# taz.de -- Netzaktivisten werden politisch: Die Wandlung der Freaks
> Blogger, Hacker und Internetuser mischen sich mehr und mehr politisch
> ein. Wie konnte aus den eigenbrötlerischen Sonderlingen von früher eine
> politische Bewegung werden?
(IMG) Bild: Werden immer politischer: Blogger, Hacker und Internetuser.
Eine Piratenpartei, die sich für Netzbürgerrechte einsetzt, tritt zur
Bundestagswahl an. Eine Onlinepetition gegen das Verbot von Killerspielen
knüpft mit über 57.000 Unterzeichnern an den Erfolg der Petition gegen
Kinderpornografie-Sperren im Internet an. Und eine Großdemonstration im
September soll erneut Zehntausende gegen die digitale Überwachung auf die
Straße bringen: Die Netzaktivisten haben sich nicht nur einmalig erhoben,
sondern wollen auch über das Thema Internetsperren hinaus politisch
mitmischen.
Das ist eine Entwicklung, die von vielen aus Politik und Medien erstaunt
beobachtet wird. Lange galten Netzarbeiter, Blogger und Hacker nicht gerade
als politisch interessiert, sondern als bleiche, sozial isolierte
Grottenolme, die in Computerräumen hausen. Oder aber als berufsjugendliche
Dampfplauderer, die damals, zu Dotcom-Zeiten, massenweise Risikokapital
verschwätzt haben.
In jedem Fall jedoch nicht als Gruppe, die gemeinsame politische Anliegen
teilt. Doch die aktuelle Gesetzgebung, von den Internetsperren für
Kinderpornografie bis hin zu Debatten um digitale Urheberrechte hat in der
Netzgemeinde für Unruhe und Zorn gesorgt - und hat sie im Interesse einer
freien, digitalen Gesellschaft zusammengeschweißt.
"Das ist unser sozialer Raum - und dort ist alles viel regulierter und
überwachter als in der normalen Welt", sagt Markus Beckedahl,
netzpolitischer Aktivist des einflussreichen Politblogs netzpolitik.org. Er
vergleicht die aufkeimende politische Einmischung der Blogger, Hacker und
Internetuser mit dem Entstehen der Umweltbewegung in den 1970er-Jahren:
"Wie damals die Natur kann man auch das Internet als Raum verstehen, an dem
Raubbau betrieben wird." Wie damals die Umweltfragen sei auch die
Netzpolitik ein Thema, das von großen Parteien nicht oder nicht ausreichend
aufgenommen wurde. Auch Netzaktivisten versuchen, "regenerative Systeme"
wie Netzneutralität oder das Betriebssystem Linux zu fördern.
Kein Höhlendasein mehr
Und wie die Umweltbewegung kämpft auch die neue Netzbewegung noch um
Anerkennung. Derzeit wächst die Zahl derjenigen, die mit dem Internet
aufgewachsen sind, ebenso wie die Zahl der Breitbandanschlüsse in
Deutschland. Großteile der privaten und beruflichen Kommunikation laufen
online - anders als noch vor 20 Jahren, als PCs und C64 erst langsam Einzug
in deutsche Haushalte hielten.
Auch die Klasse der Computer- und Netzspezialisten hat sich stark
verändert: Dank Laptops müssen Programmierer kein Höhlendasein hinter
Rechnerburgen mehr führen. Und durch die Weiterentwicklung von Software ist
auch die technische Hürde gesunken, die man nehmen muss, um das Internet zu
nutzen.
Vor allem aber sind die Netzfrickler aller Couleur diejenigen, die die
Technik und ihre Daten so weit unter Kontrolle haben, dass sie in der Lage
sind, ein selbstbestimmtes digitales Leben zu führen. Sie konsumieren im
Internet nicht nur, sondern verstehen, welche Prozesse im Hintergrund
ablaufen. Und stehen damit viel weniger idiotisch da als Leute, die von
"dem Internet" nichts verstehen, hilflos dasitzen, wenn der Windows-Rechner
nicht funktioniert oder "keine Mail machen" können.
Allen voran der Chaos Computer Club (CCC): Einst als sinistre
Hackervereinigung verschrien, schreibt er heute Gutachten, in denen er die
Bedrohungen der Vorratsdatenspeicherung erklärt, darlegt, warum
Wahlcomputer fälschungsanfällig sind und wie einfach die
"Internet-Stoppschilder" gegen Kinderpornografie umgangen werden können.
Doch die Kluft zwischen den Geeks, wie die digitalen Spezialisten sich gern
nennen, und der heutigen Riege von Spitzenpolitikern, die das Internet
meist erst als Erwachsene kennengelernt haben, ist groß. Ohne Frage
vergreifen sich viele Blogeinträge, Tweets und Kommentare im Ton, wenn sie
politische Entscheidungen wie die Kinderpornografiesperren kritisieren.
Doch das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass unter denen, die dort so
harsch pöbeln, die besten Experten sind, die man sich für netzpolitische
Fragen wünschen kann.
Grund für die scharfe Kritik der deutschen Blogosphäre ist das Entsetzen
über die technische Ahnungslosigkeit, die aus den politischen Versuchen zur
Regulierung des digitalen Raums spricht. Politik und Wirtschaft täten darum
gut daran, den Einwänden der Netzaktivisten ihre Aufmerksamkeit zu schenken
- so wie das Bundesverfassungsgericht, das den CCC als Gutachter
beauftragt.
Wer sind diese Menschen?
Bundestagspolitikern fällt es aber offenkundig schwer zu verstehen, wer
eigentlich diese jungen Menschen sind, die sich derzeit für digitale
Bürgerrechte erheben. Häufig zieht man sich darauf zurück, die
Netzaktivisten als besserwisserische, beratungsresistente Spinner abzutun.
