# taz.de -- Basilikata: Sightseeing im gleitenden Karussell
       
       > Das Kunstprojekt Arte Pollino soll die süditalienische Region aufwerten
       
 (IMG) Bild: RB Ride - das Karussell von Carsten Höller
       
       Wäre Carsten Höller nicht Carsten Höller, sondern zum Beispiel der
       regionale Tourismuschef, hätte er nicht derart unverblümt sagen können:
       "Wer in Deutschland kennt schon die Basilikata? Kein Mensch!" Carsten
       Höller , der international bekannte Objekt - und Installationskünstler, ist
       auf Dienstreise in der süditalienische Region Basilikata, auf Einladung von
       "Arte Pollino - ein anderer Süden". Das Projekt "Arte Pollino" setzt sich
       zum Ziel, durch internationale zeitgenössische Kunst einen Beitrag zur
       Regionalentwicklung zu leisten, den Pollino-Nationalpark und die Basilikata
       bekannter zu machen und den lokalen Tourismus anzukurbeln. Das Kunstprojekt
       ist eine Initiative des Programms "Sensi Contemporanei", das von der Region
       Basilikata, zwei Ministerien in Rom und der Stiftung der Biennale Venedig
       gefördert wird. Neben dem Deutschen Carsten Höller wurden weitere
       Hochkaräter der Kunstszene engagiert. Zuvorderst der auf
       Monumentalskulpturen fixierte Inder Anish Kapoor.
       
       Im Park der Thermenanlage von Latronico entsteht gerade sein Earth Cinema.
       Bagger buddeln ein monumentales Erdloch, in das eine Treppe hinunterführt.
       Durch einen seitlichen Einschnitt, einen "Sehschlitz", sollen Besucher
       später die verschiedenen Erdschichten entdecken können - und vielleicht
       auch die kulturhistorischen Ablagerungen dahinter imaginieren. Und Guiseppe
       Penone, einer der großen Vertreter der Arte Povera, gestaltet oberhalb des
       im Sommer ausgetrockneten Sarmento-Flusses ein Teatro Vegetale. Das
       Open-Air-Theater ist ein Work in Progress. Um das bereits bestehende, aus
       kolossalen Steinen geformte "Gehirn" werden mit der Zeit Bäume, Sträucher,
       wachsen, zwischen Publikum und Bühne soll eine Wasserfläche entstehen. "Ich
       hoffe, dass dies ein wahrhaftiger Ort für Theateraufführungen wird", sagt
       der Penone und blickt auf sein unvollkommenes Kunstbaby.
       
       Auf einem sanften Hügel, oberhalb des Bergdorfes San Severino Lucano,
       thront Höllers Kunstwerk RB Ride. An diesem lausig kalten Sommerabend
       findet die Einweihung statt. Die untergehende Sonne wirft letzte matte
       Strahlen auf das Karussell. "Kein Karussell", korrigiert Höller, der den
       Amüsierfahrbetrieb von einem Vergnügungspark gekauft und schon an zwei
       anderen Orten ausgestellt hat, "sondern ein Ring mit einem Durchmesser von
       17 Metern, an dem 12 Gondeln hängen." Was aber ist die "Kunst" dieses
       Readymades? Höller entfremdet das, pardon, Karussell seiner ursprünglichen
       Nutzung und entschleunigt es ganz extrem. Wir gondeln ungeheuer langsam,
       haben alle Zeit der Welt, genauer gesagt 15 geschlagene Minuten, um die
       umliegenden Berge und Täler zu betrachten. Das einst schwungvolle
       Fliehgerät ist zur Höller'schen "Meditationsmaschine" mutiert. Wir
       entschweben. Wunderbar.
       
       Entspannt sitzt auch der Künstler spätabends im Steingewölbe des
       Hotelrestaurants Mulino Iannarelli. Die alte restaurierte Mühle von 1745
       liegt am Frido-Fluss unterhalb von San Severino. Er spricht vom "Ding, in
       dem man gefangen ist", findet es einerseits "romantisch und schön",
       andererseits "melancholisch und traurig"; er reflektiert über die
       "gestohlene Zeit". Letztlich wolle er mit seiner Meditationsmaschine "das
       körperliche Vergnügen auf ein geistiges Vergnügen ummünzen".
       
       Man rede in Süditalien zu viel über die Vergangenheit, sagt Lorenzo Canova,
       und zu wenig über die Gegenwart. Der Soziologe aus dem Ministerium für
       Wirtschaftliche Entwicklung koordiniert die Aktivitäten von Arte Pollino.
       Viele Landstriche der wirtschaftlich rückständigen Basilikata litten unter
       der Abwanderung der Jugend, erklärt Canova. Daher brauche das Land
       "Leitbildvisionen" und "neue kreative Ideen". Doch machen ein paar
       Politfuzzis aus Rom und ein paar eingeflogene Kunstfuzzis den Unterschied
       aus? Ohne die Akzeptanz der lokalen Bevölkerung, wissen Canova und seine
       Kollegen, steht das ganze Kunstprojekt auf wackligen Füßen. Daher wurde
       flankierend ein Arte-Pollino-Verein gegründet - Handwerker, Hoteliers,
       Parkführer, Studenten -, der einen Kulturführer mit den wichtigsten Themen,
       Orten und Werten des Pollino entwarf. Und im nächsten Jahr werden rund um
       die Kapoor-Höller-Penone-Landschaftsobjekte Wanderwege angelegt sowie
       touristische Programme entwickelt.
       
       Bei der offiziellen Eröffnung von Arte Pollino, vor der umzäunten Baugrube
       von Kapoors Earth Cinema, schwelgt der Präsident der Region Basilikata von
       divinità und eternità. Doch wie göttlich und ewig kann Site Specific Art
       sein, also Kunstwerke, die nur für einen ganz bestimmten Ort geschaffen
       werden und nur an diesem einen Ort ihre Kraft entfalten können? Carsten
       Höller sieht das nicht so eng. Kunst muss nicht mit der Landschaft
       verwachsen, hatte Höller über seine Meditationsmaschine gesagt. "Sie kann
       auch auf einem Friedhof stehen."
       
       2 Oct 2009
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Günter Ermlich
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Reiseland Italien
       
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