# taz.de -- Systematische Verdrängung im Job: Wer über 50 ist, wird rausgemobbt
       
       > Weil junge Mitarbeiter billiger sind, versuchen immer mehr Unternehmer,
       > ältere Arbeitskräfte loszuwerden. Sie werden schikaniert - bis sie
       > freiwillig kündigen.
       
 (IMG) Bild: Wird der Arbeitsplatz unerträglich, dann beginnt oft die Stellensuche.
       
       Der nackte Schreibtisch macht ihn wütend. Und traurig. Martin Schmidt*
       schlägt die Zeitung auf, überfliegt Überschriften, blättert vor, dann
       wieder zurück. Auf die Texte konzentrieren kann er sich nicht; denn draußen
       auf dem Gang hört Schmidt die hektischen Schritte seiner jungen
       Arbeitskollegen.
       
       In seinem Büro ist es unerträglich still. Der 54-Jährige greift in seine
       Umhängetasche und legt mehrere Kugelschreiber vor sich auf den Tisch. Die
       Kulis hat er von zu Hause mitgebracht. Würde er welche bei der Firma
       anfordern, käme die Frage, wofür er die denn brauche. Schmidt reiht einen
       Kugelschreiber an den anderen, exakt 90 Grad zur Tischkante. 10 Uhr 30.
       Noch mindestens eine Stunde bis zur Mittagspause. An den Nachmittag will er
       gar nicht denken.
       
       Schmidt war Gebäudeverwalter in einem Münchner Unternehmen. Offiziell ist
       er das immer noch, er arbeitet in derselben Abteilung, sitzt in demselben
       Büro, bekommt das gleiche Gehalt. Aber: Sein Schreibtisch bleibt leer.
       "Spezial-Vollmacht nennt sich das. Ich muss den Sonderaufgaben nach Weisung
       des Abteilungsleiters folgen." Das heißt: Schmidt ist durch Arbeitsentzug
       kalt gestellt - ein Signal, dass er nicht mehr gebraucht wird.
       
       Schmidt ist kein Einzelfall: Jeder fünfte über 50-Jährige fühlte sich im
       Jahr 2008 laut einer Studie des Instituts für Markt- und Sozialforschung
       (IFAK) in Deutschland Schikanen am Arbeitsplatz ausgesetzt. Das gezielte
       Mobbing gegenüber den über 50-Jährigen hat wirtschaftliche Gründe: 50- bis
       65-Jährige verdienen hierzulande durchschnittlich rund 70 Prozent mehr als
       25- bis 30-Jährige, das ergab eine Studie des Personaldienstleisters
       Adecco.
       
       Darin steckt Sparpotenzial: Warum die alten, teuren Mitarbeiter behalten,
       wenn ein junger Kollege die gleiche Arbeit für weniger Geld erledigt? Weil
       aber Mitarbeiter vor einer ungerechtfertigten Kündigung gesetzlich
       geschützt sind, versuchen Unternehmen, Mitarbeiter mit nicht nachweisbaren
       Mobbingattacken zur freiwilligen Kündigung zu bewegen - eine Methode, die
       Personalführungskräfte in diversen Seminaren und Workshops sogar trainieren
       können.
       
       Für Schmidt beginnt das Mobbing, als seine Abteilung im Jahr 2000
       ausgelagert und mit einer anderen Firma verschmolzen wird. Er erinnert sich
       noch gut an die Begrüßungsworte des neuen Vorgesetzten: "Er hat gesagt,
       dass uns Älteren in den Arsch getreten gehört. Uns war klar, dass wir so
       schnell wie möglich weg sollten." Der junge Abteilungsleiter bewertet
       regelmäßig jeden Mitarbeiter - die Jungen erhalten hervorragende, Schmidt
       und seine gleichaltrigen Kollegen durchweg schlechte Benotungen. Briefe, in
       denen Kunden Schmidts Arbeit loben, verschwinden. Schriftliche
       Kundenbeschwerden über Baufehler, auf die Schmidt schon bei der Planung
       hingewiesen hatte, leitet der Abteilungsleiter an Schmidt weiter - gleich
       mit Kopie an die Geschäftsführung. "Ich kam mir vor wie ein Trottel! Die
       wollten ganz bewusst, dass ich Angst und Schuldgefühle bekomme."
       
