# taz.de -- Debatte ETA: Folgen der Repression
       
       > Dass die baskische Gesellschaft die Forderungen der ETA immer noch
       > unterstützt, ist auch Ergebnis der Politik der spanischen Regierung.
       
       Wer den baskischen Konflikt länger verfolgt, hat nach den Anschlägen von
       Mallorca das Gefühl eines Déjà-vu. Seit Mitte der 1980er-Jahre berichten
       die Medien nach Attentaten der ETA immer wieder, dass die Organisation
       isoliert sei wie nie zuvor und dass niemand im Baskenland ihre Gewalt
       verstehe. Solche Darstellungen mögen im Rahmen der Terrorbekämpfung, bei
       der es immer auch um eine politische Mobilisierung der Öffentlichkeit geht,
       hilfreich sein. Mit einer realistischen Einschätzung haben sie allerdings
       weniger zu tun.
       
       Tatsächlich hat sich die Situation im Baskenland in den vergangenen 25
       Jahren überraschend wenig verändert. Die Zahl der ETA-Anschläge ist zwar
       deutlich zurückgegangen. Doch die Rahmenbedingungen sind ähnlich geblieben:
       Obwohl jeder, der in die ETA eintritt, weiß, dass er jahrzehntelang im
       Gefängnis sitzen wird, erholt sich die Organisation immer wieder schnell
       von polizeilichen Schlägen.
       
       Der baskische Alltag ist vor allem in den kleineren und mittelgroßen
       Ortschaften geprägt von Bewegungen, die sich mit den Gefangenen
       solidarisieren und wie die ETA ein unabhängiges sozialistisches Baskenland
       fordern.
       
       Die ETA-nahe Gewerkschaft LAB stellt 16 Prozent der Betriebsräte in der
       Region, und die seit 2001 verbotene Unabhängigkeitspartei Batasuna
       mobilisiert regelmäßig 10 bis 15 Prozent der Bevölkerung bei Wahlen. In
       einem Akt zivilen Ungehorsams geben sie illegale Batasuna-Stimmzettel ab,
       die in den Statistiken als ungültig registriert werden. Berichte über
       Spaltungen innerhalb von Batasuna sind mit Skepsis zu sehen. Zwar gibt es
       mit Aralar heute eine Batasuna-Abspaltung, die sich klar von der ETA
       distanziert. Doch solche Gruppen entstanden seit den 80ern immer wieder -
       ohne dass Batasuna deshalb verschwunden wäre.
       
       Warum hat die ETA in Teilen der Bevölkerung nach wie vor Rückhalt? Die
       spanische Öffentlichkeit erklärt das mit dem ethnischen Fanatismus der
       Batasuna-Anhänger. Doch betrachtet man die radikale Unabhängigkeitsbewegung
       genauer, lässt sich diese Theorie kaum halten. Verglichen mit der
       spanischen Mehrheitsgesellschaft ist die Batasuna-Anhängerschaft
       ausgesprochen einwandererfreundlich und internationalistisch. Als Baske
       definiert sie, "wer in der Region lebt und arbeitet" - das schließt auch
       illegale afrikanische Einwanderer ein. Viele ETA-und Batasuna-Mitglieder
       stammen zudem aus spanischen Familien.
       
       Der Verweis auf den Ethnizismus kann die Existenz der ETA deshalb nicht
       erklären. Es gibt zwei andere Gründe: Erstens sind viele Basken zwar nicht
       mit den Aktionen, aber doch mit den zentralen Forderungen der ETA
       einverstanden. So scheiterten die Gespräche zwischen Madrid und der ETA
       2006 an der Forderung, alle Beteiligten müssten das Ergebnis einer
       demokratischen Volksbefragung akzeptieren. Diese Position, wie sie die ETA
       seit über 30 Jahren verteidigt, geht letztlich nicht über das hinaus, was
       die europäische Öffentlichkeit im Fall der jugoslawischen Teilrepubliken
       für normal hielt und die EU politisch forciert hat: dass nämlich die
       Bevölkerung einer Region selbst entscheiden soll, ob sie weiter zum
       Zentralstaat gehören möchte oder nicht. Die Zapatero-Regierung jedoch
       wollte dies nicht zulassen und ließ deshalb die Gespräche platzen. Sie
       verweist darauf, dass das Baskenland schon immer zu Spanien gehört habe,
       und stellte die Durchführung eines Referendums, wie es sogar die baskische
       Christdemokratie wünscht, per Gesetz unter Strafe.
       
