# taz.de -- Straßennamen: "Ehrender Charakter"
       
       > Man sollte Straßennamen durchaus kritisch prüfen, sagt Historiker Rainer
       > Pöppinghege.
       
 (IMG) Bild: Kiezdrache vom „widerständigen Laternenumzug“ am Heinrichplatz (2018), bald Rio-Reiser-Platz
       
       taz: Herr Pöppinghege, immer wieder gibt es in Deutschland Konflikte um
       personenbezogene Straßennamen. Warum? 
       
       Rainer Pöppinghege: Straßennamen symbolisieren einen Grundkonsens der
       Erinnerungskultur und haben einen ehrenden Charakter. Täglich treten sie in
       unser Bewusstsein, um uns an etwas zu erinnern. Da stellt sich die Frage:
       Wer ist es eigentlich wert, sich an ihn zu erinnern?
       
       Wurden Straßen schon immer nach Personen benannt? 
       
       Nein, das ist ein Phänomen der Moderne. Im Mittelalter orientierten sich
       Straßennamen noch an der Topografie, wie das bei "Talstraße" oder
       "Kirchplatz" deutlich wird. Erst im frühen 19. Jahrhundert wurde die
       Straßenbenennung zum Verwaltungsakt und politisch instrumentalisiert.
       
       Was ist denn der Deutschen liebster Straßenname? 
       
       Das ist Schiller, gefolgt von Goethe. Das deutsche Bildungsbürgertum hatte
       da sehr stark seine Finger im Spiel.
       
       Die deutsche Geschichte des letzten Jahrhunderts ist durch einige
       Systemwechsel geprägt. Wie stark wirkt sich das auf Straßennamen aus? 
       
       Neben kommunalen Gebietsreformen waren Systemwechsel oft der Grund für
       Umbenennungen. Heute haben wir einen vielschichtigen Fundus an
       Straßennamen. Die Umbenennungen repräsentieren nicht unbedingt die
       Geschichte, wohl aber unsere Geschichtsbilder. Staaten ohne Systemwechsel,
       etwa Großbritannien, haben dagegen ein ungebrochenes Straßennamenbild.
       
       Resultiert aus den vielen Umbenennungen eine Entpolitisierung der
       Straßennamen? 
       
       Bei Neubenennungen ist das sicher der Fall. Bei Umbenennungen und den
       wenigen überregional präsenten Persönlichkeiten sieht das anders aus: Wenn
       aus der Kochstraße eine Rudi-Dutschke-Straße wird, ist das ganz sicher ein
       Politikum.
       
       Warum halten sich die Namen mit kolonialem Hintergrund länger als die Namen
       nationalsozialistischer Herkunft? 
       
       Dahinter stecken unterschiedliche Motivationen. Ein Argument ist
       sicherlich, dass auch andere westeuropäische Staaten Kolonialismus
       betrieben haben. Außerdem wird das negative deutsche Erbe in dem Fall auf
       den Nationalsozialismus reduziert: Kolonialismus war zwar nationalistisch,
       aber eben nicht nationalsozialistisch.
       
       Ist das gerechtfertigt? 
       
       Man muss sicher nicht jeden Kolonialbeamten vom Straßenschild nehmen. Aber
       man sollte die Namen durchaus mal auf den Prüfstand stellen, auch wenn das
       bei Verwaltung und Anwohnern relativ unbeliebt ist. Es muss einfach gefragt
       werden: Verdient es jemand, tagtäglich auf Briefköpfen aufzutauchen und
       ehrenvoll bedacht zu werden, dessen Vergangenheit einer eher kritischen
       Auseinandersetzung bedarf?
       
       Können Informationstafeln eine Umbenennung ersetzen? 
       
       Nein, das wäre nur ein halber Schritt. Eine Umbenennung bedeutet, sich
       bewusst zu distanzieren. Eine Informationstafel heißt nur, zu relativieren.
       
       28 Aug 2009
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Alexandra Kunze
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Berlin-Kreuzberg
       
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