# taz.de -- Chef der Piratenpartei über Netzwerke: "Nicht alle wissen, dass wir existieren"
> Ihr Ärger mit den sozialen Netzwerken gehört zur Politisierung des
> Internets dazu, erklärt Jens Seipenbusch als Vorsitzender der
> Piratenpartei. Für die Bundestagswahl setzt er auf Fraktionsstärke.
(IMG) Bild: "In der Praxis vermischen sich auf diesen Plattformen Berichterstattung, Beteiligung und Werbung enorm."
taz: Herr Seipenbusch, in dieser Woche gab es mächtig Ärger um die
offizielle Präsenz der Piratenpartei im sozialen Netzwerk Xing. Der
Anbieter wollte Sie nicht hineinlassen, gab nur etablierten Parteien eine
Gruppe. Wundert es Sie eigentlich, dass es ausgerechnet im Internet
Schwierigkeiten gibt? Die Firmen gelten doch als Speerspitze des Web 2.0.
Jens Seipenbusch: Wirklich gewundert hat mich, dass sich Xing überhaupt von
seiner bisherigen parteilosen Linie entfernt hat. Daher verstehe ich das
auch mehr als Anlaufschwierigkeit einer Annäherung an Politik durch Xing.
Und ich habe Verständnis für die Notwendigkeit, bestimmte Grenzen zu
ziehen. Aber merkwürdig wird es, wenn eine Plattform, die ihren Erfolg
besonders dem Internet verdankt, sich nicht der Tatsache bewusst ist, dass
Neue Medien ein aktuelles Hauptthema der politischen Auseinandersetzung
sind.
Warum hat sich Xing dann doch entschieden, auch der Piratenpartei eine
Gruppe zuzustehen?
Ich denke, dass sehr viele Nutzer und Netzwerker auf Xing und anderen
Plattformen mindestens Sympathien für unsere Forderungen empfinden, da sie
ja die Wirklichkeit dieser Medien auch tatsächlich behandeln. So gab es
viele Anfragen und Bitten, auch die Piratenpartei in die Wahlprofile bei
Xing mit aufzunehmen. Das freut mich natürlich sehr. Es spricht aber auch
sehr für die Macher von Xing, dass sie so flexibel und zeitnah auf die
Wünsche ihrer Nutzer eingegangen sind. Das ist für mich ein
Community-orientiertes Vorgehen.
Zuvor hatten Sie auch schon Probleme mit StudiVZ, wo sich die für Sie
relevante Zielgruppe der Studenten tummelt.
Das stimmt, die Probleme bei StudiVZ, waren ähnlich. Die haben aber sehr
viel länger gezögert, uns zu beteiligen. Insgesamt scheinen mir nun die Web
2.0-Communities auch das Feld der Politik austesten zu wollen, was eben
nicht ganz unproblematisch ist, wenn man dies aus einer Art
Dienstleistungsebene betrachtet.
In der Praxis vermischen sich auf diesen Plattformen Berichterstattung,
Beteiligung und Werbung enorm. Das ist ein sehr gutes Beispiel dafür, wie
man für neue Medien eben auch neue Regeln finden muss. Übrigens ein
wichtiger Programmgrundsatz der Piratenpartei.
Die Piratenpartei setzt intern bei der Organisation stark auf
Web-Strukturen, wie einem eigenen Wiki. Hat das Vorteile gegenüber den
Techniken etablierter Parteien?
Wir setzen darauf und wir bestehen zum Teil daraus. Der Vorteil liegt auf
der Hand, wir benutzen das, worüber wir reden und sind so kompentent und
glaubwürdig. Andere Parteien machen das eben nicht. Und nur weil sie sich
von einer externen Marketingagentur irgendwelche Dienste einkaufen, wirken
sie noch lange nicht kompetent.
Langjährigen Web-Nutzern braucht man die Piratenpartei wohl nicht mehr zu
erklären. Allerdings dem Normalbürger, der sich für ein bisschen
Kommunikation in Social Networks tummelt, offenbar schon. Braucht es mehr
Aufklärung, wofür Sie stehen?
Ja, unser Hauptproblem ist nach wie vor, dass noch nicht jeder von unserer
Existenz überhaupt weiß. Als zweites muss dann auch noch vermittelt werden,
dass wir für Bürgerrechte und Freiheit im Informationszeitalter, also der
Gesellschaft von heute und morgen kämpfen. Wenn wir das genügend Menschen
vermitteln können, dann haben wir große Chancen bei der Bundestagswahl.
