# taz.de -- Soziale Stadt (6): Rendite ziehen aus dem Grundbedürfnis Wohnen: Der Traum der Mieter vom Handy-Tarif
       
       > Mobilfunktarife sind durch politische Vorgaben begrenzt. Bei
       > Wohnungsmieten scheint das undenkbar. Denn inner- wie
       > außerparlamentarische Initiativen tun sich schwer, eine Politik gegen die
       > steigenden Mieten zu formulieren.
       
 (IMG) Bild: Ohne Handy geht's nicht
       
       Bei Handys finden es alle völlig normal. Seit letztem Sommer sind die
       Gebühren für Gespräche und SMS über die nationalen Grenzen in Europa hinweg
       gedeckelt. Das staatliche Festsetzen einer Obergrenze durch die
       EU-Kommission gegen die Telefon-Konzerne wird quer durch alle
       Gesellschaftsschichten begrüßt. Denn Handys werden mittlerweile von den
       Beziehern von Hartz IV ebenso wie den Mitgliedern der politischen Klasse
       als existenziell erlebt. Doch warum führt ein ähnlicher Vorschlag bezogen
       auf Mieten bis weit hinein in Kreise der Sozialdemokraten, Grünen und
       Linken nur zu ungläubigem Kopfschütteln?
       
       Warum wurde von der neuen Bundesregierung eine Senkung der Mehrwertsteuer
       für Hotelübernachtungen durchgesetzt, gleichzeitig aber schon der vage
       geäußerte Vorschlag einer Luxussteuer auf den Mehrfachbesitz von Häusern
       als völlig abwegig empfunden? Nur zur Erinnerung: Mit einer solchen Steuer
       lösten die Wiener Sozialisten ab 1924 innerhalb von vier Jahren das
       Wohnungsproblem.
       
       Diese beiden Beispiele zeigen, wie normal es inzwischen geworden zu sein
       scheint, dass aus einem existenziellen Grundbedürfnis, dem Wohnen,
       ungehemmt Rendite gezogen werden darf. Warum liegt die gesetzlich maximal
       zulässige Mieterhöhung innerhalb von drei Jahren bei 20 Prozent? Und dies
       ohne jegliche Wohnwertverbesserung, bei nahezu null Prozent Inflation und
       sinkendem Realeinkommen. Wer hindert die politische Klasse daran, statt "20
       Prozent" die Worte "in Höhe der vom Statistischen Bundesamt ermittelten
       Inflationsrate" ins Gesetz zu schreiben?
       
       Es ist von den Mitgliedern der politischen Klasse nicht anders gewollt. In
       ihren Lebenswelten von nicht mal zehn Prozent der Bevölkerung ist es völlig
       "normal", aus Steuerabschreibungsgründen sich zwei, drei Eigentumswohnungen
       "für die Altersversorgung" zuzulegen und möglichst teuer zu vermieten.
       
       Die anderen Lebenswelten des überwiegenden Teils der Bevölkerung beschreibt
       der Berliner Stadtforscher Sigmar Gude in seinen detailgenauen
       Untersuchungen über einzelne Quartiere in Kreuzberg. Früher machte die
       durchschnittliche Gesamtmiete einschließlich der Nebenkosten um die 25
       Prozent des Einkommens aus, inzwischen nähert sie sich aber rasant der
       40-Prozent-Marke. Erstaunlicherweise sind dabei nicht nur die Bezieher von
       staatlichen Transfer-Leistungen die großen Verlierer, sondern ebenfalls der
       untere Mittelstand. Alle die, die durch Arbeit gerade genug verdienen, um
       keine Sozialleistungen zu erhalten, denen aber jeder Euro mehr Miete für
       die Ausbildung ihrer Kinder oder einfach beim täglichen Konsum fehlt.
       Diejenigen, die eben nicht das familiäre Kapital im Hintergrund oder schon
       geerbt haben, um sich an einer Baugruppe zu beteiligen. Deshalb ist zurzeit
       gerade in diesem Milieu der reale und gefühlte Druck so groß, nicht mehr
       mithalten zu können.
       
       Vor diesem Hintergrund mutet eine von den Kreuzberger Grünen angeschobene
       Bundesrats-Initiative geradezu sozialrevolutionär an, in der neben einer
       Koppelung der gesetzlich zulässigen Mieterhöhung an die Inflationsrate ein
       Verbot von Mietsprüngen bei Neuvermietungen gefordert wird. Ebenfalls
       sollte die bisher maximal 11-prozentige Umlage für Modernisierungskosten
       auf die tatsächlichen Kosten für den Vermieter begrenzt werden. Wenn die
       neuen Fenster oder die Heizung abbezahlt sind, soll die Miete nach
       Vorstellung der Bezirks-Grünen wieder sinken. Eine einfache Ergänzung des
       Baugesetzbuches würde zumindest in Sanierungsgebieten eine Mietobergrenze
       ermöglichen. Und langfristig sollte sich, zumindest in
       Milieuschutzgebieten, "die maximale durchschnittliche Mietbelastung bei 25
       Prozent des durchschnittlichen Haushaltseinkommens liegen". Doch diese
       Initiative versandet zurzeit im politischen Apparat selbst der eigenen
       Partei.
       