       Die Vorgesetzten führen ein Personalbuch, notieren sogar die
       Freizeitaktivitäten der Mitarbeiter. "Jeder soll die Schwächen seiner
       Kollegen unverzüglich melden. Du bist umgeben von Arschlöchern", sagt
       Schmidt. Ein dreiviertel Jahr später werden die über 50-Jährigen mit kaum
       zu bewältigender Arbeit überhäuft. Wegen des steigenden Drucks unterlaufen
       einigen Kollegen Fehler. Fehler, die erst zu einer Abmahnung führen, dann
       zur Kündigung. Andere werden schwer krank.
       
       2008 ist Schmidt der letzte über 50-Jährige in seiner Abteilung. Wenn er
       nicht auf den Lohn angewiesen wäre, hätte auch er schon längst gekündigt.
       Eine Betriebsrätin empfiehlt ihm, ein Mobbingtagebuch zu schreiben, als
       Dokumentation. Aber Schmidt will nicht vor Gericht: "Ich will doch nur
       meinen Job behalten und endlich wieder richtig arbeiten."
       
       Vor Gericht gehen nur die Wenigsten, sagt Klaus Michael Alenfelder,
       Fachanwalt für Arbeitsrecht in Bonn. Vor fünf Jahren hat er sich auf
       Diskriminierungen spezialisiert und erlebt, wie Mobbingopfern oft der Mut
       fehlt, zu prozessieren und wie groß die Angst der Kollegen ist, gegen ihren
       Arbeitgeber auszusagen. "Das große Problem ist die Beweispflicht. Viele
       Mobbingsituationen finden unter vier Augen statt", sagt Alenfelder. Dann
       stehe Aussage gegen Aussage.
       
       Anders als Schmidt hat Anne Peters* aus dem Zollernalbkreis in
       Baden-Württemberg über Monate hinweg ein Mobbingtagebuch geführt. Ihre
       Geschichte beginnt, als ihr Chef im Oktober 2005 in Rente geht und sein
       Schwiegersohn die Firmenleitung übernimmt. Zu dem Zeitpunkt arbeitet die
       heute 58-Jährige dort schon 15 Jahre lang als Buchhalterin. Mit dem neuen
       Computerprogramm kommt sie langsamer voran als sonst. Überstunden häufen
       sich an - was dem neuen Chef missfällt. In ihrem Tagebuch dokumentiert sie
       die folgenden Monate: Der Chef lässt sie alle drei Monate zu sich rufen:
       Peters arbeite zu langsam, ihr Gehalt sei zu hoch und sie zu alt. Ob sie
       nicht kürzer treten wolle? "Nein."
       
       Ab April 2006 fehlt in der Kasse immer wieder Geld, Belege verschwinden.
       Immer öfter habe der Chef plötzlich hinter Peters gestanden, sie
       kontrolliert und gedroht: "Wegen Ihnen gehen wir noch insolvent!" Ab Mai
       2006 sind ihre Überstunden gestrichen. Immer öfter bekommt sie ihr Gehalt
       gar nicht, zum Beispiel wenn sie wegen einer Grippe nicht ins Büro kommt.
       Ihre Krankheitstage werden mit den Urlaubstagen verrechnet, ihr Stundenlohn
       von 17,80 auf 14,75 Euro gekürzt. "Das sei soziale Gerechtigkeit gegenüber
       der jüngeren Generation, die für die gleiche Arbeit weniger verdient als
       ich, hat mein Chef gesagt", sagt Peters.
       
       Inzwischen zittert Peters, wenn ihr Chef den Raum betritt. Sie ist nervös,
       fühlt sich ständig beobachtet, traut niemandem mehr. Bei Kollegen und
       Nachbarn beschränkt sie sich auf einfache Floskeln. Nachts kann sie kaum
       schlafen. Existenzängste und Minderwertigkeitskomplexe plagen sie: "Die
       Verlustängste, die ich hatte, waren schlimmer als die, die ich
       durchgestanden habe, als mein Mann gestorben ist." Am liebsten würde sie
       kündigen - doch wie soll sie dann die fehlenden Jahre bis zur Frührente
       finanziell überbrücken?
       
