# taz.de -- Armut in Berlin: Alleinerziehende sind arm dran
       
       > Der Berliner Senat hat kein Konzept gegen Armut, sagen die
       > Wohlfahrtsverbände - und gründen eine Landesarmutskonferenz. Besonders
       > bedroht sind Alleinerziehende.
       
 (IMG) Bild: Kinder können ihren Wohlstand gefährden
       
       Jetzt bekommt auch die Hochburg der Hartz-IV-Empfänger eine
       Landesarmutskonferenz: 30 Wohlfahrtsverbände schließen sich am heutigen
       Mittwoch zusammen, um der Armut in Berlin den Kampf anzusagen. "Wir fordern
       eine langfristige Sozialplanung für Berlin", erklärt Hans-Joachim Fuchs,
       Mitinitiator der Konferenz, das wichtigste Ziel des Verbundes.
       
       Als Armutsfalle Nummer eins gilt Arbeitslosigkeit, direkt gefolgt von
       Kindern. "Für alleinerziehende Frauen ist das Armutsrisiko am größten",
       erklärt Fuchs. Und die Gruppe der alleinerziehenden Frauen ist groß in
       Berlin: Jede dritte Mutter lebt allein mit ihrem Kind, und die Hälfte von
       ihnen leben von Hartz IV. Sie gelten damit jedoch nicht zwingend als arm,
       denn nach einer EU-Definition ist arm, wer von weniger als der Hälfte des
       Durchschnittseinkommens im jeweiligen Bundesland leben muss. Diejenigen,
       die mit weniger als 60 Prozent auskommen müssen, gelten als
       armutsgefährdet. Folgt man dieser EU-Definition, sind in Berlin 23,3
       Prozent der Alleinerziehenden und 14,4 Prozent aller Berliner von Armut
       bedroht.
       
       Dagegen soll die neue Armutskonferenz vorgehen. Aufgerufen zur Gründung
       haben die sechs Dachorganisationen der Freien Wohlfahrtspflege: die
       Arbeiterwohlfahrt, die Caritas, der Paritätische Wohlfahrtsverband, das
       Deutsche Rote Kreuz, das Diakonische Werk und die Zentralwohlfahrtsstelle
       der Juden in Deutschland. 30 Verbände haben ihre Teilnahme zur
       Gründungsversammlung zugesagt. Ihre Kritik: Bislang erhebe der Senat
       lediglich Daten über Armut, ziehe daraus aber zu wenig Konsequenzen.
       
       Der Senat für Soziales und Gesundheit gibt seit 1999 den
       Sozialstrukturatlas heraus, eine Studie, die anhand von Indikatoren wie
       Arbeitslosigkeit, Lebenserwartung und Einkommen die sozialstrukturelle
       Entwicklung der Berliner Bezirke erfasst und vergleicht. "Diese Daten
       müssen genutzt werden, um landespolitische Konzepte zu entwickeln", fordert
       Fuchs. Notwendig seien solche Konzepte etwa für die Vermittlung von Arbeit
       an Menschen mit Problemen wie Sucht, Überschuldung oder Obdachlosigkeit.
       Zudem bräuchten Frauen mit Kindern besondere Angebote.
       
       "Alleinerziehende Frauen sind besonders von Armut bedroht, weil mehr als
       die Hälfte der Väter keinen oder nur geringen Unterhalt zahlen", erklärt
       Elisabeth Küppers vom Landesverband alleinerziehender Mütter und Väter in
       Berlin (VAMV). Wollen Väter nicht zahlen oder können sie aufgrund eines zu
       geringen Einkommens nicht, erhalten die Frauen einen staatlichen
       Unterhaltsvorschuss. Dieser beträgt bis zum 6. Lebensjahr 117 Euro und bis
       zum 12. Lebensjahr 158 Euro, wird aber höchstens für sechs Jahre gezahlt.
       Von Armut bedroht seien Frauen außerdem, so Küppers, weil sie aufgrund der
       Kinder seltener eingestellt werden, in höherqualifizierten Berufen kaum
       Teilzeitstellen finden und immer noch weniger als Männer verdienen.
       
       "Frauen sind von prekären Arbeitsverhältnissen immer noch besonders
       betroffen", sagt auch Sozialsenatorin Carola Bluhm (Linke). Gleichzeitig
       sei die Vereinbarkeit von Beruf und Kindern für Frauen aber mit der
       flächendeckenden Kitaversorgung in Berlin erleichtert worden. Das sieht
       Küppers anders: "Arbeitet eine Frau im Schichtdienst oder am Wochenende,
       hat sie immer noch ein Problem. Zu den Randzeiten ist es mit der
       Kinderbetreuung auch in Berlin immer noch schwierig."
       