Verwechselt man Sie noch mit radikalen Parteien?
Mit radikalen Parteien eigentlich nicht, zumindest ist mir da nichts
bekannt. Wahrscheinlich denkt der ein oder andere bei unserem Namen eher an
eine etwas chaotische Truppe. Die Berichte über unseren bestens
organisierten und geordneten Hamburger Parteitag im Juli haben mich da
natürlich sehr gefreut.
Mit dem Ex-SPD-Mann Jörg Tauss haben die Piraten kurz vor Ende der
Legislaturperiode ihren ersten Abgeordneten bekommen. Nutzen Sie die
Plattform ausreichend, um bekannter zu werden? Oder fürchten Sie, dass
Tauss' aktuelle strafrechtliche Probleme sich negativ auf Ihr Image
auswirken könnten?
Nun, die Sitzungsperiode ist ja leider schon zu Ende. Aber Jörg Tauss ist
natürlich in Berlin und bei unserem Wahlkampf eine wertvolle Hilfe für uns.
Herr Tauss hat sich seit Jahren für eine effiziente Bekämpfung von
Kinderpornografie stark gemacht und daran mitgearbeitet. Da gibt es keine
Zweifel. Wir gehen auch mit dem laufenden Verfahren offen und transparent
um. Das ist unsere Einstellung. Und mehr und mehr Menschen honorieren es.
Ich habe das Gefühl, dass diese Vorgehensweise mögliche negativen
Auswirkungen verhindert.
Herr Seipenbusch, die Wahl zum Bundestag steht an. Bis in den Juli hinein
lief noch eine Unterschriftenaktion, um in möglichst allen Bundesländern
auf die Wahlzettel zu kommen. Hat es geklappt?
Zumindest in 15 von 16 Bundesländern. Einzig in Sachsen werden wir leider
nicht auf dem Stimmzettel stehen. Dort sind einige personelle und
organisatorische Probleme unglücklich zusammengekommen, die sich nicht mehr
fristgerecht beheben ließen.
Die Piraten wollen weder ausgeprägt links noch rechts sein, sondern vor
allem mit Themen wie den digitalen Bürgerrechten punkten. Funktioniert eine
solche Entideologisierung auf Dauer?
Ich denke, dass sie in der jetzigen Situation bei den Piraten funktionieren
kann, weil wir das Grundgesetz und die Bürgerrechte haben, um unseren Kurs
nicht zu verlieren. Ich denke auch nicht, dass Entideologisierung das
richtige Wort ist, ich würde eher von einer vorübergehenden Priorisierung
sprechen. Wir müssen in der Übergangsphase der Gesellschaft Bürger aus dem
gesamten demokratischen Spektrum zusammenbringen, damit der Lauf der Dinge
nicht unsern freiheitlichen, demokratischen Staat überrollt.
Rechnen Sie sich eigentlich realistische Chancen für die Bundestagswahl
aus, womöglich sogar erfolgreiche Direktkandidaten?
Ich erhoffe mir natürlich fünf Prozent, damit wir in Fraktionsstärke in den
neuen Bundestag einziehen und kann jedem versichern, dass es ein Signal und
ein Fortschritt für die Interessen der Bürger sein würde. Das wäre ein
nachhaltiges Zeichen, dass wir eindeutig zu den sechs stärksten Parteien in
Deutschland zählen. Bei den Direktkandidaten kann ich nichts sagen, aber es
ist wohl klar, dass wir uns einen Überraschungserfolg wünschen.
7 Aug 2009
## AUTOREN
(DIR) Ben Schwan
## ARTIKEL ZUM THEMA
(DIR) Ex-SPDler verlässt Piratenpartei: Tauss ist raus
Seit 2009 war der frühere SPDler Jörg Tauss Mitglied der Piraten. Nachdem
er wegen Verbreitung von Kinderpornos verurteilt wurde, trat er aus. Die
Partei will er aber weiter unterstützen.
(DIR) Parteigründer Rick Falkvinge: Schwedischer Pirat auf Enterfahrt
Rick Falkvinge hatte durch Zufall die Piratenpartei gegründet. Aus der
schwedischen Idee ist ein Projekt geworden, das es in 33 Ländern gibt. Da
stellt Falkvinge sogar Ikea in den Schatten.