# taz.de -- Abschiebedrama in Österreich: "Ab mit ihr in den Süden"
> Erst haben die Frankenburger für den Verbleib der Kosovo-Albanerin
> Arigona Zogaj demonstriert. Jetzt, wo Zogaj endgültig abgeschoben werden
> soll, entziehen sie ihr die Solidarität.
(IMG) Bild: Lieber würde sie sich umbringen, als sich ins Kosovo abschieben zu lassen, ließ die damals 15-jährige Arigona Zogaj verlauten.
Franz Sieberer hat keine Zeit. Er hat gerade das neue Faschingsprinzenpaar
vereidigt. Jetzt muss er zur Eröffnung der Gewerbeausstellung. "Von mir
hören Sie kein Wort", raunzt er. Der Bürgermeister von Frankenburg, Franz
Sieberer von der SPÖ, wird zornig, wenn er nach der berühmtesten Bürgerin
seiner Stadt gefragt wird. Nach Arigona Zogaj, einem 17-jährigen
Flüchtlingsmädchen aus dem Kosovo. Arigona Zogaj soll demnächst abgeschoben
werden. So hat es das österreichische Innenministerium Ende vergangener
Woche entschieden. Wenn es nach den Frankenburgern geht, soll es möglichst
schnell gehen.
Frankenburg ist eine Marktgemeinde mit 5.000 Einwohnern im
oberösterreichischen Hausruckviertel. Der Ort, eingebettet in eine sanfte
Hügellandschaft, rühmt sich seiner Faschingstradition. Zum Kirtag kommen
jedes Jahr Besucher aus der weiteren Umgebung. Er ist einer der wenigen
Höhepunkte des Jahres für die Frankenburger. Bekannt ist noch das
"Frankenburger Würfelspiel". Als die protestantische Bauernschaft 1625
durch den katholischen Landesfürsten zur Konversion gezwungen werden
sollte, erhoben sich die Bauern. Ihre Rebellion wurde schnell
niedergeschlagen. Die 36 Rädelsführer sollten aufgehängt werden. Mit
zynischem Großmut schenkte der Fürst jedem zweiten das Leben. Wer an den
Galgen kam, mussten jeweils zwei der Verurteilten im Würfelspiel
miteinander ausmachen.
Faschingsprinzessin Lisi und Prinz Horst verabschieden sich, eskortiert von
Gardefrauen in roten Uniformen. Prinzessin Sonja I. und Prinz Andreas II.
treten im Frankenburger Festzelt vor den Ehrengästen ihr neues Amt an.
Obwohl Österreichs Öffentlichkeit seit Tagen die bevorstehende Abschiebung
von Arigona Zogaj und ihrer Mutter diskutiert, ist das den Narren kein Wort
wert. Der Bürgermeister Sieberer, der Stellvertreter des Bezirkshauptmanns
und der Präsident der Wirtschaftskammer Oberösterreich ergreifen das Wort.
Sie vermeiden aber jede Anspielung auf das Schicksal der
Flüchtlingsfamilie.
"Ich bin schon froh, wenn ich von dem überhaupt nichts mehr höre", sagt der
Präsident des Faschingsvereins. Der Außendienstmitarbeiter im Zivilberuf
reagiert, wie fast alle Frankenburger, genervt: "Die Sache gehört einmal
abgeschlossen: aus, fertig!". Ein anderer beantwortet die Frage, was mit
den Zogajs passieren soll, ebenso knapp: "Ab in den Süden!" Die Kassiererin
bei Schlecker wird fast aggressiv: "Ich sag gar nichts."
"Das war nicht immer so", erinnert sich Johann Gebetsberger. Er ist
Deutsch- und Geschichtelehrer an einem Gymnasium und
Gemeinderatsabgeordneter der Grünen. Als das Innenministerium im Sommer
2007 die Abschiebung der Familie verfügte, stand die Gemeinde noch fast
geschlossen hinter ihr. Auf eine Demonstration zugunsten der bestens
integrierten Flüchtlinge wurden die Medien aufmerksam, der Gemeinderat
fasste einen einstimmigen Beschluss, für den Verbleib der Zogajs
einzutreten. "Selbst die FPÖ stimmte damals mit", sagt Gebetsberger.
