# taz.de -- die wahrheit: Metallica auf Socken
       
       > Drängende Erinnerungen an goldene Zeiten
       
 (IMG) Bild: Jeff Hanneman (Mitte, 2. v.r. zwischen Kerry King und Tom Araya) versetzte unserem Autor bei einem Konzert in München 1987 einen Kulturschock.
       
       Nach der Lesung in einer kleinen Kreisstadt am Rande der Lüneburger Heide
       kam ein glatzköpfiger Mensch in den Fünfzigern nach vorn an den Tisch und
       sah mich scharf an. "Du glaubst wohl auch, du hättest die Weisheiten des
       Heavy Metal mit silbernen Löffeln gefressen, oder was?"
       
       Ich bat ihn zu entspannen und mir zu berichten, was er auf dem Herzen habe.
       Und da brach es aus ihm heraus: das, was er all die Jahre mit sich
       herumgeschleppt hatte, was er hier niemandem mehr erzählen konnte, weil er
       es allen schon vorher hundertfach erzählt hatte. Er sei nämlich in den
       Achtzigern, den goldenen Zeiten, als Tourmanager vor allem von Heavy-Bands
       unterwegs gewesen. Slayer, Exodus, Motörhead, Skid Row und nicht zuletzt
       Guns N Roses, als diese ihre Amps noch selbst auf die Bühne tragen mussten
       - er hatte sie alle.
       
       "Na, dann hast du ja bestimmt ne ganze Menge erlebt", lockte ich
       verschlagen. "Das kannst du aber laut sagen", meinte er mit
       selbstzufriedenem Lächeln. Er tischte mir die üblichen schmutzigen
       Drogenakquise-, Suff- und Groupiestandards auf, die man gelegentlich ganz
       gern hört, aber für die man nicht unbedingt dabei gewesen sein muss, um sie
       erzählen zu können, weil sie schon seit Jahrzehnten zur
       Hard-n-Heavy-Folklore gehören. Led Zeppelin waren schließlich auch mal
       jung. Immerhin, Duff McKagans Begrüßung der überglücklichen Bravo-Leserin,
       die hinter die Bühne gekommen war, um den Goldenen Bravo-Otto zu
       überreichen, blieb gegen meinen Willen hängen: "Darf ich an deinen Zehen
       lutschen?"
       
       Aber als das ehemalige Rock-n-Roll-Etappenschwein dann seine
       "Lieblingsgeschichte" ankündigte und mit den Worten einzuleiten begann, er
       wisse auch gar nicht genau, warum er sie so möge, denn sie sei eigentlich
       ganz und gar unspektakulär, da spitzte ich denn doch gleich meinen inneren
       Bleistift und hörte genauer hin. Er saß gerade mit Metallica im Nightliner,
       sie kamen aus Skandinavien und waren unterwegs nach Süddeutschland, als die
       Jungs ein exorbitantes Bedürfnis packte, dem sie auf dem bordeigenen WC
       nicht mehr nachkommen mochten. Es war einfach unansehnlich geworden. Schon
       in der zweiten Tour-Woche hatte man ernsthaft darüber diskutiert, was man
       benötige, um die Kabine vom Rest des Fahrzeugs abzusprengen. Da musste er
       sich als Tourmanager natürlich etwas einfallen lassen. Nicht ganz
       uneigennützig, versteht sich.
       
       Nun trug es sich zu, dass sie die Gestade jener kleinen niedersächsischen
       Kreisstadt am Rande der Lüneburger Heide erreichten und folglich sein
       Elternhaus nur mehr zehn Minuten entfernt lag. Er meinte seine alte Heimat
       schon riechen zu können, aber dieser Pesthauch entstammte wohl doch eher
       jener kontaminierten Zone aus dem hinteren Teil des Nightliners. Also bat
       er die Band um Aufmerksamkeit und unterbreitete ihr seinen Plan. Sie
       könnten im Haus seiner Eltern austreten, wenn man - und das mussten sie ihm
       in die Hand versprechen - die Schuhe vor der Haustür ausziehe, nirgends
       Spritzen liegen lasse und vor allem mucksmäuschenstill sei, denn seine
       Eltern lägen zu diesem Zeitpunkt bereits ein paar Stunden im Bett. Es war
       ja auch schon kurz vor Mitternacht. "Na ja, und so kam es dann", der Mann
       wurde jetzt richtig euphorisch, "dass eine der bekanntesten Metal-Bands des
       Planeten, auf Socken, von einem Bein aufs andere tretend und stumm wie ein
       Stein, im Hausflur meiner Eltern stand und darauf wartete, sich endlich mal
       wieder in Würde die Nase pudern zu können."
       
       Es wäre dann aber doch noch beinahe eskaliert, als Kirk Hammett halblaut
       durch die Klotür zischte, Ulrich möge jetzt aber langsam mal hinnemachen,
       Pickel ausdrücken könne er auch noch im Bus und bei dem eben vernommenen
       Zeitungsgeraschel wachse ihm eine Knolle, die bereits deutlich sichtbar
       würde. Aber James Hetfield, der sich als Erster erfrischt hatte und
       entsprechend gelaunt war, gab ihm eine Kopfnuss, die sehr weh getan haben
       muss, und erklärte ihm flüsternd, er habe gehört, seine alte Band Exodus
       suche wieder einen Leadgitarristen.
       
       "Aber die beiden haben sich dann schnell wieder eingekriegt", nickte mein
       Gewährsmann. "Was hätte der kleine Kirk denn auch anderes tun sollen?" Ein
       paar Tage später rief seine Mutter an. Sie tat geheimnisvoll. Er habe wohl
       bei seinem letzten Besuch etwas liegen lassen. Er versuchte sich sofort
       rauszureden - das sei ja bloß Backpulver, das helfe so gut gegen Sodbrennen
       -, daraufhin schwieg sie eine Weile irritiert und erzählte dann, dass sie
       in dem leeren Seifenschälchen auf der Anrichte ein paar Scheine und etwas
       Kleingeld gefunden habe. "Das müssen so um die 13,50 Dollar gewesen sein."
       
       Die Band hatte für ihn gesammelt! Als er mir das erzählte, schlich sich ein
       wehmütiger Zug ins verlebte Gesicht, der mir diesen Veteranen fast schon
       sympathisch machte.
       
       28 Nov 2009
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Frank Schäfer
       
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