# taz.de -- Blog aus Teheran - Teil 6: "Wie bei Alice im Wunderland"
       
       > Die Revolutionsgarden stehen im Zentrum des Puzzles. Wie fügen sich die
       > anderen paramilitärischen Organismen ins Bild?
       
 (IMG) Bild: Eine Mussawi-Anhängerin Mitte Juli in Teheran.
       
       Montag, 27. Juli. Ich habe dagesessen und auf Teile eines Puzzles gestarrt.
       Die Revolutionsgarden bilden das Zentrum. "Revolutionsgarden" ist der
       deutsche Name für einen Apparat, der viele Namen und Gesichter hat. Eine
       vielköpfige Hydra, die überall ihre langen Hälse reckt. Eine familiär
       weitverzweigte Mafia und ein umfassendes Netzwerk von Boten, Muskelpaketen
       und Fußsoldaten, die die Drecksarbeiten erledigen. Eine Medusa, die dich
       umbringt, wenn du in ihr Angesicht schaust. Eine Garde, die vor Langem die
       Revolution getötet hat, die sie eigentlich schützen sollte. Im Namen der
       nationalen Sicherheit.
       
       Ihr offizieller Name ist "Sepah-e Pasdaran-e Enghelab-e Eslami", kurz:
       Sepah oder Pasdaran. Sie bilden eine eigenständige Armee. Sie haben auch
       einen politischen Flügel, dessen prominentester Vertreter Mahmud
       Ahmadinedschad selbst ist. Er trat den Sepah/Bassidschi als einfacher
       Soldat 1985 bei und hat seither eine beachtliche Karriere hingelegt. Auch
       die Mehrheit seines Kabinetts gehört zu den Pasdaran, ebenso ein Drittel
       des Majles, des Parlaments.
       
       Bis jetzt habe ich nicht herausbekommen, wie seit Zeiten des Krieges
       [iranisch-irakischer Krieg 1980 bis 1988, Anm. der Red.] die Bassidschi mit
       den Pasdaran zusammenhängen. Offiziell sind die Bassidschi erst vor zwei
       Jahren in die Revolutionsgarden eingegliedert worden. Während des Krieges
       dienten die Bassidschi, die eine Freiwilligenarmee sind, als Kanonenfutter,
       sie starben in Massen auf den Minenfeldern, viele von ihnen Kinder oder
       Jugendliche. Ihre Familien bilden die einflussreiche Klasse der Märtyrer.
       Angeblich verfügen die Bassidschi heute noch über einige Millionen
       Freiwillige, was einen nicht weiter überrascht angesichts der
       Arbeitslosenzahlen.
       
       Ich weiß, dass Ahmadinedschad diese Zahlen gedrückt hat, indem er u. a. die
       Sepah und Bassidschi aufgeblasen hat. Während der Präsidentschaft von
       Chatami galt als arbeitslos, wer weniger als 15 Stunden in der Woche Arbeit
       hatte. Seit Ahmadinedschad im Amt ist, gilt als arbeitslos, wer weniger als
       eine Stunde in der Woche Arbeit hat. Kein Wunder, dass die
       Arbeitslosenzahlen runtergingen. So bietet wie an vielen anderen Orten
       einzig die Mafia Aussicht auf Arbeit. Letztlich gehören Ahmadinedschad und
       Berlusconi in dieselbe Kategorie.
       
       Eins der Puzzlestücke, das ich noch nicht einfügen konnte, ist die Ehtelat.
       Das heißt Information und steht für eine Art Innenministerium inklusive
       Geheimdienst, nur dass es kein Innenministerium im Iran gibt. So ist es
       vermutlich nur der Geheimdienst. Aber wie ist er mit Pasdaran verbunden?
       Die meisten Ehtelat-Funktionäre sind Pasdaran, aber darüber hinaus?
       
       Ein weiteres Puzzleteilchen ist natürlich die Hisbollah. An dieser Stelle
       zeigen sich die internationalen Verflechtungen des Apparats. Ein Teil des
       Ölgelds wird für die Ausbildung von Hisbollah-Kämpfern im Libanon
       ausgegeben, man schickt Waffen und - ebenso wichtig - betätigt sich
       karitativ. Die iranische Regierung investiert in Wohltätigkeit, und das
       zahlt sich für sie aus. Es funktioniert nach der simplen Logik, dass
       Geschenke "verpflichten". Das nächste Mal muss sich der Beschenkte
       revanchieren, indem er sich loyal zeigt, in die Bresche springt, sein
       Wahlkreuz macht etc. Es erstaunte deshalb niemanden, dass einige der
       Männer, die mit Stöcken auf Demonstranten einschlugen, arabisch gesprochen
       haben.
       
       Ich muss daran zurückdenken, wie ich ganz zu Beginn dachte, ich werde Zeuge
       eines Militärputsches, und dann verunsichert war. Es war verwirrend, weil
       kein Militär zu sehen war. Ich meine richtiges Militär. Und zweitens waren
       die Leute, die den Putsch vollführten, ja an der Macht. Gegen was putschten
       sie? Rückwärts betrachtet, macht es mehr Sinn. Vor meinem Puzzle sitzend,
       stelle ich fest, dass der Klerus, den jeder für die mächtigste Kraft im
       Land hält, in dem vor mir liegenden Bild zersplittert und marginalisiert
       ist.
       
       Seine Position ist auf den ersten Blick zentral, denn das Gesicht des
       Obersten Führers Chamenei ist auf jedem Puzzleteilchen zu finden. Aber je
       mehr ich ihn mir anschaue, desto mehr erscheint er mir wie eine leere
       Maske, wie die Katze bei Alice im Wunderland. Die Katze taucht wiederholt
       auf und verschwindet wieder vor Alices Augen, bis Alice sagt: "Entweder du
       gehst oder du bleibst." Die Katze grinst und verschwindet, aber das Grinsen
       bleibt. Chamenei ist vielleicht nur das Grinsen ohne Katze. Ich vermute,
       dass die Katze zur Zeit Sepah ist und nicht der Klerus.
       
       *Der Namen der Bloggerin ist der Redaktion bekannt. Bisher von ihr
       erschienen sind: [1]["Die schicken ja Kinder!"] (24.06.2009),
       [2]["Antidepressiva gegen den Schmerz"] (30.06.2009), [3]["Wir töten deine
       Kinder"] (06.07.2009), [4]["Den Wetterbericht gründlich lesen"]
       (13.07.2009) und [5]["Das Ritual auf den Kopf gestellt"] (23.07.2009)
       
       Übersetzung aus dem Englischen von Sabine Seifert
       
       29 Jul 2009
       
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