       Um die Attacken auszuhalten nimmt Peters Antidepressiva, Psychopharmaka und
       Schlafmittel. Zu den psychischen kommen physische Beschwerden: Bakterien im
       Magen, Rheuma, Gliederschmerzen. "Die Auswirkungen von Mobbing werden
       häufig mit Symptomen verglichen, die Opfer von Natur- und anderen
       Katastrophen aufweisen", sagt Diplom-Psychologin Beate Beermann von der
       Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (Baua). "Die Ängste
       machen sich über Krankheiten Luft. Die einen bekommen Migräne, die anderen
       einen hohen Blutdruck, Herzrasen, Herzrhythmus-Störungen oder sogar einen
       Herzinfarkt", sagt Beermann.
       
       Weitere Symptome gleichen dem Empfinden in akuten Stress-Situationen:
       Unruhe, Schlafstörungen und Schweißausbrüche, die Liste lasse sich
       unendlich fortsetzen. Für einige Betroffene ende der Leidensweg in der
       Berufsunfähigkeit; manche begingen sogar Selbstmord, sagt Otto Berg, der
       selber einmal von Mobbing betroffen war und vor 16 Jahren zusammen mit
       Rechtsanwälten und Psychologen eine Anlaufstelle für Mobbingopfer gründete:
       eine Selbsthilfegruppe und das Mobbingtelefon München, an dem er zweimal
       pro Woche Betroffene kostenlos berät.
       
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       Immer öfter lässt sich Peters krankschreiben. "Ich war wie im Delirium,
       dabei war ich doch immer ein ordentlicher, pflichtbewusster Mensch
       gewesen." Das Mobbing geht weiter. Nächste Etappe: arbeiten im Keller. Zwei
       grelle Neonleuchten sind die einzige Lichtquelle in dem großen, unbeheizten
       Raum. An den Wänden stehen Regale mit Ordnern. Peters kniet auf dem
       gefliesten Boden und beschriftet die Ordnerrücken neu. Wenn ihr kalt ist,
       geht sie in den kleinen Nebenraum und presst ihren zierlichen Körper
       minutenlang an die Heizung.
       
       Der Keller bleibt ihr Büro - ein Zeichen hierarchischer Degradierung und
       Isolierung. Doch Peters sieht das weniger als Demütigung sondern eher als
       Befreiung - hier taucht ihr Chef nicht so oft auf. Peters hat sich
       arrangiert. Denkt sie jedenfalls. Dann verlangt ihr Chef, kurz vor dem
       bewilligten Urlaub, dass sie die bereits gebuchte und bezahlte Reise
       storniert. Peters fängt an zu weinen. Und wird die nächsten Monate nicht
       mehr aufhören. Ein Nervenzusammenbruch. Sie braucht eine Therapie, danach
       eine Kur.
       
       Noch während der Therapie erhält sie die schriftliche Kündigung. Sie klagt
       auf Wiedereinstellung, so hatte es ihr ein Berater der Gewerkschaft
       geraten. Viele Monate und etliche Prozesse später - inzwischen sitzt eine
       400-Euro-Kraft auf Peters Platz - hat sie sich vor Gericht 15.000 Euro
       Abfindung erstritten. Arbeiten will sie nie wieder: "Mobbing ist wie ein
       Brandmal, die Attacken brennen sich tief in die Seele ein, sie sind wie
       Narben im Selbstwertgefühl." Seit sie aufgehört hat zu arbeiten, sind die
       gesundheitlichen Beschwerden fast vollständig verschwunden.
       
       Während Peters anfängt, ihr Leben wieder zu genießen, ist der Ausgang von
       Martin Schmidts Situation hingegen noch unklar. Selbst kündigen will er
       keinesfalls, zu lange hat er schon durchgehalten. Er wartet auf einen
       Abwicklungsvertrag, in dem er die Kündigung akzeptieren und im Gegenzug
       eine Abfindung bekommen würde. Bis er ein entsprechendes Angebot erhält,
       kommt er jeden Morgen pünktlich ins Büro. Mit Zeitung und Kugelschreibern
       in der Tasche.
       
       *Namen geändert
       
       14 Aug 2009
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Janine Damm
       
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