# taz.de -- Von Costa Rica nach Hamburg: Adiós, Spontanität
       
       > Wenn über Migranten berichtet wird, werden fast immer Menschen aus
       > klassischen Einwanderungsländern thematisiert. Deswegen beleuchtet die
       > taz auch mal "die anderen" - einer neuen Serie (Teil I).
       
 (IMG) Bild: Kontrastprogramm zu Costa Rica: Winter in Hamburg-Eimsbüttel.
       
       In ihrer ersten Woche hier trank sie aus lauter Verzweiflung an einem Abend
       drei große Gläser Weißbier. Lorelly Bustos Córdoba saß in der Runde mit
       Freunden ihres Mannes zusammen und verstand kein Wort. Sie wollte nur nach
       Hause. An viel mehr erinnert sie sich nicht.
       
       Dann lernte sie Deutsch, es war anstrengend, aber sie wollte es. Sie sprach
       Deutsch, so oft es ging. Morgens grüßte sie die Leute an der Bushaltestelle
       - und wurde ignoriert. Was für sie ganz normal war, macht man hier nicht.
       Sie hatte viel zu lernen.
       
       Inzwischen ist sie fast fünfzehn Jahre hier, sie hat sich gewöhnt an die
       Hektik an der Supermarktkasse, hat einen Terminkalender und ruft fast immer
       bei ihren Bekannten an, bevor sie bei ihnen vorbeischaut. Sie sagt: "Ich
       habe die Spontanität verloren, weil es sich nicht vereinbaren lässt mit dem
       Leben hier." Sie sagt das ganz nüchtern.
       
       Gerade ist sie in ihr Büro in der Kita gehuscht und hat ihre Schuhe mit
       Absatz gegen bequemere getauscht. Wenn sie sagt, sie sei 42, denkt man
       erst, das kann nicht sein. Das Gesicht ist glatt, die schwarzen Locken
       elegant zum Zopf zusammengebunden. Wenn sie aus dem Fenster schaut, blickt
       sie auf die stuckverzierten Altbauten von Hamburg-Eimsbüttel mit ihren
       Balkonen mit schmiedeeisernen Geländern. Und wenn ein Kind vorbeikommt und
       an die große Scheibe klopft, schickt sie eine Kusshand nach draußen und
       haucht: "Precioso". Hallo, mein Schönes! Hinter ihr stehen ein paar Bücher
       im Regal und Aktenordner. "Rechnungen" steht auf einem schwarzen Ordner,
       "Hygieneplan" auf einem blauen. Der blaue ist dicker.
       
       Der Liebe wegen 
       
       Es klopft an der Tür. Eine Erzieherin steht da, an ihrer Hand ein Mädchen
       mit verheulten Augen. Es gab Streit um die einzige Sandschaufel und das
       Mädchen zog den kürzeren. Lorelly Bustos wechselt ins Spanische, das klingt
       gleich etwas weicher, und sagt doch streng: "Vor zwei Wochen erst habe ich
       drei rausgeholt! Und immer verschwinden sie!" Dann klingt sie versöhnlich,
       "Wir können neue bestellen." Das Mädchen strahlt, Bustos auch. Sie ist
       zufrieden, mit der Situation und überhaupt mit ihrem Leben.
       
       Die Geschichte von Lorelly Bustos gleicht einer Telenovela, wie sie in
       ihrem Heimatland Costa Rica die Leute an den Fernseher fesselt. Frau aus
       einfachen Verhältnissen trifft einen Mann aus Europa, verliebt sich und
       reist mit ihm in ein neues Leben. Doch an der Stelle, wo sonst das Happy
       End kommt, fängt ihre Geschichte erst richtig an.
       
