann erst sind wir Politiker
       geworden." So viel Pragmatismus ist für viele nicht mehr hinnehmbar.
       
       Bei den Kommunalwahlen vom 9. November 2008 siegte die FSLN dennoch in 105
       von 146 Gemeinden. Zuvor hatte Ortega die beiden wichtigsten
       Oppositionsparteien trickreich von der Wahl ausgeschlossen: die
       konservative PC und die 1994 von der FSLN abgespaltene MRS. Es gab auch
       Vorwürfe des Wahlbetrugs, zumindest der Intransparenz.
       
       Dennoch: Seit Beginn der sandinistischen Präsidentschaft am 10. Januar 2007
       sind Gesundheitsvorsorge und Bildung wieder umsonst. Hinzu kommt ein "Null
       Hunger"-Programm: Millionen Kinder erhalten in den Schulen täglich eine
       unentgeltliche Mahlzeit. Um die Abhängigkeit des Landes von
       Nahrungsmittelimporten zu verringern, vergibt die Regierung zudem Ackerland
       und Kredite zu sehr niedrigen Zinsen an kleine und mittlere Produzenten.
       
       Mehrere hunderttausend Familien kamen bereits in den Genuss dieser
       Initiative, die von Frauen verwaltet und in Kooperativen organisiert wird.
       "Die Frauen sind am verlässlichsten und fast immer für das Überleben der
       Familie verantwortlich", erklärt Elena Aguilera. "Und zwar umso mehr, als
       die Männer immer häufiger auswandern müssen, weil sie in Nicaragua keine
       bezahlte Arbeit finden."(6) Die Frauen erhalten eine Ausbildung und ein
       Startkapital in Form von Kühen, Schweinen und Getreide. Sie bezahlen nur 20
       Prozent ihrer Darlehen zurück. Der Rest soll kapitalisiert werden und ihnen
       helfen, als Selbstversorgerinnen auf eigenen Beinen zu stehen. Im Rahmen
       des Programms "Null Wucher" vergibt der Staat zu einem Zinssatz von 5
       Prozent (statt der üblichen 25 Prozent) Kredite an Selbständige.(7)
       
       Außerdem weht der politische Wind in der Region jetzt aus einer anderen
       Richtung. Im Rahmen der Wirtschaftsgemeinschaft Bolivarianische Allianz für
       unser Amerika (Alba)(8) tauscht Nicaragua Bohnen, Fleisch und Leder gegen
       Erdöl aus Venezuela.(9) Die Alba finanziert über solche Tauschgeschäfte und
       über ihre Entwicklungsbank einen wesentlichen Teil der Sozialprogramme im
       Land, wie die Alphabetisierungskampagne und die kubanischen Augenärzte, die
       mit modernem Gerät aus Venezuela arbeiten.
       
       Im Februar trat der neue US-Botschafter Robert Callahan in Managua sein Amt
       an. Diese Personalie hat alte Wunden wieder aufgerissen, denn in den
       1980ern war derselbe Callahan Presseattaché der diplomatischen Vertretung
       der USA in Honduras unter John Negroponte. Zu dieser Zeit steuerte die CIA
       von dort aus die Offensive der Contras. Präsident Ortega hat dem
       Botschafter im Februar schon einmal mit Ausweisung gedroht.
       
       Fußnoten:
       
       (1) Farabundo Martí, Gründer der Kommunistischen Partei El Salvadors, wurde
       1932 hingerichtet.
       
       (2) Am 20. Dezember 1989 begannen die USA mit der Operation "Just Cause",
       um General Noriega zu stürzen - einen nicht eben demokratischen Staatschef,
       der mit Drogen handelte.
       
       (3) Orlando Nuñez, "La oligarquía en Nicaragua", Managua (Cipress) 2006.
       
       (4) Die Partei erhielt bei den Wahlen von 1996 nur ein Prozent der Stimmen
       (2006: 7 Prozent).
       
       (5) Am 22. August 1978 stürmte der mit der FSLN verbündete
       Guerillakommandant Eden Pastora den Palácio Nacional in Managua und löste
       damit den Aufstand gegen Somoza aus. Zwischenzeitlich
       Vizeverteidigungsminister, wechselte er 1982 die Seiten und lief zu den
       Contras über. Dort säten seine Einheiten vor allem Zwietracht.
       
       (6) Vgl. Raphaëlle Bail, "Aus Nicaragua. Arbeitsmigranten in
       Mittelamerika", "Le Monde diplomatique, Dezember 2006.
       
       (7) Dennoch führt Ortega den von seinem Vorgänger eingeschlagenen
       wirtschaftspolitischen Kurs im Prinzip fort: Sowohl die Freihandelsabkommen
       unter anderem mit den USA als auch die mit dem IWF ausgehandelten
       Bedingungen werden eingehalten.
       
       (8) Der Alba gehören an: Antigua, Bolivien, Ecuador, Honduras, Kuba,
       Nicaragua, Saint Vincent, Dominica und die Grenadinen.
       
       (9) Im Rahmen der Petrocaribe-Verträge, die rund zwanzig Staaten
       unterzeichnet haben, liefert Venezuela Öl zum halben Preis, der Rest soll
       zur Finanzierung von Sozialprogrammen verwendet werden.
       
       Aus dem Französischen von Herwig Engelmann 
       
       Le Monde diplomatique Nr. 8931 vom 10.7.2009, Seite 16-17, 586
       Dokumentation, Hernando Calvo Ospina
       
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       16 Jul 2009
       
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 (DIR) Literatur aus Kolumbien: Nahendes Unwetter in der Karibik
       
       Ein Geheimtipp der kolumbianischen Literatur: Tomás González und sein
       spannungsgeladener Roman „Was das Meer ihnen vorschlug“.