# taz.de -- Olympische Winterspiele: Dr. No und der Marktstalinismus
> Was passiert mit einer Stadt, in der das Raumschiff Olympia landet?
> Umweltzerstörung, öffentliche Schulden und weniger Bürgerrechte. Davon
> sind die Kritiker in Vancouver überzeugt.
(IMG) Bild: Olympia kommt nach Vancouver und bringt so einige Änderungen mit.
VANCOUVER taz | Christopher Shaw will nicht mitmachen "bei diesem Zirkus",
sagt er. Er will sich kein einziges Sportevent anschauen. "Nein, das
Einzige, was ich machen werde, ist gegen die Winterspiele zu protestieren."
In neun Tagen beginnen die Wettkämpfe in Vancouver und Whistler. Für Shaw,
59, markieren sie den Endpunkt seines Engagements als
Anti-Olympia-Aktivist. Sein Widerstand hat ihm in den Medien den Beinamen
"Dr. No" eingebracht, manche nennen ihn auch den "Olympischen Miesepeter".
Wenn am 12. Februar der olympische Eid gesprochen ist und der Präsident des
Internationalen Olympischen Komitees (IOC), Jacques Rogge, wieder einmal
den Geist der Spiele beschworen hat, dann werden jene Leute obsiegt haben,
denen Shaw den Kampf angesagt hat. Es wird ein Sieg der olympischen Mächte
über einen Bürger von Vancouver sein, der die liberale Tradition der Stadt
an der kanadischen Westküste gegen die autokratischen Strukturen des IOC
verteidigen wollte. "Aber wir wollen wenigstens Präsenz zeigen während
dieses Irrsinns", sagt Shaw. "Wir" - das ist die antiolympische Bewegung,
der Shaw den Impuls zum Handeln gegeben hat.
Angekündigt sind Demonstrationen und Aktionen des Olympic Resistance
Network (ORN), einem vielgestaltigen Verbund von Olympia-Kritikern. Eine
Mitstreiterin von Shaw, Alissa Westergard-Thorpe, sagt: "Ich würde gerne
die Eröffnungsfeier ein bisschen aufmischen."
Die Widerständler haben Gegner des olympischen Spektakels in Kanada und den
USA dazu aufgerufen, nach Vancouver zu kommen. Ein Zeltlager wird
eingerichtet. Ein Protesthappening im Stile der politischen G-8-Proteste
soll nach Wunsch des ORN stattfinden. Sie wenden sich gegen die olympischen
Kollateralschäden: Umweltzerstörung, Umverteilung von Steuergeldern, Abbau
von Bürgerrechten, Kostenexplosion.
Shaw ruft die Bürger dazu auf, ebenfalls Gesicht zu zeigen. "Die
Protestbewegung kann in China unterdrückt werden, aber nicht hier in
British Columbia", schreibt er in seinem Blog "Olympics Retort". Den
letzten großen Protest gab es in Vancouver 1997 beim Apec-Gipfel, dem
Treffen des Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftsforums. "Damals hat die
Polizei völlig überreagiert, vor allem mit dem Einsatz von Pfefferspray und
Gummigeschossen gegen Demonstranten", erzählt Daphne Bramham von der
Vancouver Sun. Sie befürchtet Ähnliches für die 17 Tage der Winterspiele.
Christopher Shaw ist in seinem bürgerlichen Leben Assistenzprofessor an der
Universität von British Columbia in Vancouver. Der Mediziner beschäftigt
sich in seinem Labor mit Botenstoffen im Gehirn oder den Hintergründen von
Parkinson. In den vergangenen acht Jahren hatte er aber neben seinen
Studien einen zweiten Job, den des olympischen Spielverderbers. Der smarte
Professor, Vater von zwei Kindern, hält von den Spielen in ihrer jetzigen
Form nichts. Sie seien bloß "kompletter unternehmerischer Beschiss, der
eine "White Elephant-Infrastruktur" hinterlasse, also im Grunde nutzlose
Bauten.
Shaw sollte es wissen, acht Jahre lang hat er recherchiert wie ein
Enthüllungsjournalist. Er hat bergeweise Studien über die Struktur des IOC
gelesen. Er hat sich angeschaut, was die Spiele anderen Städten gebracht
haben.
Nach der Lektüre ist Shaw zu einem wenig überraschenden Urteil gekommen:
Was einem Ausrichter der Spiele bleibt, das ist ein riesiges Defizit, das
vom Steuerzahler abgetragen wird, "dem größten Sponsor in der olympischen
Geschichte".
In Vancouver werden die Schulden wohl die Summe von einer Milliarden Euro
übersteigen. Das IOC ist hierbei fein raus, denn es verfährt nach dem
Grundsatz: euch die Schulden, uns der Gewinn. Das Olympische Komitee sackt
20 Prozent des Gewinns ein, falls es einen geben sollte. Es lässt sich über
50 Prozent des Fernsehgeldes auszahlen und einen 7,5-Prozent-Anteil am
olympischen Merchandising. Die Dummen sind die Einwohner der Provinz
British Columbia und von Vancouver. Sie werden zahlen müssen, so wie es die
Einwohner von Montreal einst getan haben. Erst im Jahre 2006 wurden die
Schulden von umgerechnet einer Milliarde Euro abbezahlt, die im Zuge der
Sommerspiele von 1976 angehäuft worden waren.