       Vor dem Frühstück waren sie immer schon draußen, Lorelly mit ihren drei
       älteren Geschwistern, sie rannten um das einstöckige Haus. Dann gab es Reis
       mit Bohnen. Und nach der Schule planschten sie im Meer. Eine ganz
       gewöhnliche Kindheit in Puerto Limón, an der Karibikküste, Mittelamerika,
       zwischen Nicaragua und Panama. Ihre Mutter arbeitete als
       Krankenschwesterhelferin, über ihren Vater will sie lieber nicht reden. "Er
       war nicht verantwortungsvoll", sagt sie nur. In der 7. Klasse, sie ging
       inzwischen auf die Sekundarschule in der Hauptstadt San José, hörte sie zum
       ersten Mal von Cocorí. Er ist ein kleiner schwarzer Junge, der beobachtet,
       wie ein Schiff aus Übersee ankommt. Ein blondes Mädchen sieht Cocorí und
       hält ihn zunächst für einen Affen. Die Erzählung des costa-ricanischen
       Schriftstellers Joaquín Gutiérrez ist eine Geschichte, die mit
       Diskriminierung beginnt und mit Toleranz endet. "Es ist eine schöne
       Geschichte", sagt Bustos. Deshalb hat sie ihre Kita später Cocorí genannt.
       Aber das sollte noch ein paar Jahre dauern.
       
       Sie hat erst mal Tourismus studiert, wie so viele in Costa Rica, denn an
       den Tourismus klammert sich das ganze Land. Als sie 28 Jahre alt war,
       unglücklich verheiratet, sie hatte einen kleinen Sohn, wollte sie auf die
       Kaimaninseln auswandern. Davor ging sie mit einer Freundin noch mal am
       Wochenende an den Strand. Da traf sie einen Deutschen, 13 Jahre älter als
       sie, er war auf Weltreise, anderthalb Jahre schon, Costa Rica war seine
       letzte Station. Ihr heutiger Mann.
       
       Als Bustos nach drei Jahren mit ihm nach Deutschland ziehen wollte,
       protestierte ihre Familie. Nicht in dieses Land, in dem es dauernd
       Brandanschläge gibt und nur Neonazis rumlaufen. Es sind die schlechten
       Nachrichten, die es über den Ozean in die Zeitungen schaffen. Aber sie ging
       mit, erst ein paar Monate, dann für drei Jahre, so der Plan. Sie war schon
       mal zu Besuch dort gewesen, sogar im Winter, sie war zuversichtlich.
       
       Und irgendwie klappte es.
       
       Lorelly Bustos wusste sofort, dass sie noch mal studieren wollte, ihr altes
       Studium wurde nicht anerkannt. Sie schrieb sich in Sozialpädagogik ein,
       ihre Diplomarbeit schrieb sie über "Bilinguale Erziehung für Kinder im
       vorschulischen Alter", Abschlussnote: 2,0. Inzwischen war ihre Tochter auf
       der Welt und ihr war klar, dass es nicht bei drei Jahren in Deutschland
       bleiben würde. Sie schrieb ein Konzept für den Kindergarten, kämpfte sich
       für die Genehmigung durch die Bürokratie, suchte Startkapital und Räume.
       Die Räume waren das Schwierigste. Vor drei Jahren konnte sie die Kita
       Cocorí endlich eröffnen. Ihre Kita. Ihr Traum.
       
       Jetzt ist Lorelly Bustos pädagogische Leiterin, Chefin von einem Dutzend
       Mitarbeiterinnen. Sie hat viel Papierkram zu erledigen. Aber so oft es
       geht, ist sie selbst in der Gruppe, heute bei den Jüngeren. Die
       Mittagspause ist gerade um, Bustos geht an der Garderobe vorbei, die Wand
       ist bunt bemalt mit einer Schildkröte und Blumen, jedes Kind hat seinen
       Kleiderhaken mit Namensschild, Kalle den Froschkönig, Pablo den Fuchs,
       Linda die Hexe. Auf der Fensterbank liegen Bilderbücher. Acht Kinder
       zwischen einem und drei Jahren bilden auf dem Teppich einen Kreis, Bustos
       sitzt im Schneidersitz, der Rücken durchgedrückt, sie singen: "Buenas
       tardes amiguitos, cómo están?" Guten Tag, kleine Freunde, wie geht es euch?
       Danach gibt es für alle Mandarinen.
       
       Nebenan, bei den Größeren ist der Fußboden voller Styroporbrösel. Es wird
       gebastelt. Manche Kinder reden Spanisch, manche Deutsch, manche wechseln es
       ab und viele mischen die Sprachen. "Ich will postre", das sagen sie am
       häufigsten, sagt Bustos und lacht. Postre, das heißt Nachtisch.
       
