# taz.de -- Weltklimarat unter Druck: Rücktritt des IPCC-Chefs gefordert
       
       > Die Glaubwürdigkeit des Weltklimarates ist in Gefahr. IPCC-Chef Pachauri
       > soll zurücktreten, fordern Klimaforscher. Grund sind Fehler im letzten
       > Bericht des Rates.
       
 (IMG) Bild: Rajendra Pachauri hat arrogant und pampig auf die Kritik an den Weltklimarat reagiert. Jetzt soll er zurückzutreten.
       
       BERLIN taz | Ausgerechnet am Valentinstag, dem Tag der Liebenden, starteten
       sie ihren Gegenangriff. Die elf Wissenschaftler, die in dem renommierten
       Blog [1][RealClimate] allgemeinverständlich über neue Erkenntnisse der
       Klimaforschung berichten und debattieren, hatten offenbar die Nase voll.
       Seit Wochen sind sie und ihre Kollegen, die den jüngsten Bericht des
       Weltklimarats IPCC verfasst haben unter Beschuss. Es sind nur kleine
       Pfeile, die ihre Gegner öffentlich auf sie richten, aber sie treffen den
       IPCC und damit die gesamte Klimaforschung dahinter immer wieder an einer
       empfindlichen Stelle: der Glaubwürdigkeit. Deshalb regieren nun die
       Klimawissenschaftler auf jeden einzelnen in den vergangenen Wochen
       veröffentlichten Fehlervorwurf und wollen so den "interessierten Parteien,
       die ein Interesse an der Diskreditierung der Klimawissenschaft haben" etwas
       entgegensetzen.
       
       Damit beginnt eine neue Runde in einem Streit, der seit Ende Januar über
       die Medien ausgetragen wird. Vordergründig geht es um tatsächliche oder
       vermeintliche Fehler im aktuellen Sachstandsbericht des IPCC.
       
       Das Gremium trägt in regelmäßigen Abständen zusammen, was die führenden
       Wissenschaftler unterschiedlichster Disziplinen zum Klimawandel wissen. Und
       weil das die Basis für die Klimaverhandlungen auf der großen politischen
       Bühne bildet, geht es bei diesem Streit um mehr, als um Zahlendreher und
       Quellenfragen. Es geht um die Legitimation einer Politik, die Wirtschaft
       und Bürgern mit Verweis auf den Klimaschutz Verzicht und strukturellen
       Wandel abverlangt. Und es geht um die Frage, ob der IPCC diese Aufgabe noch
       erfüllen kann, ob er reformiert werden oder gar ersetzt werden muss.
       
       Denn das Krisenmanagement des IPCC und seines Vorsitzenden Rajendra
       Pachauri sind umstritten. So ließ er sich mehrere Tage Zeit, bis er Ende
       Januar auf die Vorwürfe der britischen Tageszeitung Times reagierte, die
       über den peinlichen Zahlendreher bei der Prognose zu den
       Himalaja-Gletschern genussvoll berichtet hatte.
       
       Und auch als deren Wissenschaftsredakteur Jonathan Leake immer wieder
       nachlegte, begnügte sich der IPCC mit einer einzigen Entgegnung und
       veröffentlichte dann noch ein längliches Statement über die Prinzipien
       seiner Arbeit. Statt sachlich und direkt zu kontern, weist Pachauri lieber
       auf die "organisierte Lobby" von Klimaskeptikern und Wirtschaftszweigen,
       die um ihren Profit fürchten.
       
       "Jeder, der sieht, dass Aktivitäten gegen den Klimawandel seinen Profit
       verringern werden, wird augenscheinlich gegen die Klimaforschung sein",
       sagte Pachauri kürzlich [2][in einem auf YouTube abgelegten Interview].
       Leake und die Times gehörten zu dieser Lobby, die er mit der Tabakindustrie
       und ihren Desinformationskampagnen vergleicht. Konkrete Belege dafür
       lieferte er jedoch nicht.
       
       Und so gehen seine Verweise auf die mächtige Industrielobby nach hinten
       los, zumal Pachauris Kritiker ihm derzeit wieder seine schon lange
       bestehenden Beraterverträge mit Firmen wie Toyota und der Deutschen Bank um
       die Ohren hauen. Die Einnahmen daraus gingen alle an das indische
       Teri-Institut, dessen Präsident er ist, verteidigt sich Pachauri. Dass das
       Teri-Institut allerdings 1974 von dem indischen Industriellen Jehangir
       Ratanji Dadabhoy Tata gegründet wurde und Firmen wie BP, Coca-Cola,
       Oil-India und Tata-Chemicals gesponsort wird, stärkt Pachauris
       Argumentation jedoch nicht.
       