       Denn eine solche Initiative hat nur eine Chance bei gleichzeitigem starken
       Druck einer sozialen Bewegung auf der Straße. Doch da ist zurzeit weit und
       breit kaum ein Akteur zu sehen, der eine solche Bewegung tragen könnte. Die
       sich zumindest rhetorisch wesentlich radikaler gebenden Autonomen haben
       sich in einer Politik zur Erhaltung von "linken Freiräumen" festgebissen.
       Wie das Wort "Freiräume" schon sagt, geht es hier nicht mehr um eine
       gesamtgesellschaftlichen Anspruch auf Umverteilung des Reichtums, man
       möchte vielmehr in seiner Nische in Ruhe gelassen werden. Diese Politik ist
       mit modernen liberalen Politikkonzepten kompatibel, aber nicht mit den
       alltäglichen Interessen einer großen Mehrheit der Bevölkerung.
       
       Berlin ist noch immer eine Mieterstadt, in der die meisten BewohnerInnen
       sich einfach eine passende Wohnung mieten möchten, ohne dafür jede Woche
       auf ein Hausplenum zu müssen. Als zu abschreckend empfinden viele die
       gefühlte Anforderung, möglichst "jung, flexibel, gesund und ohne Kinder" zu
       sein, um in einem der "linken Freiräume" leben zu können. Wie viele
       Menschen in der Stadt haben schon mit einem "Ich will doch einfach nur in
       Ruhe wohnen" schreiend das Hausprojekt ihrer Jugend hinter sich gelassen.
       Denn die klassischen linken Fragen von Selbst- beziehungsweise
       Mitbestimmung als Mieter sowie des Eigentums an einem Haus ließen sich auch
       ohne "Hausprojekt" lösen.
       
       Dennoch verrennen sich Teile der autonomen Szene in einen auf die Erhaltung
       des Bestehenden fixierten Kampf gegen die Phänomene der städtebaulichen
       Aufwertung von Wohnvierteln. Dabei war es einmal Zeichen einer Linken, die
       Kraft für das Neue und die Veränderung zu sein. Ihren traurigen Höhepunkt
       erreicht diese Politik, wenn gegen Baugruppen mobil gemacht wird und nicht
       mal mehr zwischen Selbstnutzern einer Wohnung und Investoren mit
       Renditeinteressen unterschieden wird. Natürlich wollen viele Menschen keine
       Ofenheizung und vielleicht auch mal eine sonnigere Wohnung mit mehr Platz.
       
       Einzig das Bündnis "Steigende Mieten stoppen"
       ([1][www.mietenstopp.blogsport.de]) schaffte es, in den letzten Monaten
       einen Katalog aus sieben zentralen Forderungen zu entwickeln. Für den
       Stadtforscher Matthias Berndt zeichnen sich die dort formulierten Ansprüche
       vor allem dadurch aus, dass sie "umsetzbar sind, klar ausgedrückt und einen
       eindeutigen Adressaten haben, aber auch über das Bestehende hinausweisen".
       Im Einzelnen wird darin ein neues Mietrecht ähnlich der Initiative der
       Kreuzberger Grünen gefordert, dazu ein Verbot von Zwangsräumungen bei
       Hartz-IV-BezieherInnen, ein Verbot der Umwandlung von Miet- in
       Eigentumswohnungen sowie die Wiedereinführung des Zweckentfremdungsverbots
       für Wohnraum.
       
       Weiter setzen sich die Initiatoren für staatlich finanzierte
       Beratungsangebote für MieterInnen, eine breite Bürgerbeteiligung bei der
       Stadtplanung sowie die Legalisierung von Besetzungen bei nur zu
       "Spekulationszwecken leerstehenden Wohnungen und Häusern" ein. Und es wird
       nach einer Neuauflage eines sozialen Wohnungsbaus durch "die Schaffung
       eines kommunalen Wohnungsbestands" gerufen, der "in allen Berliner Bezirken
       im ausreichenden Maße angemessenen und preiswerten Wohnraum für
       Geringverdiener/innen zur Verfügung stellt".
       
       Insbesondere ein "kommunaler Wohnungsbestand" wäre - richtig organisiert -
       eine Lösung, der langfristig die indirekte Umverteilung des Wohngelds in
       die Taschen von Wohnungseigentümern stark begrenzen könnte. Und der ebenso
       auf die Jahre betrachtet Druck auf die Miethöhe ausüben könnte - zur
       Senkung der durchschnittlichen Wohnkosten. So wie bei den Handy-Gebühren.
       
       16 Jan 2010
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.mietenstopp.blogsport.de
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christoph Villinger
       
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