# taz.de -- Essens neues Image: Hoffen auf die Kulturhauptstadt
       
       > 2010 ist Essen "Europäische Kulturhauptstadt". Durch den Wandel zur
       > Kreativwirtschaft soll die Talfahrt der alten Industrieregion aufgehalten
       > werden.
       
 (IMG) Bild: Glamour für den Kohlenpott: Beleuchtete Rolltreppe in Essen.
       
       Bis zu 20 Prozent Arbeitslosigkeit, Prognosen von einem
       Bevölkerungsrückgang im zweistelligen Prozentbereich, der ganze Stadtteile
       und Landstriche veröden lässt: Szenarien, die bisher immer für den nach der
       Wende so industrieschwachen Osten Deutschlands reserviert schienen. Doch
       sich ausbreitende Armut von 25 Prozent bis weit hinein in den Mittelstand
       ist schon längst kein rein ostdeutsches Problem mehr.
       
       In Städten wie Bochum, Duisburg oder Gelsenkirchen, in dieser hoch
       verstädterten Region mit über fünf Millionen Menschen, geht die Entwicklung
       von einer einst in Europa so bedeutsamen Schwerindustrieregion in Richtung
       Abstieg immer weiter voran. Seit den 1970er-Jahren, mit der zurückgehenden
       Kohleförderung und damit einhergehenden Stilllegung von Zechen, konnte
       keine nachhaltige wirtschaftliche Wende herbeigeführt werden. Dafür haben
       mittlerweile Langzeitarbeitslosigkeit und Armut in einigen Kommunen und
       Stadtteilen Rekordniveau erreicht. Die Region, so lautet denn das
       Warnsignal des Armutsberichts des Paritätischen Gesamtverbandes, verliert
       damit immer mehr den Anschluss zum bundesdeutschen Durchschnitt.
       
       Kein Wunder, dass die "Europäische Kulturhauptstadt Essen/Ruhr2010" zum
       schwer beladenen Hoffnungsträger für die gesamte Region wird: Der
       Kohlenpott soll endlich ein neues Image bekommen. Weg vom grauen,
       arbeiterorientierten Montanrevier mit seinen vielen Städten, hin zu einer
       attraktiven "Metropole Ruhr" als Standort von Kultur und Kreativen.
       
       Dabei hat dieser drittgrößte Ballungsraum Europas einiges aufzuweisen: Fünf
       Universitäten und über hundert Forschungseinrichtungen sind hier ansässig.
       Mit der Ruhrtriennale wurde vor einigen Jahren ein europäisch bedeutsames
       Festival der Künste gegründet, das sich mit seinen Spielorten erfolgreich
       an die alte Industriekultur gekoppelt hat. Mit dem Schauspielhaus Bochum
       oder dem Museum Folkwang in Essen verfügt die Region über
       Kultureinrichtungen auf internationalem Niveau.
       
       Wer aber zur Kulturhauptstadt Marktplätze mit mittelalterlichem Flair oder
       pittoreske Gründerzeitviertel sucht, wird im Ruhrgebiet kaum fündig werden.
       Die Nachkriegsbauweise, vorwiegend aus den 1950er- und 1960er-Jahren,
       dominiert die Städte. Dafür gibt es dann beeindruckende Industriekultur zu
       bestaunen, wie zum Beispiel das Weltkulturerbe Zeche Zollverein: Dieses
       gigantische, stillgelegte Steinkohlebergwerk ist beispielhaft für den
       Wandel von einer alten Industriestruktur hin zu einer touristischen und
       kulturellen Nachnutzung. Ob dies aber reicht, um sich dauerhaft zwischen
       anerkannten Kulturmetropolen wie Barcelona, Berlin oder Wien zu platzieren,
       bleibt völlig ungewiss.
       
       Mittlerweile sind die Kulturhauptstadtorganisatoren und die Landesregierung
       des mit 18 Millionen Einwohnern größten deutschen Bundeslandes
       Nordrhein-Westfalen überzeugt: Im internationalen Städtewettbewerb eignen
       sich Essen oder Oberhausen doch eher nur als Randnotiz. Das Logo "Ruhr2010"
       soll dann den Flickenteppich von 53 eng verzahnten Städten des
       "Regionalverbandes Ruhr" zur gemeinsamen Metropole aufsteigen lassen. Neben
       Essen präsentieren dann als eine Art Eingangsportal noch Duisburg, Bochum,
       Dortmund und Oberhausen die Region. Das Kulturhauptstadtjahr bietet damit
       die Ausgangslage für ein neues Corporate Identity - und so die Chance, das
       gesamte Ruhrgebiet erstmals als eine Einheit im beinharten Städtewettbewerb
       zu positionieren.
       