       Der Verband für Alleinerziehende fordert deshalb eine Grundsicherung für
       Kinder, die Leistungen wie Kinder- und Erziehungsgeld, Bafög oder Wohngeld
       ersetzt. "Die Grundsicherung müsste zwischen 500 und 600 Euro monatlich
       betragen", sagt Küppers. So viel bräuchten Eltern für den Mietanteil der
       Kinder, Kitagebühren oder Schulausgaben, Kleidung, Essen, Musikunterricht
       oder Sportverein und Freizeitgestaltung.
       
       BEISPIEL 1: Renate N., 44 Jahre alt, lebt mit einem Sohn (18 Jahre alt),
       hat noch eine Tochter (25 Jahre) 
       
       "Mein Exlebensgefährte und ich hatten ein gemeinsames Bauunternehmen. Als
       mein Sohn 13 war, trennten wir uns. Mit der Beziehung war auch das
       Beschäftigungsverhältnis beendet, und ich blieb auf meinem Teil der
       Geschäftskredite sitzen. Mein Expartner bezieht jetzt sein Einkommen aus
       Hartz IV, deshalb kann er keinen Unterhalt leisten.
       
       Dreimal habe ich wieder versucht zu arbeiten. Leider hatte ich immer Pech
       und wurde nicht bezahlt, musste vor das Arbeitsgericht. Ich lebe immer noch
       von Hartz IV. Das Jobcenter hat mir für ein Jahr eine Bildungsmaßnahme
       gestattet, jetzt studiere ich Psychotherapie. Die Situation, in der ich
       lebe, ist nicht schön. Aber man muss sie akzeptieren und sehen, wie man
       sich daraus befreien kann. Ich sehe es positiv."
       
       Einnahmen: Hartz IV 950 Euro, Kindergeld 164 Euro 
       
       Ausgaben: Miete 453 Euro, Strom, Telefon/Handy 86, Versicherung 10,
       Kreditrückzahlung 122 
       
       Übrig für Lebensmittel und Sonstiges (für zwei Personen): 443 Euro 
       
       BEISPIEL 2: Sabine P., 50 Jahre, lebt mit einem Sohn (19 Jahre), hat noch
       zwei erwachsene Töchter 
       
       "Seit der Wende lebe ich von Maßnahme zu Maßnahme. Davor war ich Sekretärin
       bei der Bewag. Als ich nach der Elternzeit nach der Geburt meines jüngsten
       Sohnes wieder in den Job wollte, zwang mich mein Chef zur Kündigung.
       
       Unterhalt für meinen Sohn bekomme ich nicht. Der Vater ist nicht greifbar.
       Durch eine befristete Stelle im Frieda Frauenzentrum als Betreuerin bin ich
       jetzt raus aus Hartz IV. Aber ich hatte nie viel Geld, deshalb habe ich
       gelernt, damit zu rechnen. Obwohl ich keinen Unterhalt für meinen Sohn
       bekomme, sehe ich ihn nicht als Belastung. Je mehr Kinder man hat, desto
       besser geht es finanziell. Aus dem großen Topf lässt es sich besser
       kochen."
       
       Einkommen: Job 1.071 Euro, Kindergeld 164, Schülerbafög 212 
       
       Ausgaben: Miete 488 Euro, Strom/Telefon 60, Taschengeld 100, BVG-Fahrkarten
       59,50 
       
       Übrig für Lebensmittel und Sonstiges (für zwei Personen): 729,50 
       
       BEISPIEL 3: Gabi D., 42 Jahre alt, lebt mit einer Tochter (13 Jahre), hat
       noch eine Tochter (19 Jahre) 
       
       "Als ich schwanger wurde, habe ich aufgehört zu arbeiten. Nach der ersten
       Tochter kam ich wieder in den Arbeitsmarkt rein, nach der zweiten nicht
       mehr. Zuletzt habe ich als Managerin bei Burger King gearbeitet. Doch dann
       bin ich in der Probezeit krank geworden und nach zwei Wochen bekam ich die
       Kündigung. Der Vater meiner Töchter lebt von Hartz IV und kann daher keinen
       Unterhalt leisten. Er beteiligt sich aber an der BVG-Monatskarte der
       jüngeren Tochter.
       
       Ich teile das Geld gut ein, aber es wird jeden Monat knapp. Trotzdem
       bezahle ich meiner Tochter Bauchtanzunterricht, das ist schon Luxus. Dafür
       stecke ich zurück."
       
       Einkommen: Jobcenter 933 Euro, MAE 180 Euro, Kindergeld 164 Euro 
       
       Ausgaben: Miete 612 Euro, Telefon/Strom 100, Schuldenrückzahlungen bis 100,
       Taschengeld 10, Bauchtanzunterricht 20 Euro, BVG-Monatskarten 59,50 
       
       Übrig für Lebensmittel und Sonstiges (für zwei Personen): 375,50
       
       16 Dec 2009
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Kathleen Fietz
 (DIR) Lisa Geiger
       
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