       Sein Krisenmanagement ist so schlecht, dass er gehen müsste, sagen viele
       Klimawissenschaftler - auch wenn nur wenige so drastisch Worte wählen wie
       der für solche bekannte Hans von Storch, Leiter des Instituts für
       Küstenforschung am GKSS-Forschungszentrum in Geesthacht. "Pachauri hat zu
       langsam reagiert und ist pampig und arrogant mit Kritik umgegangen", sagte
       er der taz. "Damit erzeugt er den Eindruck, als sei der IPCC ein arroganter
       Sauhaufen, der auf Kritik nicht reagiert." Auch der Direktor des Potsdamer
       Instituts für Klimaforschung (PIK), Hans Joachim Schellnhuber, oder der
       renommiere Klimaforscher Hartmut Grassl legen Pachauri den Rücktritt nahe.
       
       Andere halten das nicht für nötig, wie zum Beispiel der Klimaökonom Ottmar
       Edenhofer. Doch auch er sieht die Notwendigkeit einer Debatte beim IPCC,
       die "schmerzhaft, aber dennoch notwendig und nützlich ist". Deshalb solle
       ein unabhängiges Beratergremium die Verfahren des Weltklimarats auf den
       Prüfstand stellen. Edenhofer ist verantwortlich für den dritten Teil des
       kommenden fünften Bericht, der 2014 vorgelegt werden soll.
       
       Auch im Wissenschaftsmagazin Nature haben sich Autoren früherer
       IPCC-Berichte Gedanken um die Zukunft des Weltklimarats gemacht. Der IPCC
       brauche eine komplette Überholung, sagte zum Beispiel Mike Hulme von der
       East-Anglia Universität in Norwich und schlägt dann die Zerschlagung des
       Gremiums in drei unabhängig voneinander arbeitenden Panels vor.
       
       Eduardo Zorita von der GKSS in Geesthacht vergleicht die Vertrauenskrise
       des IPCC mit der der Banken nach der Finanzkrise und fordert eine
       unabhängige Klimaagentur nach dem Vorbild der Internationalen
       Atomenergiebehörde. Am weitesten geht wohl John Christy von der Universität
       Alabama, dem eine von den jeweiligen Experten moderiertes Klima-Wikipedia
       vorschwebt, das nicht mehr unter dem Dach der UN arbeitet. So sollen auch
       Minderheitenmeinung stärker Gehör finden.
       
       Für den Potsdamer Klima- und Meeresforscher Stefan Rahmstorf, Mitautor des
       ersten Teilberichts, sind das keine Lösungen. Im Gegenteil: "Eine
       behördenähnliche Struktur bedroht den hohen wissenschaftlichen Standard der
       IPCC-Berichte, bei denen jeweils die besten Forscher weltweit mitarbeiten",
       sagte er der taz. Und auch für eine Wikipedisierung hat Rahmstorf keine
       Sympathie, da auch bereits jetzt abweichende Meinung berücksichtigt würden
       - "wenn sie wissenschaftlich relevant sind".
       
       Rahmstorf spricht sich stattdessen für ein besser koordiniertes
       Überprüfungsverfahren während der Erstellung des Berichts aus. So kamen
       zwar beim letzten Mal über 90.000 Kommentare von Experten zusammen. Doch es
       gibt kein Regularium, dass gewährleistet, dass ein Gletscherforscher aus
       dem ersten Teil die Aussagen der Ökologen zu den Himalaja-Gletschern im
       zweiten Teil überprüft hätten.
       
       Neben Pachauris Management und der Einhaltung von Qualitätsstandards steht
       aber noch eine grundsätzlichere Frage im Raum, nämlich die enge Verbindung
       des IPCC und der Politik. So fordert zum Beispiel von Storch, dass
       "wirtschaftliche und politische Partikularinteressen" aus dem
       Bewertungsprozess des Wissens "strikt herausgehalten" werden sollen.
       Publikationen von Firmen und NGOs hätten in so einem Wissenkorpus ebenso
       wenig etwas zu suchen, wie die Vertreter solcher Einrichtungen bei der
       Wissensbewertung.
       
       Auch Schellnhuber verwies in einem Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung
       darauf, dass die führenden Mitglieder und auch die Autoren der einzelnen
       Kapitel nicht strikt nach wissenschaftlicher Kompetenz ausgewählt würden,
       sondern in einem von der Politik mitbestimmten Prozess. Die Nähe zur
       Politik sei zwar gut gemeint sei und die Bereitschaft der Regierungen
       stärken solle, sich zum Inhalt der IPCC-Berichte zu bekennen. "Aber mit
       diesem Verfahren kommen nicht immer die besten Forscher zum Einsatz."
       
       Zukünftig sollte der IPCC sich nicht mehr als zwischenstaatliches Gremium
       aufstellen, sondern unter die Schirmherrschaft der nationalen
       Wissenschaftsakademien begeben, so Schellnhuber. "Ich glaube nicht, dass
       das Produkt besser wird, wenn Regierungsvertreter von Venezuela oder Kuwait
       über die Schulter schauen."
       
       19 Feb 2010
       
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 (DIR) [2] http://www.youtube.com/watch?v=ge2behfkn4I
       
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