# taz.de -- Montagsinterview Sharon Adler: "Statt mit Namen werden Frauen oft mit Attributen versehen"
       
       > Frauen, Autos und Judentum - diesen Themen hat sich Sharon Adler
       > verschrieben. Sie leitet das Onlinemagazin aviva-Berlin.de für Jüdinnen
       > und Nichtjüdinnen, eines der erfolgreichsten Frauenportale in
       > Deutschland.
       
 (IMG) Bild: Sharon Adler mit ihrem Wellensittich Tzipi am Gründungstisch von aviva.de
       
       taz: Frau Adler, kochen Sie koscher? 
       
       Sharon Adler: Nee, ich bin sowieso nicht die geborene Köchin. Ich koch kein
       Schweinefleisch, aber ich lebe nicht strikt koscher.
       
       Also keine jüdischen Essensregeln? 
       
       Ich bin echt nicht so die Religiöse. Aber wenn ich einkaufen geh, dann pack
       ich intuitiv den Käse nicht auf die Geflügelsalami, und das liegt auch im
       Kühlschrank nicht zusammen. Aber Geschirr für Milchiges und Fleischiges
       trenne ich nicht, in meinem Küchenschrank herrscht Chaos.
       
       Sie haben vor neun Jahren das Frauen-Onlineportal aviva-berlin.de
       gegründet. Der Name kommt aus dem Hebräischen … 
       
       Ja, es heißt Frühling. Ich wollte einen hebräischen Namen, ich wollte einen
       positiv klingenden Namen, und ich wollte einen Namen mit A, ganz
       pragmatisch gedacht, wegen der Suchmaschinen.
       
       Aviva hat mehr als 100.000 Besucherinnen pro Monat. Das sind doch sicher
       nicht alles jüdische Frauen, oder? 
       
       Nein, Aviva war nie ein rein jüdisches Magazin. Ich saß damals hier an
       diesem Küchentisch und hab überlegt: Was will ich im Netz lesen? Die
       Portale und Printmagazine für Frauen, die es gab, waren kaum tagesaktuell
       und gingen immer in eine bestimmte Richtung: Da die Unternehmerinnen, da
       die Feministinnen, da die Lesben. Ich wollte das alles verbinden: Frauen,
       Judentum, Kultur, Politik, Veranstaltungstipps für Berlin, Buchrezensionen,
       Informationen für Mütter und Nichtmütter.
       
       Und warum ein reines Frauenportal? 
       
       Weil Frauen in Medien noch immer nur am Rande vorkommen, auch was die
       Bildsprache betrifft. Da muss man sich nur mal Buchcover angucken, da
       werden Frauen ohne Kopf abgebildet, sogar auf Karriereratgebern für Frauen.
       Da haste dann die Beine, da hängt die Handtasche runter, aber der Kopf ist
       weg. Und in Magazinen werden in den Headlines vielleicht noch die Namen der
       Frauen genannt, aber im Fließtext ist dann die Rede von der charmanten
       Mittzwanzigerin oder der feurigen Schauspielerin. Statt mit Namen werden
       die Frauen oft mit Attributen versehen …
       
       … wie die Kanzlerin als "Mutti, die Miese macht". Das war neulich das Thema
       bei Anne Will. 
       
       Hören Sie mir auf mit Anne Will. Die geht mir so was von auf die Nerven.
       Was hat sie nicht alles gesagt: Sie will normale Menschen. Sie will Frauen
       reinbringen in ihre Sendung. Nichts ist passiert.
       
       Ihre Tochter ist jetzt 14. Was für eine Frauengeneration wächst denn da
       gerade heran? 
       
       Eine bedenkliche. Ich bin da sehr skeptisch. Die haben ein totales
       Sicherheitsdenken, sind ganz wenig risikofreudig, Klar macht diese Krise
       was mit denen.
       
       Aber das gilt ja wahrscheinlich für die gesamte Generation, auch für die
       Jungs. Wie erleben Sie speziell die Mädchen? 
       
