# taz.de -- Debatte Steuerstreit: Sonderfall Schweiz
> Die Schweiz fürchtet um ihr Geschäftsmodell. Je größer der Druck, desto
> mehr wird das Bankgeheimnis zum Identitätskern des Landes verklärt.
Im Streit zwischen Deutschland und der Schweiz geht es nicht nur um
Steuern. Es geht auch nicht nur darum, ob ein Rechtsstaat Daten dubioser
Herkunft kaufen darf. In diesem Konflikt geht es vor allem um die letzten
Zuckungen eines immer auch kriminellen Geschäftsmodells, das den Tarnnamen
"Bankgeheimnis" trägt.
Gesetzlich fixiert wurde es 1934 im Schweizer Bankengesetz. Schon damals
versuchten um ihre Steuern betrogene Behörden in Frankreich und
Deutschland, über Kontakte zu schweizerischen Bankangestellten an
Informationen über "ihre" Steuerbetrüger heranzukommen. Darauf antwortet
der Artikel 47 des Bankengesetzes: Er unterstellt Bankiers und
Bankangestellte einer Schweigepflicht und bedroht jeden mit
Gefängnisstrafe, der die Geheimhaltung verletzt. Damit entstand ein
einzigartiges Delikt: Mit Strafe muss rechnen, wer über kriminelle
Tatbestände redet.
Solches Schweigen gehört auch zum Ehrenkodex der Mafia. Auf der
helvetischen Variante der omertà gründet das Geschäftsmodell
"Bankgeheimnis", an dem sich drei Partner beteiligten: Geldanleger aus
aller Welt, Schweizer Banken und als beider Schutzmacht die Schweizer
Regierung. Ob das Geld von Nazis, russischen Oligarchen, korrupten
Diktatoren, Drogen- und Waffenhändlern oder Steuerbetrügern stammte,
interessierte lange weder die Zürcher Banker noch die Berner Regierung. Für
die Banker wie für den Schweizer Fiskus lohnte sich das Schweigen: Nach
Angaben der Nationalbank lagerten 2009 in der Schweiz 2,374 Billionen
Franken auf Konten ausländischer Kunden.
Das Geschäftsmodell "Bankgeheimnis" machte die Schweiz für kriminelle
Transaktionen attraktiv. Es machte sie aber auch "fett und impotent", wie
der Zürcher Bankdirektor Hans J. Bär - nach seiner Pensionierung - sagte.
Erst 1990 wurde Geldwäsche in der Schweiz zum Straftatbestand erklärt. Seit
1989 gibt es ein Zinsbesteuerungsabkommen mit der EU, wonach Zinserträge
mit 20 Prozent besteuert werden, wovon die EU-Staaten nur drei Viertel
erhalten. Und erst im Nachhinein deklarierte man den Schutzschirm für
Steuerbetrüger zum Bankkundengeheimnis und behauptete, damit seien nach
1933 die jüdischen Vermögen vor dem Zugriff der Nazis geschützt worden.
Doch das ist nur eine patriotische Legende, um kriminelle Machenschaften
der Banken zu kaschieren, die gezielt Fluchtgelder aus aller Welt
akquirieren.
In spektakulären Einzelfällen war die Schweiz schon früher bereit, unter
Druck ihr Bankgeheimnis zu lockern - etwa bei den Milliarden, die der
Mobutu-Clan, der nigerianische Diktator Sani Abacha oder der Massenmörder
Charles Taylor aus Liberia in der Schweiz parkten. Doch je mehr die USA und
die EU in jüngster Zeit den Druck auf die Steuerfluchtburg verstärkten,
desto mehr wurde das Bankgeheimnis in der Schweiz nationalistisch überhöht
und zum Kern des Schweizertums, gleichsam zur Seele des Staates, verklärt.
Das politische Klima ist so verbiestert, dass sich die Schweizer Linke aus
Angst vor dem Vorwurf des Landesverrats nicht traut, das Bankgeheimnis als
Beihilfe zum kriminellen Betrug zu bezeichnen. Für das "Liberale Institut"
in Zürich, eine Propaganda-Agentur des Schweizertums und des
Neoliberalismus, ist das Bankgeheimnis ein "Ausdruck überlegener Moral" und
ein Schutz vor "der Unterwerfung des Individuums durch den Steuerstaat".
Ein Lautsprecher dieser Propaganda ist Roger Köppel, Besitzer der
Weltwoche. Mit dem Hinweis auf Traditionen, die angeblich seit dem
Mittelalter bestehen, reklamiert er eine Art Sonderstatus und eine
Überlegenheit der Schweiz gegenüber "gewöhnlichen" Rechtsstaaten, in denen
Bürger notorisch zu hoch besteuert und regelmäßig durch Kriege und
Inflation enteignet würden.
Diese historisch drapierte Ideologie des "Sonderfalls Schweiz" preist
Steuerbetrug als Medizin für den Rest der Welt. Sie gehört zum Kernbestand
der brachial-patriotischen Indoktrination an Deutschschweizer Schulen.
Tatsächlich gibt es die Schweiz als Staat erst seit 1848. Die früheren
"Staaten" waren mittelalterliche und frühneuzeitliche "Bünde" und lebten
vom Krieg - also davon, Bauern europaweit als Söldner auszuleihen. Die
Ideologie des "Sonderfalls Schweiz" ist eine Mischung aus national
kostümierter Selbstgerechtigkeit, Überheblichkeit und Doppelmoral. Daraus
destillieren die rechten Berufsschweizer der Weltwoche eine alpenländische
Form von Quasi-Rassismus, der auf der kruden Einbildung helvetischer
Besonderheit beruht und mit dem Ressentiments gegen Fremde mobilisiert
werden.
Mobilisiert werden diese Ressentiments auch durch die Schweizerische
Volkspartei (SVP) Christoph Blochers. Ziele ihrer quasi-rassistischen
Agitation waren zuerst "der" Islam und "die" Muslime in der Schweiz, die -
in der notorischen Anti-Minarett-Kampagne optisch als raketenartiges
Minarett und Frau im Tschador dargestellt - als nationale Gefahr beschworen
wurden. Mit den auf Schweizer Konten geparkten Petro-Dollars aus
Saudi-Arabien tat man sich dagegen nie so schwer.
Nach "dem" Islam richten sich die SVP und ihre medialen Gehilfen nun mit
einer Kampagne gegen "die" Deutschen, die angeblich das schweizerische
Bildungs- und Gesundheitswesen unterwandern, Schweizer von Arbeitsplätzen
verdrängen und obendrein für Wohnungsnot unter alteingesessenen Schweizern
sorgen.
Je mehr die Schweizer Banken wegen ihrer Beihilfe zum kriminellen
Steuerbetrug in den USA und in der EU unter Druck geraten, desto wilder
toben sich gebildete und ungebildete Schweizer in ihren heimischen Medien
und in Leserbriefen gegen Deutsche und andere Ausländer aus. Mit einer
menschen- und völkerrechtswidrigen "Ausschaffungsinitiative" möchte die SVP
Ausländer ausweisen, die mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind. Die
grobianische Botschaft lautet: Ausländer = Kriminelle.
Das ordinäre Schweizertum ist dabei, sich zu einer quasi-rassistisch
fundierten Überlegenheitsideologie zu radikalisieren. Doch das ist nur ein
Rückzugsgefecht. Denn mit dem Bankgeheimnis wankt die Ideologie des
Schweizertums. RUDOLF WALTHER
8 Feb 2010
## AUTOREN
(DIR) Rudolf Walther
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