Bürgermeister Sieberer setzte sich in einer emotionalen Rede für die
Zuerkennung des humanitären Bleiberechts ein. Die Eltern hatten einen Job
in einer Putenfarm, die Kinder brachten aus der Schule gute Noten nach
Hause, sprachen breites Oberösterreichisch und spielten im lokalen
Fußballklub.
Trotzdem umzingelte eines Tages die "Cobra", die Antiterrortruppe der
Polizei, das Haus und nahm Eltern und Kinder wie gefährliche Kriminelle in
Gewahrsam. Ihr Verbrechen: Vater Dzevat Zogaj war erst nach der
Flüchtlingswelle aus dem Kosovo gekommen, hatte 2002 einen Asylantrag
gestellt und anschließend die Familie durch einen Schlepper ins Land holen
lassen. Nach fünf Jahren wurde Asyl mit der Begründung verweigert, im
Kosovo herrsche kein Krieg mehr. Die damals 15-jährige Arigona Zogaj wurde
rechtzeitig gewarnt und tauchte mithilfe von Freunden unter. Lieber würde
sie sich umbringen, als sich ins Kosovo abschieben zu lassen, ließ sie
verlauten. Mutter Nurie Zogaj konnte, solange die Minderjährige verschollen
war, auch nicht außer Landes geschafft werden. Vater Dzevat Zogaj und vier
Kinder wurden aber in ein Flugzeug nach Prishtina gesetzt.
Die Familie besaß ein Haus in der Nähe der kosovarischen Hauptstadt. "Das
wurde im Krieg zerbombt und ist unbewohnbar", sagt Josef Friedl, Pfarrer
der Ortschaft Ungenach. Der rührige Kirchenmann, der seit Jahren immer
wieder Flüchtlingsfamilien im Pfarrhof Kirchenasyl gewährt, kannte die
Zogajs im 13 Kilometer entfernten Frankenburg damals nicht. Er wurde eines
Tages von einem Mitarbeiter des damaligen ÖVP-Vizekanzlers Wilhelm Molterer
angerufen und um Vermittlung gebeten. "Innenminister Günter Platter ist
wenig später hier bei mir am Küchentisch gesessen", sagt Friedl. Er bot dem
Mädchen an, die Pflichtschule noch in Oberösterreich abzuschließen. Auch
die Mutter durfte vorläufig bleiben, aber nicht mehr arbeiten.
Im Mai 2008, so Pfarrer Friedl, habe Platter einen Vorschlag vorgelegt, der
auch den kleinen Geschwistern noch den Abschluss der Schule ermöglicht
hätte. Daraus wurde aber nichts. Platter wurde Landeshauptmann von Tirol.
An seine Stelle im Innenministerium rückte Maria Fekter, vom rechten Flügel
der ÖVP. Sie leugnete rundweg, dass es jemals Kontakte zu Pfarrer Friedl
gegeben habe. Alle Novellen zum Asyl- und Fremdenrecht, die sie vorgelegt
und großteils durchgesetzt hat, setzen auf Abschottung, Abschiebung, neue
Hürden für Zuwanderung und Aufenthalt. Von "Rehleinaugen im Fernsehen"
lasse sie sich nicht beeindrucken, sagte Fekter in Anspielung auf Arigona
Zogaj.
Selbst das humanitäre Bleiberecht, das durch eine Reform aufgewertet werden
sollte, sei de facto verschärft worden, sagt Johann Gebetsberger: "Die
Neufassung des Bleiberechts hat einen Passus, der mehr oder weniger
geschaffen wurde, damit die Zogajs abgeschoben werden können." Begünstigte
müssen "überwiegend legal im Land" gewesen sein. Auf die Zeit, die Arigona
Zogaj und ihre Mutter nach der Abschiebung der Restfamilie noch geduldet
wurden, trifft das nicht zu. Auch die Hürde der Selbsterhaltungsfähigkeit
ist nicht zu überwinden: ohne Arbeitsgenehmigung kein Job. Gebetsberger
spricht von der "Lex Arigona".