Es ist nicht das einzige Erbe, das ein Ausrichter zu verwalten hat. Wegen
der verschärften Sicherheitsvorkehrungen wurden in Vancouver 900
Überwachungskameras in der Nähe der Sportstätten installiert, hinzu kommen
hundert Kameras in den Partyzonen. Wegen des Ausbaus der Sportstätten, vor
allem jener für die nordischen und alpinen Wettbewerbe, wurden mindestens
100.000 Bäume gefällt. Das Recht auf freie Rede ist während der Spiele
eingeschränkt. Die olympische Charta besagt, dass Demonstrationen sowie
politische, religiöse und rassistische Propaganda an den olympischen
Stätten und den Wettkampforten untersagt sind.
Die rigiden Regeln des IOC
In Vancouver wurde dieses Gebiet erweitert um die Straßen, die zu den
Stadien führen. Außerdem darf nur eingeschränkt geworben werden.
Sogenanntes Ambush Marketing wird penibel unterbunden. Auch der Luftraum
über Vancouver gehört dem IOC. Jegliche Werbung oder Banner mit politischen
Parolen, die von einem Kleinflugzeug gezogen werden könnten, sind verboten.
Über die Sicherheit der Spiele wacht ein gigantisches Aufgebot der
Vancouver 2010 Integrated Security Unit, zu der 7.000 Polizisten, 4.500
Soldaten und 5.000 Mitarbeiter privater Sicherheitsdienste gehören.
Einsatzleiter Bud Mercer hat sich 1997 bei den Apec-Protesten als besonders
eifriger Pfeffersprayer einen Namen gemacht. Olympiagegner sprechen nur
noch von den "Überwachungsspielen".
Ein Kritiker des kommerziellen Olympismus, US-Sportkolumnist und
Radiomoderator Dave Zirin, nennt die Masche des IOC "Marktstalinismus".
Überall, wo das "Raumschiff Olympia" lande, werde der rote Teppich
ausgerollt und die Herren über den olympischen Sport dürften ohne Weiteres
ihr rigides Regelwerk durchsetzen, eine Gesetzgebung, die Olympiasponsoren
schütze und Freiheitsrechte partiell aushebele. "Für Ausrichter dürfen die
Spiele nicht eine Ehre sein, sondern müssen als Belastung empfunden werden,
erst dann ändert sich etwas", sagt Helen Jefferson Lenskyj, eine
emeritierte Soziologieprofessorin der Universität von Toronto. "Olympia
muss gestoppt werden", fordert sie.
Davon sind mittlerweile auch immer mehr Einwohner der Provinz British
Columbia überzeugt. Nach der jüngsten Online-Umfrage, die das
Meinungsforschungsinstitut Angus Reid durchgeführt hat, glauben nur noch 50
Prozent an einen positiven Effekt durch die Olympischen Spiele. Im Jahre
2003 waren es noch 71 Prozent. Mittlerweile unterstützen 40 Prozent die
Ziele der Protestbewegung, im gesamten Land sind es allerdings nur drei
Prozent.
"Obwohl das sämtlichen Erfahrungen widerspricht, ist es in Vancouver so,
dass, je näher die Spiele rücken, die Bevölkerung umso skeptischer wird",
sagt Shaw. Offenbar gehe ihnen, die 2002 in einem Plebiszit erst die Spiele
möglich gemacht haben, "endlich ein Licht auf, vielleicht fühlen sie sich
auch schuldig am Schlamassel". Seinerzeit sprachen sich 63,5 Prozent für
die Spiele aus. Viele bedauern ihr Votum jetzt.
Den blumigen Versprechen des Olympia-Organisationskomitees Vanoc will
keiner mehr Glauben schenken. Das Organisationskomitee hat sich in den
Augen Shaws als Erfüllungsgehilfe des IOC von Anfang an diskreditiert. Auch
die Parolen vom wirtschaftlichen Aufschwung durch Olympische Spiele seien
Nonsens, meint Shaw und verweist auf eine Studie von Pricewaterhouse
Coopers. Die Wirtschaftsprüfer kommen darin zu dem Ergebnis, dass das
Bruttoinlandsprodukt, wenn überhaupt, nur um 0,1 Prozent wachse. Im selben
Maßstab reduziere sich die Zahl der Arbeitslosen. Das sind marginale
Effekte, die bei einem Gesamtinvestitionsvolumen von mindestens vier
Milliarden Euro auch ohne Olympia hätten generiert werden können.
"Die Kritik an den Spielen ist jetzt auf einem Allzeithoch", freut sich
Shaw. Das war nicht immer so, vor allem nicht in den Anfangsjahren seiner
Initiativen "No Games 2010" und "2010 Watch". Damals gingen hunderte von
E-Mails bei Shaw ein, Schmähungen und Beleidigungen. Er musste sich
rechtfertigen, wie es sein könne, dass er diese wunderbare Idee vom fairen
Wettstreit der Nationen nicht mögen könne. "Ich habe mich wie auf Treibsand
gefühlt", erinnert er sich. Er musste erst lernen, gegen die
Olympiapropagandisten zu kämpfen, die hinter der Fassade von den schönen
Spielen ihre Geschäfte machten.
In Vancouver sind das vor allem Bauunternehmer gewesen, die Projekte auf
indianischem Gebiet vorantrieben, dem Land der Statimc oder Squamish. Shaw
sagt: "Bei den Olympischen Spielen auf lokalem Niveau geht es vor allem um
eines: Immobiliengeschäfte."
Christopher Shaw weiß, dass es beim Tanz um die fünf olympischen Ringe
immer Sieger und Verlierer gibt. 2010, da ist er sich sicher, gehören die
Menschen in Vancouver zu den Übertölpelten. Eine selbstbewusste, westliche
Stadt ist dem IOC auf den Leim gegangen. Das ärgert den Professor
besonders.
3 Feb 2010
## AUTOREN
(DIR) Markus Völker
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