# taz.de -- Abtreibungsdebatte in Deutschland: Gegen die freie Entscheidung
       
       > Am Tag vor der Bundestagswahl demonstrieren Christlich-Konservative
       > wieder für ein Verbot des Schwangerschaftsabbruchs. Das Szenario erinnert
       > an mittelalterliche Büßermärsche
       
 (IMG) Bild: Mit weißen Kreuzen wird gegen die straffreie Abtreibung bis zum dritten Monat protestiert.
       
       Einen Tag vor der Bundestagswahl demonstrieren Abtreibungsgegner in Berlin.
       Mit tausend großen weißen Kreuzen wollen sie durch die Innenstadt
       marschieren. Zum fünften Mal findet dieser als Trauermarsch deklarierte
       Protest in der Hauptstadt statt. Organisiert wird er vom "Bundesverband
       Lebensrecht" - einem Zusammenschluss von Organisationen, die gegen das
       Recht auf Abtreibung sind. Allerdings werden sie, wie letztes Jahr, wieder
       auf Gegenprotest stoßen. Ein Bündnis linker und feministischer Gruppen,
       darunter Pro Familia Berlin, ruft auf, der Demagogie der Abtreibungsgegner
       zu widersprechen.
       
       Mit ihren Kreuzen wollen die Abtreibungsgegner auf die angeblich 1.000 an
       jedem Werktag in Deutschland vorgenommenen Abtreibungen aufmerksam machen.
       Das Szenario erinnert an Bilder von mittelalterlichen Büßermärschen, nur
       dass die Marschierenden hier nicht ihre eigene Schuld anprangern, sondern
       die, die sie bei anderen sehen. Bei anderen Frauen.
       
       1.000 Abtreibungen pro Werktag wären 260.000 im Jahr. Nach offiziellen
       Zahlen des Statistischen Bundesamtes lagen die Abtreibungszahlen für 2008
       dagegen bei rund 114.500. Margret Mehner vom Verein Kaleb, der dem
       Bundesverband Lebensrecht angehört, meint, dass die Differenz auf die
       Dunkelziffer zurückzuführen sei, "weil die Ärzte nicht alle Abtreibungen
       melden." Sie wisse dies von den Krankenkassen. "Kennen Sie denn die Zahl
       der Kinder, die dran glauben müssen?", fragt sie. 1.000 - das sei eben
       eingängig.
       
       Die Verbotsbefürworter, die dem christlich-fundamentalistischen Spektrum
       zuzuordnen sind, sind explizit dagegen, dass Frauen selbst entscheiden
       können. "Die Entscheidungsfreiheit ist an die Spitze der ethischen Pyramide
       gewandert. Dem hat sich alles unterzuordnen. Ein eigenes Lebensrecht für
       das gezeugte Kind hat da keinen Platz", schimpft Gerhard Steier von der
       Bundesgeschäftsstelle der Lebensschützer in Berlin.
       
       Er will Abtreibung verboten wissen, da schon der im Werden begriffene
       Embryo, so das Credo der Abtreibungsgegner, ab dem Moment der Zeugung ein
       eigenes Rechtssubjekt sei. Steier will noch nicht einmal den
       Schwangerschaftsabbruch zulassen, wenn das Leben der Mutter auf dem Spiel
       steht. Mediziner, meint er, hätten bestätigt, dass Lebensgefahr durch eine
       Schwangerschaft heute so gut wie ausgeschlossen sei.
       
       Um ihren Positionen Nachdruck zu verleihen, setzen die Abtreibungsgegner
       auf starke Symbolik. Gern verteilen sie Plastikfiguren von zwölf Wochen
       alten Embryos, etwa vor Schulen. Außerdem gibt es zumindest in München
       Gruppen, die die Gehsteige vor Praxen belagern, in denen Frauen abtreiben
       können.
       
       Die Verbotsbefürworter nutzen dabei die Notlage, in die schwangere Frauen
       geraten können. Jede Form von ergebnisoffener Beratung, wie sie etwa Pro
       Familia anbietet, halten sie für eine Mogelpackung. Die Schuldgefühle, in
       die Frauen nach einer Abtreibung fielen, würden dort nicht angesprochen.
       Und dass Frauen nach einer Abtreibung Schuldgefühle haben, ist für Leute
       wie Steier und Mehner ein Fakt. Sie haben dafür sogar eine Krankheit
       erfunden: das "Post-Abortion-Syndrom".
       
       Gisela Notz, die Bundesvorsitzende von Pro Familia, betont, "dass die
       ergebnisoffene Beratung nach dem Schwangerschaftskonfliktgesetz Pflicht
       ist. Wir beraten so, dass die Frau sich selbst entscheiden kann, und wir
       unterstützen sie, egal wie die Entscheidung ausfällt." Zum
       "Post-Abortion-Syndrom" meint sie: "Wenn Frauen sich schuldig fühlen, hat
       das gesellschaftliche Ursachen. Die Lebensschützer wollen mit ihren
       Kampagnen Angst und Schuldgefühle schüren."
       
       Die Gegendemonstranten aus dem linken und feministischen Spektrum möchten
       "den von den Abtreibungsgegnern betriebenen Angriff auf die
       Entscheidungsfreiheit der Frau nicht unwidersprochen hinnehmen", sagt Sarah
       König, die Sprecherin des Bündnisses, das zur Gegendemo aufruft. Durch
       deren Agitation, die in den konservativen Parteien Fuß gefasst hat, werde
       der Gesellschaft eine neue Diskussion um den Paragrafen 218 aufgezwungen,
       meint sie.
       
       "Der Embryo ist nicht mehr ein sich der Vorstellungswelt entziehender
       Zellhaufen, sondern er ist zu einem kollektiven Bild geworden", sagt König.
       Deshalb müsse man sich damit beschäftigen. "Der Embryo ist Leben, aber kein
       Individuum. Daher kann er kein eigenes Rechtssubjekt sein. Genau das aber
       beanspruchen die Abtreibungsgegner für den Embryo. Im Zuge dessen
       entrechten sie die Frau."
       
       Auch Gisela Notz von Pro Familia sieht das so: "Die Entrechtung steht
       hinter der Kampagne der Lebensschützer. Als bestimmende Autorität setzen
       die Lebensschützer stattdessen auf Gott. Das ist christlicher
       Fundamentalismus in Reinform."
       
       18 Sep 2009
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Waltraud Schwab
       
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