       Die Kinder sollen sich selbst entscheiden, welche Sprache sie sprechen, die
       Erzieherinnen antworten in ihrer eigenen Muttersprache. Ganz wenige Kinder
       sprechen zu Hause nur Spanisch, einige wachsen zweisprachig auf und die
       meisten sprechen zu Hause nur Deutsch. Akademiker schicken ihre Kinder
       hierher, die wollen, dass ihr Nachwuchs spielerisch eine zweite Sprache
       lernt. "Hier können die Kinder eine andere Kultur kennenlernen und so über
       den Tellerrand springen", sagt Bustos. Das möchten offenbar viele: Für 2010
       ist alles schon voll, die Warteliste für die 45 Plätze ist lang.
       "Eigentlich könnte ich noch eine zweite Kita aufmachen", sagt sie. "Ich
       überlege es mir." Ihre Augen funkeln. Es klingt so, als sei die
       Entscheidung längst gefallen.
       
       Zunächst war es für Bustos gewöhnungsbedürftig, wie hier Kinder erzogen
       werden. Das Kind werde viel stärker als Individuum behandelt. Und mittags
       zwei Stunden schlafen, abends um acht ins Bett, solche Rituale gibt es in
       Costa Rica nicht. Dafür ist der Respekt gegenüber der Familie und älteren
       Menschen dort größer, sagt Bustos. Dass ein Kind die Tante nicht grüßen
       muss, wenn es nicht will - unvorstellbar. Hin und wieder lädt sie ältere
       Damen in die Kita ein, die den Kindern vorlesen. Der Kindergarten als
       Ersatzfamilie.
       
       Über eine Sache spricht Lorelly Bustos nicht so gerne: Über schlechte
       Erfahrungen. Sie sei auch mal als Ausländerin blöd angemacht worden, sagt
       sie, das sei aber nicht der Rede wert. Das liege auch daran, dass Spanisch
       als coole Sprache gilt und Costa Rica ein gutes Image hat. Und ihr kommt
       wohl auch zugute, dass sie immer offen auf die Leute zugegangen ist. Sie
       ist immer freundlich, sagt eine Kollegin, sie lächelt immer.
       
       Die Sehnsucht bleibt 
       
       Bustos kennt genügend Lateinamerikaner, die seit zehn Jahren hier wohnen
       und kein Wort Deutsch können, die sich ihr Nest suchen, wo sie nur Spanisch
       sprechen. Verstehen kann sie es nicht "Manche tun einfach zu wenig für ihre
       Integration", sagt sie. Den Eltern versucht sie immer zu verklickern: Lernt
       die Sprache, es ist so wichtig.
       
       Wenn Lorelly Bustos über ihr Leben spricht, sind da zwei Frauen. Die eine
       Lorelly ist hier zu Hause, hat einen deutschen Pass und macht nur selten
       Fehler auf Deutsch und die sind klitzeklein. Die andere hat ihr Herz immer
       noch in Mittelamerika. Mindestens alle zwei Jahre fliegt sie hin, um ihre
       Mutter zu besuchen und die Großmutter, die ist 97. "Aber eigentlich
       vermisse ich mein Land nicht so oft", sagt Lorelly Bustos Córdoba. Ihr
       gefällt es hier, sie hat ihre Familie, sie mag die Dreieinhalbzimmerwohnung
       im ersten Stock, auch wenn sie klein ist, das Schlafzimmer nur mit einem
       Vorhang vom Wohnzimmer getrennt. Und wenn es doch mal vorkommt, dass sie
       sich nach ihrem Heimatland sehnt, dann geht sie laufen. Da wird ihr erst
       warm und dann richtig heiß.
       
       So heiß wie an der Karibikküste Costa Ricas.
       
       Wenn sie über ihr Leben spricht, sind da zwei Frauen. Die eine Lorelly ist
       hier zu Hause, hat einen deutschen Pass und macht nur selten Fehler auf
       Deutsch und die sind klitzeklein. Die andere hat ihr Herz immer noch in
       Mittelamerika. Mindestens alle zwei Jahre fliegt sie hin, um ihre Mutter zu
       besuchen und die Großmutter, die ist 97
       
       7 Jan 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Sebastian Erb
       
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