# taz.de -- Landtagswahl in Sachsen: Grüne hoffen auf Direktmandat
       
       > Die Dresdner Äußere Neustadt ist der Stimmenbringer für Sachsens
       > Bündnisgrüne. Hier könnte ihr Kandidat Johannes Lichdi das erste
       > ostdeutsche Landtagsdirektmandat gewinnen.
       
 (IMG) Bild: Für die Grünen in Sachsen kann es zur Landtagswahl eng werden. Umso mehr hoffen Sie auf den Direkteinzug von Johannes Lichdi.
       
       Wahlkampf in einer Kneipe der Dresdner Neustadt. Die sechs Kandidaten -
       einer auch von den Piraten - wechseln einzeln von Tisch zu Tisch. Fünf
       Minuten lang müssen sie die Fragen der Gäste an den Tischen beantworten,
       dann wird abgestimmt: Sind die Gäste zufrieden, bekommt der Kandidat einen
       Schnaps. Wenn nicht, gibt es Apfelkorn für den gesamten Tisch.
       
       Der Verein "Kultur aktiv", der sich sonst der Zusammenarbeit mit
       ausländischen Künstlern widmet, hat diese Dem-Volk-aufs-Maul-Schau
       erfunden. Eine Wahlkampfschnapsidee, wie sie vielleicht in Dresden nur in
       diesem über die Stadtgrenzen hinaus bekannten Viertel blühen kann.
       
       Was die meisten Besucher kaum wissen dürften: Die Äußere Neustadt gehört
       gemeinsam mit Teilen der Altstadt auf der anderen Elbseite zu jenem
       Wahlkreis 45, in dem die Bündnisgrünen das erste Landtagsdirektmandat in
       Ostdeutschland gewinnen könnten. Auf ihrer eigenen Homepage rechnen die
       "Neustadtgrünen" vor, dass sie bei der Kommunalwahl im Juni nur dreieinhalb
       Prozent oder 900 Stimmen hinter der CDU lagen. Im Kerngebiet der Äußeren
       Neustadt gab fast jeder Zweite den Grünen seine Stimme.
       
       Rot, also SPD, wurde hier schon vor 1933 gewählt. Als dann aber nach dem
       Krieg der Sozialismus kam, verfiel das einzigartige Gründerzeitviertel
       zusehends. Die Lust an morbiden Motiven inspirierte nicht nur Fotografen.
       Auch eine Subkultur entwickelte sich, die Künstler anlockte, zur Gründung
       der ersten Bürgerinitiative in der DDR und 1990 zum Stadtteilfest "Bunte
       Republik Neustadt" führte.
       
       Diese BRN ist heute als kommerzialisierter Massenauflauf zwar nur noch ein
       Schatten der Ursprungsidee. Und die Szene fröhlicher Anarchisten ist
       weitgehend verschwunden. Vor drei Jahren löste sich die "IG Äußere
       Neustadt" resigniert auf. Infolge der Stadtsanierung hat sich die
       Einwohnerschaft zu etwa drei Vierteln ausgetauscht. Doch die, die nachzogen
       und sich die teureren Wohnungen leisten können, passen überwiegend ins
       grüne Stammmilieu: domestizierte Rebellen von heute, noble Alternative,
       aufgeklärte Intellektuelle. Studenten zieht es nach wie vor hierher, auch
       Forscher, Ärzte, Rechtsanwälte. Der Altersdurchschnitt liegt zehn Jahre
       unter dem Dresdens.
       
       "Alles Quatsch!", kommentiert der Mann, der den Wahlkreis zur Landtagswahl
       am Sonntag gewinnen will. Der 45-jährige Johannes Lichdi ist selbst Jurist,
       kam 1992 vom Neckar nach Dresden und trat 1995 den Grünen bei. Der Erfolg
       liege nicht am Milieu, sondern daran, "dass wir über einen langen Zeitraum
       glaubwürdige grüne Politik gemacht haben", sagt er. Lichdi ist für seine
       starken Sprüche, seine apodiktische, manchmal cholerische Art bekannt. Aber
       auch für seine Kompetenz. In der kleinen Landtagsfraktion ist er
       Innenpolitiker, Rechtsexperte und Chefökologe in Personalunion.
       
       Doch auch die beste Politik muss auf fruchtbaren Boden fallen. Die
       Neustädter trugen 2001 maßgeblich zum Ende des CDU-Bürgermeisters Herbert
       Wagner bei. Vor fünf Jahren kamen von hier die entscheidenden Stimmen für
       den knappen Einzug der Grünen in den Landtag. Ein NPD-Plakat hat hier keine
       Chance, die CDU kaum. Als "hochkommunikativ" beschreibt die Autorin und
       Stadtführerin Una Giesecke das Klima. Man schwatze in Laden und Kneipe noch
       so viel wie auf dem Dorf.
       
       Genau so macht Johannes Lichdi Wahlkampf, wenn man überhaupt im
       konventionellen Sinn davon sprechen kann: "Anfassbar" will er sein. Sauer
       ist Lichdi auf die SPD und ein bisschen auf die Linken. "Wenn die wirklich
       den Wechsel wollten, müssten sie mich unterstützen", moniert er. In der
       anderen Wahlkreishälfte zwischen Barock und Plattenbau grünt es weniger.
       
       27 Aug 2009
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Michael Bartsch
       
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