       Meine Tochter hatte ihre Paris-Hilton-Phase, wo ich schier durchgedreht
       bin. Das Liebste ist halt eben gerade Shoppen. Gut, meine Tochter will
       natürlich nicht so sein wie ihre Mutter. Wäre ich nicht selbstständig,
       sondern Kindergärtnerin, dann wäre es vielleicht anders. Aber auch keine
       ihrer Freundinnen sagt, ich interessiere mich für Mathematik oder ich will
       zum Mond fliegen oder ein neues Medikament entwickeln. Die wollen
       Architektin oder Visagistin werden, diese dekorativen Geschichten. Mädchen
       wollen halt alles hübsch machen, alles schön machen. Schön harmonisch.
       
       In den vergangenen zwei Jahren haben sich ja auch wieder jüngere Frauen zum
       Thema Feminismus zu Wort gemeldet, so etwa mit dem Buch "Alphamädchen" oder
       der Zeitschrift Missy mit Popkultur für Frauen. Sind das für Sie Schritte
       in die richtige Richtung? 
       
       Als das Buch "Alphamädchen" im letzten Jahr rauskam, war ich
       superglücklich, dass die Feminismusdebatte von einer neuen Seite angestoßen
       wird. Ich fands auch gut, ein paar Seitenhiebe loszulassen auf etablierte
       Feministinnen.
       
       Sie meinen Alice Schwarzer? 
       
       Ja, die klebt einfach schon zu lange auf ihrem Stuhl. Aber ich fand den
       Begriff Mädchen ein bisschen zwiespältig, auch bei dem bekannten Blog
       "Mädchenmannschaft". Warum müssen wir eigentlich alle Mädchen sein und mit
       Zöpfen rumlaufen? Mit Alphafrauen hätte ich besser leben können.
       
       Bei Aviva besprechen Sie im November den neuen Kinofilm "Tannöd", Sie
       kündigen eine Filmreihe zum Holocaustgedenken und eine Ausstellung von
       Jugendlichen an, die im Gefängnis saßen. Ist das nur für Frauen spannend? 
       
       Ich bin eigentlich gegen eine Gettoisierung, und es wäre schön, wenn mein
       Portal auch noch mehr Männer lesen würden. Ich hätte auch nichts dagegen,
       dass auf dem Chefsessel von Frauenzeitschriften wie Brigitte ein Mann
       sitzt, wenn dann auch eine Autozeitung von einer Frau gemacht werden würde.
       
       Mit Frauen und Autos haben Sie sich ja besonders intensiv
       auseinandergesetzt. Neben Aviva arbeiten Sie als Fotografin, und vor drei
       Jahren erschien ein Bildband, in dem Sie Frauen mit ihren Wagen
       fotografiert haben. Wie kam es zu dem Projekt? 
       
       Ich fuhr damals einen alten VW-Scirocco, und die Batterie war zwar neu,
       aber irgendwie zog dieser Wagen Strom. Ich musste die Batterie deshalb
       abends immer ausbauen und oben in der Wohnung aufladen. So habe ich mich
       mit einer Freundin über Autos unterhalten und kam auf die Idee, eine Serie
       über Frauen und ihr Verhältnis zu ihrem Auto zu machen.
       
       Haben Frauen denn so ein anderes Verhältnis zu ihrem Wagen als Männer? 
       
       In der Werbung ist es zu 90 Prozent so, dass Frauen Auto fahren, um Kinder
       oder Schuhkartons zu transportieren. Oder aber sie sind als Models auf
       Automessen das nette Beiwerk zum Auto. Deshalb hab ich auf meinen Fotos
       auch die Frauen porträtiert und die Autos nur angeschnitten. Für viele
       Frauen bedeutet ein Auto Freiheit und Selbstständigkeit.
       
       Hier in Ihrer Wohnung hängen ja einige der Fotos. Ulrike Folkerts lehnt auf
       dem Foto an einem schwarzen Mustang, die Journalistin Lea Rosh und die
       Designerin Jette Joop sind mit auffallend großen Autos abgebildet. Je
       größer der berufliche Erfolg, desto größer wird auch der Wagen? 
       
       Ja, ein Auto ist auch für Frauen ein Statussymbol. Darin unterscheiden sie
       sich null Komma null null von Männern. Mit denen müssen sie ja auch
       mitziehen, wenn sie erst mal in einer bestimmten Position gelangt sind.
       
       Fahren Sie Ihren alten Scirocco noch? 
       
       Nein, den musste ich verschrotten. Jetzt fahre ich einen hässlichen Opel
       Corsa. Ich träume von einem Citroën Pluriel. Den kann man mit 100 Kilo
       beladen, als Cabriolet, als Coupé und Limousine umfunktionieren, und der
       ist so robust, dass ich mich beim Fotografieren auch mal draufstellen kann,
       wenn ich keine Leiter dabei habe.
       
       Können Sie sich den Citroën noch nicht leisten, wirft Aviva nicht genug ab?
       Mit Anzeigenkunden siehts ja wahrscheinlich gerade nicht gut aus. 
       
       Anfangs hatten wir große Kunden wie Dussmann, doch die sind uns nach fünf
       Jahren weggebrochen, aus dem einfachen Grunde, weil die Chefin entlassen
       wurde. Damit verloren wir auch einige Verlage als Anzeigenkunden. Im Moment
       ist es total schwierig. Jetzt wollte ein Kunde bei uns nicht werben, weil
       wir ihm zu lesbisch und zu jüdisch seien.
       
       Das war nicht das erste Mal, dass Sie als jüdische Frau angegriffen wurden. 
       
       Als ich am Jahresanfang die Pro-Israel-Demo mitorganisiert habe, habe ich
       viele Hassmails bekommen. Auf StudiVZ wurden mein Name und meine Adresse
       veröffentlicht, und da wurde mir echt etwas mulmig. Ich hab meiner Tochter
       eingeschärft: Ich will unbedingt wissen, wo du bist, und du hast dein Handy
       immer anzuhaben. In der Zeit hab ich sie überall hingebracht. Ich bin in
       diese Geschichte sehr blauäugig rein, ich wollte eigentlich gar keine Demo
       machen.
       
       Aber was wollten Sie dann? Die Kämpfe im Gazastreifen waren dramatisch, und
       auch in Berlin war die Stimmung zu der Zeit sehr aufgeheizt. 
       
       Ich bin Pazifistin, und mir ging es nicht darum zu glorifizieren, was da
       gerade vor sich geht, sondern darum, mal zu diskutieren, welche Rolle auch
       die Medien spielen mit ihrer Berichterstattung. Sie kreieren oft ein sehr
       einseitiges Bild zugunsten der Palästinenser. Darüber wollte ich
       diskutieren - und weiter nichts. Und dann wurde das Ganze irgendwie immer
       größer. Aber am Ende ist nichts passiert.
       
       Sie stammen ja aus einer jüdischen Familie. Haben Sie mal in Israel gelebt? 
       
       Nein, aber ich war früher jeden Sommer da, weil meine Großmutter während
       des Krieges nach Palästina emigriert ist. Sie hat aber meine Mutter
       zurücklassen müssen, die in Holland überlebt hat, bei einer Familie
       versteckt. Ich ärgere mich bis heute, dass ich meine Großmutter nie gefragt
       habe, wie das eigentlich genau war. Und nun lebt sie nicht mehr.
       
       Und Ihre Mutter ist dann nach Kriegsende wieder zurück nach Berlin
       gegangen? 
       
       Nein, sie war hier in Berlin im Displaced-Persons-Camp, und zwar in
       Schlachtensee und ist dann über das Internationale Rote Kreuz nach
       Palästina gekommen und hat da ihre Mutter wiedergefunden. Sie war ein paar
       Jahre da, wollte aber wieder nach Europa zurück, hat erst in Istanbul
       gelebt, später wieder in Holland und Deutschland.
       