Wenn Blogger Beckedahl Gespräche mit Politikern führe, sei es für sie oft
schwer einzuschätzen, wessen Interessen er vertrete, wer hinter ihm stehe,
berichtet er, der seit Jahren netzpolitisches Lobbying betreibt.
"Wir werden nicht ernst genug genommen, weil die Politik unsere diffusen
Ad-hoc-Netzwerke nicht versteht", sagt Beckedahl und meint damit die
blitzschnelle Verbreitung von Informationen und Aufrufen über Blogs,
Twitter und soziale Netzwerke. Das sei etwas anderes als eine Gewerkschaft
oder Sportschützenverbände, die eine nachvollziehbare Zahl von Mitgliedern
habe.
Traditionell ist die Mitgliedschaft in Organisationen oder gar Parteien
unter Geeks nicht sonderlich populär. "Die Netzgemeinde", von der derzeit
so viel zu lesen und zu hören ist, gibt es nicht - sondern nur einen Haufen
engagierter Nutzer, Rechnerarbeiter, PR-Blogger und Hacker, die einzig der
Kampf für ein freies Internet und digitale Privatsphäre zusammenschweißt.
Doch vor dem Hintergrund der aktuellen Ereignisse ist die Einsicht
gewachsen, dass man mit postpubertären politischen Verweigerungshaltungen
nicht weiterkommen wird - und stattdessen ein gemeinsames Auftreten die
eigene Position stärkt.
Aus diesem Grund erfährt auch die Piratenpartei derzeit großen Zuspruch.
"Die meisten Leute sind von der Parteiidee erst mal abgeschreckt. Das war
ich bis vor Kurzem auch", gibt Jens Seipenbusch, Vorsitzender der
Piratenpartei, zu. Er glaubt, dass die Piratenpartei die "Generation C64"
hinter sich versammeln könnte. "Gerade sind Ad-hoc-Netzwerke unsere Stärke,
aber nicht die längerfristige Lösung.
Sie produzieren einen Aufschrei - aber damit kann man nicht Politik
machen." 0,9 Prozent der Stimmen bei der Europawahl, Mitgliederzuwachs und
jede Menge mediale Aufmerksamkeit anlässlich ihres Antretens bei der
Bundestagswahl scheinen den Piraten Recht zu geben. Und zeigen, dass
Beckedahls Analyse zutreffend ist: Endlich, so scheint es, hat "die
Netzgemeinde" eine politische Vertretung, eine Autorität, die Standpunkte
formuliert, an die man sich wenden kann.
Noch zu unerfahren
Seipenbuschs Piraten wollen Netzaktivisten eine politische Heimat jenseits
von Links-rechts-Schemata bieten. Doch der Fall von Bodo Thiesen, einem
Piratenpartei-Funktionär, dessen frühere krude Aussagen zum Holocaust für
Kritik an der jungen Partei für jede Menge Kritik sorgten, zeigen, wie
schnell diese apolitische Haltung der Piraten an ihre Grenzen stößt.
Derzeit scheint es nicht so, dass sich die gesamte Bewegung hinter den
Piraten versammelt. Viele altgediente Netzaktivisten aus den Arbeitskreisen
zu Vorratsdatenspeicherung und Zensur (AK Vorrat / AK Zensur), die sich
seit Jahren politisch engagieren und vor dem Bundesverfassungsgericht sogar
schon Teilerfolge einstreichen konnten, halten sich von der Piratenpartei
fern, und das nicht erst seit deren Zuwendung zu dem umstrittenen Bodo
Thiesen und dem Ex-SPDler Jörg Tauss.
Auch Blogger Beckedahl sieht die Piratenpartei nicht als Sprachrohr der
Bewegung, auch wenn er viele ihrer Ziele teilt. Zu politisch und medial
unerfahren seien viele, politische Vorschläge würden etwa von den Grünen
einfach kopiert, zu wenig Frauen seien in der Partei.
Auch Beckedahl warnt davor, dass sich die Aktivität für digitale
Bürgerrechte auf das Unterzeichnen einer Onlinepetition beschränkt.
"Wohlfühlaktivismus" nennt er das. Doch er steht für eine andere Strömung
der Netzaktivisten als die Piratenpartei: Er wirbt dafür, weiter Lobbyismus
bei etablierten Parteien zu betreiben und dort nach netzpolitischen
Verbündeten zu suchen. Wie zäh das ist, weiß er, wenn er sagt: "Demokratie
ist halt generell ein bisschen uncool".
Doch allen Grabenkämpfen zum Trotz: Derzeit deutet sich nicht an, dass die
Geeks und Netzaktivisten ebenso schnell von der politischen Bildfläche
verschwinden werden, wie sie gekommen sind. Die politischen Schlachten um
die Regulierung des Internets haben gerade erst begonnen. Als Nächstes
werden Urheberrechtsfragen an die Reihe kommen - im schlimmsten Fall sogar
in Form des französischen Modells, das vorsieht, mutmaßlichen Filesharern
die Internetverbindung zu kappen. Ein Horror für eine Generation, die ihren
freien Lebensraum im Netz verteidigen möchte.
"Wir stehen erst ganz am Anfang. Momentan fängt eine ganze Generation den
Marsch durch die Institutionen an: Journalisten, Politiker und viele
andere. Wenn wir Pech haben, dauert es noch 20 Jahre - aber die Bewegung
wächst jeden Tag", sagt Blogger Beckedahl. Und das erinnert nun tatsächlich
an die Umweltbewegung.
23 Jul 2009
## AUTOREN
(DIR) Meike Laaff
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