# taz.de -- Ägypten blickt auf Mordprozess Marwa S.: "Wir erwarten Gerechtigkeit"
       
       > Der Prozess um den Mord an Marwa El Sherbini wird in Ägypten mit Spannung
       > erwartet. Aber auf Kairos Straßen brennen keine deutschen Fahnen, wie
       > befürchtet wurde.
       
 (IMG) Bild: Gerechtigkeit für beide: Wann kommt der Polizist, der auf Sherbinis Mann schoss, vor Gericht?
       
       KAIRO taz | Mit gemischten Gefühlen hat Tarek El Sherbini in Ägypten
       vergangene Woche seine Koffer gepackt, um nach Deutschland zu reisen. Genau
       gesagt: nach Dresden zum Prozess gegen den mutmaßlichen Mörder seiner
       Schwester Marwa, der am Montag beginnt.
       
       Die Ägypterin war am 1. Juli in einem Dresdener Gerichtsaal von Alex W. vor
       ihrem dreijährigen Kind und ihrem Ehemann niedergestochen worden. Die
       Staatsanwaltschaft wirft Alex W. in ihrer Anklageschrift als Motiv einen
       "ausgeprägten Hass auf Nichteuropäer und Muslime" vor.
       
       "Ich erwarte die Höchststrafe, die im deutschen Gesetz für einen solchen
       Fall vorgesehen ist," sagt Tarek El Sherbini. Er ist verbittert und wütend.
       Nicht weil Alex W. jetzt der Prozess gemacht wird, sondern weil, wie er
       findet, so vieles andere unter den Teppich gekehrt wird. Etwa die Frage
       über das Verhalten eines Polizisten, der während der Messerattacke im
       Gericht in den Saal gestürzt kam und - statt auf den deutsch-russischen
       Angreifer zu schießen - Marwas ägyptischen Ehemann verletzte, der versucht
       hatte, seine Frau zu schützen.
       
       "Wir versuchen herauszufinden, was mit dem Polizisten geschehen ist, und
       wir wollen auch, dass das Gericht selbst zur Verantwortung gezogen wird.
       Aber uns wird immer nur erklärt, das Ganze sei noch anhängig - und das über
       drei Monate nach dem Vorfall", sagt El Sherbini verärgert. "Schließlich ist
       Marwa nicht in einem Supermarkt, sondern in einem Gericht ermordet worden,
       und niemand will sich dem stellen. Das Ganze soll einzig die Verantwortung
       des Mörders sein", wettert er.
       
       Auch enge Freunde der verstorbenen Marwa, etwa Basant Samy Nada, die mit
       ihr in Alexandria im selben Handballverein gespielt hat und Marwa seit
       Schulzeiten kannte, sagt: "Alles, was wir wollen, ist Gerechtigkeit und
       eine angemessene Strafe." Auch sie versteht nicht, warum man nichts mehr
       über den Polizisten hört.
       
       Ihr geht es nicht darum, alle Deutschen zu verurteilen. "In jeder
       Gesellschaft gibt es kranke Leute. Das haben die Anschläge vom 11.
       September 2001 auch von unserer Seite gezeigt", erklärt sie. Aber, fügt sie
       hinzu, "beide Seiten sollten aus diesen Vorfällen lernen und mehr
       aufeinander zugehen".
       
       "Todesstrafe" oder "Er soll gehängt werden" sind die häufigsten Antworten
       bei einer kurzen Umfrage an der Nilpromenade in Kairo auf die Frage,
       welches Strafmaß für Alex W. angemessen sei. Aber es gibt auch auffällig
       viele besonnene Antworten. "Wir wissen, dass es in Deutschland keine
       Todesstrafe gibt, also soll der Mörder gemäß deutschem Recht bestraft
       werden", meint die Literaturstudentin Doa, die wie das Opfer in Dresden ein
       Kopftuch trägt. "Vielleicht ist ,lebenslänglich' auch die viel schlimmere
       Strafe, wenn er darüber nachdenken kann, wie er eine Frau vor den Augen
       ihres dreijährigen Kindes niedergestochen hat und das Leben einer ganzen
       unschuldigen Familie zerstört hat."
       
       Es brennen also keine deutschen Fahnen in Ägypten, wie manche aus Anlass
       des Prozessbeginns befürchtet hatten. Doch es gibt ein Thema, an dem sich
       die Gemüter erhitzen: Konzerte der Staatskapelle Dresden, die seit Langem
       für den 31. Oktober in Alexandria und für den 2. November in Kairo
       angesetzt sind.
       
       In den ägyptischen Medien war dieses Gastspiel zunächst als eine Art
       "Versöhnungskonzert" angekündigt worden. "Musik ist zwar die Sprache der
       Verständigung aller Nationen, aber warum muss das ausgerechnet zum
       Prozesstermin stattfinden", empört sich Marwas Bruder.
       
       Nach langem Hin und Her auch im ägyptischen Ministerium für Kultur, wo es
       erst geheißen hatte, die Konzerte seien abgesagt, gab Minister Faruk Hosni
       am Samstagabend in einer Erklärung nun offensichtlich doch noch die
       Einwilligung. Die Konzerte sollen also stattfinden. "Es gibt einen
       Unterschied zwischen einem individuellen Verbrechen und dem Umgang zwischen
       zwei Völkern", erklärte Hosni. Für den Fall Marwa sei nun das deutsche
       Gesetz zuständig.
       
       Am Sonntag meldete die Deutsche Presseagentur wiederum, dass die Dresdener
       Staatskapelle die Konzerte abgesagt habe - ebenfalls am Samstagabend und
       auf Wunsch Ägyptens. Auf ihrer Website waren die beiden Termine jedoch
       zunächst nicht gelöscht.
       
       26 Oct 2009
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Karim Gawhary
 (DIR) Karim El-Gawhary
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA