# taz.de -- Debatte Klima: Im Kasino von Kopenhagen
       
       > Konzepte wie Emissionshandel und Weltklimabank greifen zu kurz. Nur die
       > bewusste Verknappung fossiler Energieträger kann unser Klima retten.
       
       Der Klimagipfel wird nicht scheitern, dafür werden Merkel & Co schon
       sorgen. Sie werden die größte UN-Umweltkonferenz nutzen, um sich selbst als
       Klimaschützer zu feiern. Das Problem von Kopenhagen ist, dass es auf dem
       Kioto-Protokoll aufbaut - und das ist durch und durch beseelt vom Geist des
       Neoliberalismus, auf dessen Höhepunkt es 1997 als Grundlage der
       UN-Klimaschutzpolitik entstand. Darum wird "Hopenhagen" die Hoffnungen
       vieler Klimaschützer nicht erfüllen.
       
       Der Kioto-Vertrag orientierte sich an dem marktwirtschaftlichen Lehrsatz:
       "Auf den Märkten entscheiden letztlich die Verbraucher, ob ein Produkt
       nützlich ist." In ihrer Eigenschaft als "Verbraucher" sollen die
       Vertragsstaaten zur Senkung ihrer CO2-Emissionen verpflichtet werden.
       Entsprechend soll auch in jedem Land das Verbraucherverhalten durch Anreize
       beeinflusst werden. Im kapitalistischen Alltag mag die
       Verbraucherorientierung Sinn haben. Ist es aber sinnvoll, die Lösung eines
       existenziellen Menschheitsproblems dem Marktverhalten der Verbraucher
       anzuvertrauen? Und lehrt uns die gegenwärtige Finanzkrise nicht, dass die
       Sicherstellung existenzieller Güter unter der Kontrolle des Staates stehen
       muss?
       
       Das Klima ist ungleich wichtiger als das Finanzsystem: Letzteres ist für
       den Fortbestand des Kapitalismus entscheidend, Ersteres für die Menschheit
       als Ganzes. Die internationale Finanzkrise konnte mit staatlichen
       Rettungspaketen gerade noch abgewendet werden. Bei einer Klimakrise käme,
       wenn bei der Erderwärmung die kritische Grenze von 2 Grad Celsius
       überschritten wird, jedes Rettungspaket zu spät. Das Klima ist eben keine
       Bank - sonst wäre es längst gerettet worden.
       
       Es ist an der Zeit, den Marktradikalismus beim Klimaschutz beiseitezulassen
       und den Ausstoß von CO2-Emissionen durch konsequente Regulierung zu senken.
       Dies erfordert, den Blick nicht auf die Verbraucher, sondern auf die
       Produzenten von fossilen Energieträgern wie Kohle, Erdgas und Erdöl zu
       lenken. 70 Prozent davon werden in 20 Staaten produziert: in den USA,
       Russland, China, Indien, Australien, Kanada, den Opec-Staaten und einigen
       weiteren Ländern. Um sicherzustellen, dass der CO2-Ausstoß im Jahr 2050 um
       50 Prozent sinkt, gibt es nur einen einzigen, höchst effizienten Weg: Die
       gerade noch zulässige Menge fossiler Energieträger muss unter diesen 20
       Staaten völkerrechtlich verbindlich und flexibel aufgeteilt und jährlich
       gesenkt werden.
       
       Zweitens stammt auch der Emissionshandel, das Hauptinstrument des
       Kioto-Protokolls, aus der neoliberalen Mottenkiste. Die noch zulässigen 750
       Milliarden Tonnen CO2 sollen auf jeden Weltbürger "gerecht" verteilt
       werden. Staaten wie Mali, Burkina Faso und andere arme Entwicklungsländer
       erhalten nach diesem Modell deutlich mehr Emissionsrechte, als sie aufgrund
       ihres niedrigen Lebensstandards bis 2050 nutzen könnten, während die USA,
       Deutschland, Japan und andere reiche Länder nur noch für wenige Jahre
       Emissionsrechte erhielten. Bei diesem System kaufen reiche Staaten die
       überschüssigen Emissionsrechte armer Staaten an internationalen Börsen auf.
       So werden CO2-Emissionsrechte Inhalt eines neuartigen Finanzprodukts, der
       Handel damit wird eine neue, gigantische Anlagesphäre fürs internationale
       Finanzkapital.
       
       Von deutschen Wissenschaftlern aus dem Umfeld des Wissenschaftlichen
       Beirats der Bundesregierung "Globale Umweltveränderung" stammt die Idee
       einer "Weltklimabank", die nach dem Modell der WTO das System
       Emissionshandel als Aufsichtsbehörde kontrollieren soll (s. taz vom 5./6.
       12. 2009). Die Erfinder des Emissionshandels und die Befürworter einer
       Weltklimabank unterschlagen aber große Probleme: So werden die reichen
       Länder die Emissionsrechte armer Länder aufkaufen, um weiter CO2 in die
       Umwelt pusten zu können, während die Erlöse der Entwicklungsländer bei den
       reichen Eliten dieser Länder versickern. Bei einem Ausverkauf ihrer Rechte
       würde diesen Ländern sogar in alle Ewigkeit das Recht auf
       Industrialisierung genommen.
       
       Finanzblasen und Sphären 
       
       Um sicherzustellen, dass die Menge der Emissionsrechte mit der Menge der
       tatsächlichen Emissionen übereinstimmt, Staaten und Verbraucher also nicht
       schummeln, bedarf es eines gigantischen Kontrollapparats - und zwar
       weltweit, in jedem Industriebetrieb und jedem Haushalt, der die
       Emissionsrechte erworben hat. Entweder gehen die Kosten dieses
       "Marktinstruments" ins Unermessliche - oder das System wird nicht
       funktionieren. Was aber ganz sicher funktionieren dürfte, ist die
       Spekulation, wenn Finanzjongleure mit Milliardeneinsätzen um virtuelle
       CO2-Rechte wetten und neue Finanzblasen schaffen.
       
       Dabei ist es sinnvoll und möglich, durch systematische Reduktion der
       fossilen Energieträger in den Produzentenstaaten die Verteilung von
       Restemissionen dem Weltmarkt zu überlassen. Preiserhöhungen für Öl, Erdgas
       und Kohle als Folge der gewollten Verknappung eignen sich bestens dazu, den
       Übergang zu regenerativen Energien weltweit durchzusetzen. Obendrein machen
       sie alle bürokratischen und aufwendigen Anreizsysteme sowie Festlegungen
       auf bestimmte Technologien oder Vorschriften zur Bau- und Wärmedämmung
       überflüssig.
       
       Leider hat die 12-jährige Debatte über das Kioto-Protokoll bisher keinen
       Weg gezeigt, bei dem die Lasten des Ausstiegs aus der fossilen Energie
       gerecht verteilt würden, da die reichen Staaten sich weigerten, ihrer
       historischen Verantwortung gerecht zu werden. Dabei liegt es auf der Hand,
       dass nur ein moralisch plausibles und auch von armen Staaten akzeptiertes
       Kriterium dieses Dilemma lösen kann: Entschädigung armer Länder durch
       Klimaschulden reicher Staaten, um in armen Ländern regenerative
       Energieversorgung zu finanzieren. Die Klimaschulden sind bis auf Heller und
       Pfennig ermittelbar, weil die bisher ausgestoßene CO2-Menge für jeden
       einzelnen Staat ziemlich genau bekannt ist. Emissionshandel und
       Weltklimabank gehören zum Kasinokapitalismus. Der Klimaschutz aber braucht
       eine UN-Klima-Agentur, die ein alternatives Modell der Verknappung an der
       Quelle koordiniert.
       
       16 Dec 2009
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Mohssen Massarrat
       
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