       Der zweite und noch wichtigere Grund für den Fortbestand der ETA ist, dass
       die spanische Seite im Antiterrorkampf immer wieder Gewaltmittel einsetzt,
       die denen der ETA kaum nachstehen. In den 1980er-Jahren unterhielt die
       sozialdemokratische Regierung von Felipe González Todesschwadronen wie in
       Lateinamerika. Zudem haben baskische Menschenrechtsgruppen seit der
       Demokratisierung 7.000 Folterfälle durch die Guardia Civil registriert,
       darunter Prominente wie der Chefredakteur der unabhängigen Tageszeitung
       Egunkaria, Martxelo Otamendi. Der Journalist und bekennende Homosexuelle
       Otamendi berichtete nach seiner Verhaftung 2001 von sexuellen
       Misshandlungen durch die Guardia Civil. Andere Gefangene gaben in den
       vergangenen Jahren Vergewaltigungen und das gezielte Herbeiführen von
       Erstickungsanfällen zu Protokoll.
       
       Doch obwohl der UN-Menschenrechtsbeauftragte Theo van Boven auf diesen
       Umstand mehrfach hingewiesen hat, wird dieser Skandal von der europäischen
       Öffentlichkeit schlichtweg ignoriert. Aus spanischer Perspektive mag es
       nachvollziehbar erscheinen, dass die Polizei hart durchgreift und die
       Justiz in den vergangenen Jahren hunderte baskischer Organisationen und
       Wahllisten verboten hat.
       
       Für Teile der baskischen Gesellschaft hingegen manifestiert sich hier nur
       wieder der undemokratische Charakter Madrids. Sie verweisen darauf, dass
       die Sozialdemokraten nur deshalb seit dem 7. Mai den baskischen
       Ministerpräsidenten stellt, weil die Stimmen Batasunas für ungültig erklärt
       wurden.
       
       Sie sind frustriert darüber, dass von den 700 baskischen Gefangenen mehr
       als 100 wegen der Mitgliedschaft in Parteien und sozialen Bewegungen
       inhaftiert sind. Und sie erklären das alles mit der historischen
       Kontinuität der Franco-Diktatur: König Juan Carlos sei vom Diktator
       eingesetzt worden, die Anhänger des Regimes nach Francos Tod in ihren
       Funktionen in Justiz, Armee und Behörden geblieben, und selbst die
       Repressionsmethoden ähnelten denen der Diktatur. Von solchen Vergleichen
       hält die linksliberale Öffentlichkeit Spaniens, die durchaus über die
       Defizite der Demokratisierung 1976-1981 diskutiert, nichts.
       
       Doch unabhängig davon, wie man die jüngere spanische Geschichte
       interpretiert - eines ist deutlich: Wie der nordirische Konflikt hat auch
       der baskische einen politischen Kern, der sich mit polizeilichen Mitteln
       nicht beseitigen lässt. Spanien und Europa täten gut daran, diese andere
       Seite des Terrors zur Kenntnis zu nehmen. Der faktische Ausnahmezustand,
       der heute im Baskenland herrscht, macht es nur wahrscheinlicher, dass die
       ETA auch noch einen 60. Jahrestag mit Attentaten "zelebriert".
       
       17 Aug 2009
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Raul Zelik
       
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