# taz.de -- Live-Auftritt Jamie T.: Entfremdung in der Großstadt
       
       > Wo bleibt der Charme? Der britische Musiker Jamie T enttäuscht beim Start
       > seiner Deutschlandtour in Hamburg. In Punk-Beamtenmanier wird auch das
       > "Clash"-Cover runtergeschrubbt.
       
 (IMG) Bild: Das Bild wurde bei seiner ersten Deutschlandtour vor drei Jahren aufgenommen. "Damals" war natürlich alles besser.
       
       "Im Molotow vor drei Jahren war es viel geiler", sagt ein Besucher nach dem
       Konzert. Man hätte vor dem Set von Jamie T im Hamburger Grünspan, mit dem
       der Südwestlondoner am Sonntag seine Deutschlandtour startete, jede Wette
       abschließen können, dass sich jemanden findet, der so einen Kommentar
       abgibt. Jene, die sich für Trüffelschweine halten, rühmen sich ja gern
       dafür, dass sie "damals" - wann immer das auch war - den richtigen Riecher
       hatten.
       
       Vom engen Kellerclub Molotow ins ausverkaufte Grünspan vor 800 Leuten - das
       ist ein plausibler Sprung für den 24-Jährigen, der auf bisher zwei Alben
       bewiesen hat, dass sich HipHop und Billy Bragg unter einen Hut bringen
       lassen. Schließlich hat er es im Herbst mit "Kings & Queens", seiner
       aktuellen Platte, auf Platz zwei der britischen Charts geschafft, und auch
       in Deutschland gewinnt er langsam an Breitenwirkung.
       
       Und doch, der Auskenner, der Jamie T schon 2007 gesehen hat, lag nicht
       verkehrt mit seinem Urteil. Obwohl Jamie Treays mittlerweile ein Popstar
       ist, gehört er in kleine Clubs. Er ist ein unscheinbarer
       Lad-aus-der-Nachbarschaft-Typ, dem es - das zeigt sich an diesem Abend
       deutlich - für einen Auftritt auf größeren Bühnen noch an Präsenz mangelt.
       Teilweise sind die Fans von weither angereist, sogar aus England. Die
       Textsicherheit ist auch bei den einheimischen Anhängern beachtlich.
       Offensichtlich treffen Treays Lyrics über die Entfremdung in der Großstadt
       und Londons unwirtliche Winkel auch bei den 20- bis 35-Jährigen hierzulande
       einen Nerv.
       
       Schon nach wenigen Minuten des Konzerts wird klar, dass die Menge zur
       totalen Ekstase bereit ist, doch Treays und seine vier eher hausbacken
       agierenden Musiker sehen sich während des rund 100-minütigen Sets selten in
       der Lage, sich die im Raum vorhandene Energie zunutze zu machen. Es wirkt,
       als spielten sie mit angezogener Handbremse, wobei einiges zu dem Eindruck
       allerdings der Mann am Mischpult beiträgt, der nicht immer in der Lage ist,
       den kompletten Saal zu beschallen. Den ein oder anderen Höhepunkt
       verschenkt die Band, weil sie es nicht hinbekommt, das Ende eines Songs auf
       den Punkt zu bringen, beim Hit "Chaka Demus" zum Beispiel, den sie als
       zweite Zugabe spielen, stört das besonders, das Stück hört einfach
       irgendwie auf.
       
       Die Gruppe, die als Bezugsgröße für Jamie T immer wieder genannt wird, ist
       The Clash, und eigentlich ist es dann ein Zeichen von Souveränität, einfach
       mal einen Clash-Song zu covern, nicht mit großer Geste im Zugabenteil,
       sondern mitten im Set. Es wirkt dann aber leider sehr uncool, wie Treays
       und Co. in Punk-Beamtenmanier den Klassiker "1977" runterschrubben, und man
       fragt sich schon fast verzweifelt, ob man da eine Metaebene übersehen hat.
       Das brave Bekenntnis zur ganz alten Punk-Schule wird im Übrigen
       konterkariert durch rockistische Gesten ("Are you ready?"-Rufe, beim
       Gitarrespielen das Instrument hinter den Kopf halten). Die
       Stadionrock-Atmosphäre bei dem Song "Earth, Wind & Fire", der schon auf
       Tonträger ein bisschen zu sehr nach U2 klingt, wirkt live besonders
       fragwürdig und ist mit dem Ethos des frühen Punk kaum vereinbar.
       
       Irritierend ist vor allem, dass Jamie T live so verdammt unfunky klingt.
       Trotz Ska-Elementen und reggaefizierter Rhythmusgruppenarbeit, trotz
       Rap-Passagen - von Blackness jeglicher Art ist nichts zu spüren. Von dem
       Charme und der Reichhaltigkeit, die die Songs auf seinen Alben auszeichnen,
       bleibt wenig übrig. Es dominiert letztlich netter, konventioneller Pop-Punk
       - und das ist angesichts des Potenzials des britischen Künstlers
       unbefriedigend.
       
       16 Feb 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) René Martens
       
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