       Sie wurden in Berlin geboren. Spielten jüdische Traditionen in Ihrer
       Erziehung eine Rolle? 
       
       Meine Urgroßmutter hat mich in Berlin mit aufgezogen, da meine Mutter nach
       einem Motorradunfall sehr lange im Krankenhaus lag. Meine Urgroßmutter hat
       in Berlin überlebt, sie war mit einem Christen verheiratet, hat sich aber
       auch eine Zeit lang versteckt. So hatte sie ihr Jüdischsein immer
       verstecken müssen und feierte dann halt Weihnachten und auch nach dem Krieg
       nur noch Weihnachten. Meine Großmutter in Israel war sehr liberal, da
       spielten die Traditionen auch nicht so eine Rolle. Erst meine Mutter hat
       mich dann irgendwann in die Synagoge und in die Jüdische Gemeinde
       geschleppt und versucht, ein jüdisches Bewusstsein bei mir zu entwickeln
       aus dem wenigen, was sie wusste.
       
       Sie sagten, Sie haben Ihre Großmutter regelmäßig in Israel besucht. Wie war
       das Verhältnis zwischen ihr und Ihnen, der deutschen Enkelin? 
       
       Man kann wirklich nicht sagen, dass es die große Liebe auf den ersten Blick
       war, als wir uns kennenlernten.
       
       Wie alt waren Sie da? 
       
       Ich glaub, als ich elf oder zwölf war, hat meine Mutter mich das erste Mal
       allein hinfahren lassen. Da war eine Fremdheit, und die Fremdheit bestand
       auch darin, dass ich halt die war, die immer noch in Deutschland lebte. In
       dieser Zeit, also in den 70ern, da war es wirklich noch so, dass die
       Deutschen einfach nicht gut angesehen waren. Meine Großmutter hat von
       Deutschland nie Wiedergutmachung angenommen. Ich wurde auch nie einfach nur
       als ihre Enkelin vorgestellt, sondern immer: meine Enkelin aus Deutschland.
       Sie war eine sehr schroffe und introvertierte Frau und sehr traumatisiert.
       Sie hat nie wieder einen Fuß nach Deutschland gesetzt, und es herrschte
       immer eine bedrückende Atmosphäre bei ihr.
       
       Haben Sie das als Kind verstanden? 
       
       Erst später, als ich älter wurde. Meine Mutter hat mir viel berichtet -
       angefangen damit, dass sie mir als Gute-Nacht-Geschichten Geschichten, die
       sie aus Konzentrationslagern gehört hatte, erzählt hat oder auch von ihrem
       eigenen Versteck. Das war nicht ohne für ein kleines Kind, das das gar
       nicht einordnen kann. Auch diese zweite und dritte Generation, die nicht
       direkt betroffen waren, mussten viel aushalten.
       
       Sie machen ein Internetportal für Frauen, fotografieren Frauen, und auch in
       Ihrer Familie scheinen die Männer abwesend zu sein. 
       
       Ja, das stimmt. Ich kenne weder meinen Vater noch meinen Großvater, den
       Mann meiner Großmutter, die emigriert ist. Der ist in Ausschwitz ermordet
       worden, das weiß man. Den Mann meiner Urgroßmutter, den kenn ich auch
       nicht. Und mit dem Vater meiner Tochter lebe ich auch nicht mehr zusammen.
       
       Haben die Frauen Ihrer Familie etwas gemeinsam: Gibt es etwas, das sie über
       die Generationen verbindet? 
       
       Eigentlich sind alle von meiner Urgroßmutter bis zu meiner Tochter, also
       alle fünf Generationen, in Berlin geboren. Das ist die einzige Linie, die
       es gibt. Na, und das Durchhaltevermögen. Alle haben nie aufgegeben und
       waren Kämpferinnen oder auch Feministinnen, obwohl meine Mutter das weit
       von sich weisen würde. Aber das haben wir gemeinsam, und das brauche ich
       auch für Aviva, dieses Durchhaltevermögen.
       
       23 Nov 2009
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Kathleen Fietz
       
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