# taz.de -- Homophobie in der Kirche: Der katholische Eisberg
       
       > Die Debatte über sexuellen Missbrauch von Minderjährigen durch Jesuiten
       > geht an der Sache vorbei. Das Problem ist die strukturelle
       > Schwulenfeindlichkeit der Kirche.
       
 (IMG) Bild: Die Priesterweihe - noch so ein katholisches, undurchsichtiges und bizarres Unterwerfungsritual.
       
       BERLIN taz | Pater Klaus Mertes, Rektor des Berliner Canisius-Kollegs, wird
       schon das rechte Gespür für die Tragweite der Enthüllungen um den sexuellen
       Missbrauch von minderjährigen Schülern durch Priesterlehrer an seiner
       Schule haben. So sagte er zum Stand der mittlerweile bekannt gewordenen
       Fälle: "Ich glaube, dass das erst die Spitze des Eisbergs ist."
       
       Das ist sehr wahrscheinlich. Aus allen Teilen der Republik werden Tag für
       Tag weitere Berichte über sexuellem Missbrauch gemeldet. Ob in St. Blasien
       im Schwarzwald, dem österreichischen St. Pölten, aus Chile, Italien oder
       den USA: Die Opfer trauen sich, ihre Geschichte nicht mehr zu verschweigen.
       Am Canisius-Kolleg, von eliteorientierten Eltern seiner strengen Auffassung
       von Lehre und Disziplin wegen geschätzt, sind, so Pater Mertes, sogar
       "Initiationsriten" bekannt worden, bei denen Schüler durch Schläge auf den
       entblößten Hintern in den rechten Korpsgeist eingewiesen sein sollen.
       
       Man mag diese Fälle für singulär halten. So betont es der Vatikan, der sich
       nicht zuständig fühlt und die Causa dem Jesuitenorden zuschiebt, dessen
       Angehörige für das Gros der Missbrauchsfälle verantwortlich sind. In
       Wahrheit ist das Bild von der Spitze des Eisbergs durchaus zutreffend; der
       Fingerzeig auf die Individualität der Fälle ist nichts als heuchlerisch und
       antiaufklärerisch.
       
       Die katholische Kirche mit dem Vatikan an der Spitze selbst ist der Herd,
       auf dem der Brei aus sexueller Verklemmung, halbsadistischem Geifer gegen
       SchülerInnen an deren Lehranstalten und in deren Gemeinden sowie der Pose
       der ahnungslosen Unschuld unappetitlich köchelt. Allenthalben werden seit
       zwei Jahrzehnten Skandale aufgedeckt, in deren Mittelpunkt stets der
       katholische Klerus steht. Männer, die, versehen mit religiöser Autorität,
       sexuelle Gefälligkeiten von männlichen und weiblichen Kindern und
       Pubertierenden erschleichen oder erzwingen. Und wie Aussagen aus den USA,
       Irland und Australien belegen, stets von den Tätern gegenüber ihren Opfern
       mit dem Hinweis versehen, dass man ihnen nicht glauben werde, schwiegen sie
       nicht, und dass es Gottes Wille sei, was da passiert.
       
       Es hat System, dass all diese Fälle aus einer Glaubensgemeinschaft heraus
       berichtet werden, die ihre Priester auf Antisexualität einschwört und Sex
       lediglich im Zusammenhang mit dem Zweck der Fortpflanzung akzeptiert.
       Entsprechend ist die Politik der katholischen Zweige, angeheizt seitens des
       Vatikan, in allen Ländern, in denen in den vergangenen Jahren Gesetze zur
       Homoehe oder zum Verbot der Diskriminierung von Homosexuellen etabliert
       wurden.
       
       Immer waren es Katholiken, die diese Liberalisierungen zu verhindern,
       mindestens zu unterlaufen suchten. In Deutschland hat, zum Beispiel, das
       Antidiskriminierungsgesetz keinen Bestand für die Arbeitsverhältnisse in
       kirchlichen Einrichtungen: Wer schwul ist oder lesbisch, wer sich gar hat
       verpartnern lassen, darf gesetzeskonform gefeuert werden. Wer hingegen
       schweigt, darf bleiben: "Sprich nicht drüber" ist die übliche vatikanische
       Methode, um den Schmutz am eigenen Soutanensaum nicht zur Kenntnis nehmen
       zu müssen.
       
       So auch im Hinblick auf die eigene Priesterschaft, der früheren wie dem
       Nachwuchs. Es gibt für die Auswahl von Priesterkandidaten kein Kriterium,
       das fragt, ob einer nur deshalb das Zölibat leben möchte, weil er psychisch
       zu einem bürgerlichen Lebensentwurf als Homosexueller nicht fähig ist. Das
       meint: Kandidaten, die hastig in der schwulen Community flüchtigen Sex
       suchen, aber nicht als schwul gelten wollen, weil sie das für krank halten.
       In den Worten eines Priesters: "Das bisschen Wichsen hat noch niemand
       geschadet."
       
       Aus der jüngsten Geschichte der katholischen Beteiligung an den
       Erziehungsinstitutionen ist nur selten Gutes hervorzuheben: Die monströse
       Gewalt gegen Heimkinder in den Fünfziger- und Sechzigerjahren ging
       hauptsächlich von Priestern und Patern aus. Es waren hauptsächlich
       Christen, die die sadistischen Erziehungsregime begünstigten. Dabei nutzten
       sie, wie auch beim sexuellen Missbrauch, die Scham von Jungen aus, die, als
       Teil ihrer männlichen Identität, nicht anerkennen wollen, schwach und
       unterworfen gewesen zu sein.
       
       4 Feb 2010
       
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 (DIR) Jan Feddersen
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