Die Stimmung in Frankenburg kippte nach einem Fernsehinterview, in dem
Arigona Zogaj im Oktober 2007 von ihrem Versteck aus mit Selbstmord drohte.
"Der Rechtsstaat kann sich nicht erpressen lassen", tönte Innenminister
Platter damals. Das ist inzwischen zum Standardsatz geworden. Und: "Recht
muss doch Recht bleiben." Der Faschingspräsident kennt viele hässliche
Geschichten. Da soll die gut aussehende Arigona vor ihren Schulkameradinnen
mit ihrem Fernsehruhm geprahlt haben. Da soll sie sich unter Berufung auf
ihren Starstatus an der Supermarktkasse vorgedrängt haben. Von
Ladendiebstahl ist die Rede und von überheblichen Äußerungen, von 1.000
Euro im Monat könne man doch nicht leben.
"Alles Lüge", sagt Pfarrer Friedl. "Am Anfang haben wir das
nachrecherchiert." Eine Mitarbeiterin des SPÖ-Hilfswerks Volkshilfe habe in
allen Geschäften nach dem angeblichen Ladendiebstahl gefragt: "Nichts!"
Berichte über arrogantes Auftreten seien von Neid gesteuert. Die
Geschichte, dass Arigona Zogaj 1.000 Euro monatlich bekomme, sei von der
Kronen Zeitung kolportiert worden. "Nurie Zogaj bekommt von mir für sich
und ihre drei Kinder 800 Euro monatlich", sagt Friedl. Je 100 Euro schickt
er an die beiden älteren Geschwister, die im Kosovo keine Arbeit finden.
In gehässigen Briefen, wie sie vor allem die Kronen Zeitung abdruckt,
drängen Leser auf schnelle Abschiebung. Damit die Familie dem Staat nicht
länger auf der Tasche liege, heißt es darin. Unsinn, meint Friedl: "Die
haben noch keinen Cent Staats- oder Kirchengeld bekommen." Das Geld kommt
aus einem Spendenfonds, "für den ich nicht mal Werbung mache". Immer wieder
kämen Leute aus Frankenburg, die Diskretion wünschen, und zahlen etwas ein.
Selbst aus der hohen Politik meldeten sich ständig Spender: "Wenn ich
aufzählen würde, wer da dabei ist, bis in höchste Stellen."
Der Medienrummel, sagt Johann Gebetsberger, habe den Zogajs mehr geschadet
als genützt. FPÖ-Chef Heinz Christian Strache hielt seine
Abschlusskundgebung vor den Wahlen zum EU-Parlament ausgerechnet im kleinen
Frankenburg ab. Bei den Gemeinderatswahlen im September verdoppelte die FPÖ
ihren Stimmenanteil.
Arigona Zogaj sei wütend, resigniert, deprimiert, sagt Pfarrer Friedl.
Zuletzt habe sie dreieinhalb Wochen in einer geschlossenen Abteilung im
Krankenhaus verbracht: "Den ständigen Druck, den muss man erst einmal
aushalten als junges Mädchen". Vom negativen Asylbescheid, der vergangene
Woche zugestellt wurde, erfuhren die Zogajs zuerst aus der Kronen Zeitung.
Der Bundesverband für Psychotherapie (ÖBVP) kritisiert die österreichische
Asylpolitik und die Vorgehensweise im Fall Zogaj: "Menschliche Tragödien"
würden erzeugt von einer Politik, die sich "auf Stimmenfang ins rechte
Lager begibt". Ein Gutachten bestätigt bei Mutter und Tochter
Selbstmordgefahr. "Arbeitslosigkeit, absolut keine Perspektive" erwarte die
Zogajs im Kosovo, glaubt Pfarrer Friedl. Er werde die Familie weiter
unterstützen müssen. Erstmals hat sich auch Kardinal Christoph Schönborn
für eine menschliche Lösung starkgemacht.
Österreichs Regierung bleibt unbeirrt: "Recht muss Recht bleiben", heißt
es. Die Würfel sind in Frankenburg wieder gefallen.
16 Nov 2009
## AUTOREN
(DIR) Ralf Leonhard
## ARTIKEL ZUM THEMA