       Sicher ist, dass die "Europäische Kulturhauptstadt" in einer Ökonomie der
       Aufmerksamkeit durchaus erst einmal ganz gut funktioniert. Ziel sind
       Zuwächse im Tourismus. Die Marke "Kulturhauptstadt" steht nachgewiesen
       dafür. In Linz, Kulturhauptstadt 2009, liegen die Zuwächse bei den
       Übernachtungen auch schon wieder im zweistelligen Prozentbereich - trotz
       Wirtschaftskrise. Auf über eine Million zusätzliche Übernachtungen hofft
       man dann in der "Metropole Ruhr".
       
       Dafür wird auch der Kulturetat heftig aufgebläht - und städtebaulich massiv
       investiert. Mindestens 300 Millionen Euro für Kulturprojekte und Bauten
       sind das dem wahrlich wenig pittoresken Essen samt Nachbarstädten bisher
       wert. In Duisburg wird nach einem Masterplan des Stararchitekten Norman
       Foster sogar die gesamte Innenstadt neu gestaltet, dazu der alte
       Industriehafen zu einer Marina umfunktioniert. In Essen wird nach den
       Plänen von David Chipperfield der Neubau des Folkwang-Museums errichtet,
       genauso wie mit dem Duisburger Museum für Moderne Kunst Küppersmühle in
       einem weiteren Kulturbau zum Hauptstadtjahr investiert wird. Gerade solche
       Investitionen in architektonische Leuchttürme, zwar immens kostspielig,
       sollen dann für internationale Aufmerksamkeit sorgen.
       
       Doch die Region Ruhr will noch mehr als eine reine Imagekorrektur: Der
       Strukturwandel hin zu einer durch Kultur und Kreativwirtschaft geprägten
       Region soll weiter vorangebracht werden. Mit Dieter Gorny, einst Gründer
       des Musiksenders Viva und der Musikmesse Popkomm, wurde dafür extra ein
       "Direktor für Kreativwirtschaft" ernannt. Die vielen leer stehenden
       Industriehallen sollen sich wieder mit Leben füllen: mit Künstlern und
       Kreativen. Die Kreativwirtschaft ist als wichtiges Thema in das
       Gesamtkonzept von "Ruhr2010" integriert, bekommt erstmals überhaupt in
       einer europäischen Kulturhauptstadt eine herausragende Stellung. Zu diesem
       Wirtschaftsbereich zählt man dann Künstler und klassische
       Kultureinrichtungen wie Theater oder Museen, genauso wie Betriebe aus dem
       Verlagswesen, Werbung oder Design.
       
       Gerade bei solchen Dienstleistungen ist es in den letzten Jahren
       tatsächlich zu einem deutlichen Anstieg von Beschäftigten und Unternehmen
       gekommen. Und spätestens seit der amerikanische Forscher Richard Florida
       die "Creative Class" als zukunftsweisend für Städte und Regionen ausgerufen
       hat, stehen diese als neue Hoffnungsträger auch im Fokus der Politik. Und
       sie sollen nun verstärkt ihre Orte im Ruhrgebiet finden. Zum Beispiel im
       "Dortmunder U", einer ehemaligen Brauerei, die mit über 80.000
       Quadratmetern zu einem neuen Zentrum für Musik und Medien umgebaut wird.
       
       Aber so schnell wird die Fahrt zur prosperierenden, kreativen Metropole
       Ruhr dann doch wohl nicht gehen: Die kreativen Dienstleister, zumeist
       handelt es sich um kleine Mikrounternehmen, bevorzugen lebendige, urbane
       Quartiere, die oft aus Subkulturen und alternativ orientierten Szenen
       heraus entstehen. Nicht überall hat das Ruhrgebiet hier wirklich viel zu
       bieten. Viele Kleinstbetriebe der Kreativwirtschaft werden dazu oft aus der
       Not geboren - zum Beispiel aus der Arbeitslosigkeit und mithilfe
       verschiedener staatlicher Förderungen. Solche Miniunternehmen verschwinden
       dann aber auch rasch wieder vom Markt, aus Mangel an Aufträgen und
       fehlender Professionalisierung. Und so bleibt abzuwarten, wie viele der
       ambitionierten Projekte zur Kreativwirtschaft das eine Hauptstadtjahr der
       Region wirklich überleben und ob sie dann nachhaltig neue Impulse setzen
       können.
       
       Doch für die Organisatoren der Kulturhauptstadt 2010 bleibt klar: Die
       Zukunft des Ruhrgebiets liegt im Wandel zu Kultur und Kreativität. Denn
       bleiben auch die ökonomischen Kennziffern erst einmal vielleicht aus - ein
       Imagegewinn bringen Kreative auf jeden Fall. Kulturhauptstadt und
       Kreativwirtschaft sind sicher kein Allheilmittel. Aber viele andere
       Möglichkeiten bleiben der Region wirklich nicht mehr, will man aus der tief
       gehenden Krise einen Schritt herausfinden.
       
       3 Jan 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dirk Hagen
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Wien
       
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