# taz.de -- Hamburgs SPD-Chef über die Schulreform: "Die Gesellschaft driftet auseinander"
       
       > Olaf Scholz will die SPD wieder an die Regierung bringen. Erster Schritt
       > in Hamburg: Die schwarz-grüne Schulreform retten. Anders als sein
       > Parteifreund Müntefering hält er Opposition jedoch nicht für Mist.
       
 (IMG) Bild: "Zweitens ist für uns wichtig, dass die Primarschule um ein Vielfaches besser wird als die heutigen Grundschulen": Einschulung von Erstklässlern in Hamburg.
       
       taz: Herr Scholz, wie fühlt man sich auf dem Misthaufen? 
       
       Olaf Scholz: Wie meinen?
       
       Ihre neue Funktion. Opposition ist Mist, pflegte Franz Müntefering zu sagen
       … 
       
       … was soll das, vergangenen Zeiten nachzutrauern? Opposition geht auch,
       ohne sie funktioniert keine Demokratie. Regieren ist natürlich besser.
       
       Muss man sich als Exbundesminister in der Hamburger Opposition nicht arg
       verrenken? 
       
       Man muss seine neue Rolle annehmen und die Programmatik festigen.
       
       Gar nicht so leicht. Die Haltung der Hamburger SPD bei der großen
       Schulreform jedenfalls ist unübersichtlich - vorsichtig ausgedrückt. 
       
       Wir sind dabei, mit dem Senat eine Schulreform auszuhandeln, die überzeugt.
       Sie muss so gut sein, dass die Hamburger ihre Kinder unbesorgt auf die
       nächstgelegene Schule schicken mögen.
       
       Herr Scholz, warum ist die Schulreform so wichtig? 
       
       Eines steht fest: Wir brauchen eine Schulreform! Es geht um den sozialen
       Zusammenhalt. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass die soziale Segregation
       viel weiter fortgeschritten ist als vor 10, 20 oder 30 Jahren. Hamburg ist
       dabei auseinanderzudriften - und buchstäblich auseinanderzuziehen.
       
       Wir fragen uns, warum Sie dann so viel taktieren. Teile Ihrer Partei
       agitieren aufseiten der Gegner, einer Initiative elitärer Anwälte und
       Medienprofis. Und Sie als Partei sind für eine längere gemeinsame Schulzeit
       - aber gegen die sechsjährige Primarschule. Wie geht das? 
       
       Es gibt keine Beschlüsse der Hamburger SPD, die sich prinzipiell gegen
       längeres gemeinsames Lernen richten. Wohl aber Skepsis hinsichtlich der
       konkreten Reformpläne. Eine weitreichende Reform braucht viel öffentliche
       Zustimmung. Da geht es um die Zustimmung des Lagerarbeiters und der
       Lidl-Verkäuferin, die das beste für ihr Kind wollen.
       
       Mit welchen Änderungen wollen Sie diese Zustimmung bekommen? 
       
       Die Eltern müssen selbst entscheiden, ob ihr Kind aufs Gymnasium geht oder
       nicht. Das Elternwahlrecht nicht anzutasten ist daher elementar. Zweitens
       ist für uns wichtig, dass die Primarschule um ein Vielfaches besser wird
       als die heutigen Grundschulen. Und die Bürger müssen das auch glauben
       können! Wir brauchen zum Beispiel eine bessere Lehrer-Schüler-Relation, da
       ist für mich beinahe jeder finanzielle Aufwand gerechtfertigt. Und drittens
       halten wir das Hamburger Büchergeld schon immer für eine Gemeinheit.
       
       Was ist an Ihrer Variante der Schulreform eigentlich anders? 
       
       Der Senat hat den wichtigen Reformteil der weiterführenden Schulen einfach
       nicht gut umgesetzt. Wir Sozialdemokraten wollen, dass wirklich jede
       Stadtteilschule ein Abitur ermöglicht - und das nicht nur auf dem Papier.
       Jeder junge Hamburger, jede junge Hamburgerin soll künftig als
       Basisqualifikation einen Schulabschluss mit Berufsausbildung oder das
       Abitur erreichen.
       
       Als Basisqualifikation? Davon ist Hamburg weit entfernt. 
       
       Ich nenne es ein Staatsversagen, dass es nicht gelingt, jeden Schüler zur
       Ausbildungsreife zu bringen.
       
       Hamburgs SPD war 40 Jahre lang Teil dieses Staatsversagens. Warum hat sich
       die SPD in ihrer Regierungszeit nicht dagegen gewehrt? 
       
       Unsere Regierungszeit hat insgesamt eine positive Bilanz. Der soziale
       Zusammenhalt war gut. Dass Hamburg früher ein Ansehen hatte als
       wirtschaftlich starke, liberale und soziale Stadt, hatte ganz viel mit
       sozialdemokratischer Politik zu tun. Ich würde mich aber auch nicht
       hinstellen und sagen: Wir haben alles richtig gemacht. Das wäre ja
       lächerlich.
       
       Stimmt. Immerhin hat das Bundesverfassungsgericht gerade eine
       Hartz-IV-Reform als verfassungswidrig abgestempelt, die Sie durchgesetzt
       haben. Ihre Partei und Sie persönlich. 
       
       Karlsruhe hat zunächst einmal Roland Koch und Guido Westerwelle
       widersprochen.
       
       Wie das? 
       
       Es hat ausdrücklich ausgeschlossen, dass man Arbeitslose durch das Absenken
       der Regelsätze motivieren kann. Das ist eine Ohrfeige für Koch und
       Westerwelle - die wollen das nämlich. Und zwar schon immer.
       
       Und Sie meinen, dass die SPD bei Hartz IV alles richtig gemacht hat? 
       
       Keineswegs. Aber nehmen Sie zur Kenntnis, dass der Kern der Reform der
       Arbeitsvermittlung bestätigt wurde. Die Zusammenlegung von Arbeitslosen-
       und Sozialhilfe war richtig. Auch die Arbeitsvermittlung für
       Langzeitarbeitslose. Jahrzehntelang hatte das niemand gemacht. Wir haben
       dafür gesorgt.
       
       Wenn Sie so stolz sind auf die eigenen Reformen, warum bestehen dann
       programmatische Neuerungen vor allem aus einem Zurück? Etwa wenn die SPD
       die Rente mit 67 abschaffen und die Bezugsdauer des Arbeitslosengelds
       verlängern will. 
       
       Selbstverständlich diskutieren wir über diese Fragen, wenn auch nicht nur.
       Nur wenn man kritisch hinterfragt, was richtig und was falsch gelaufen ist,
       kommt man inhaltlich weiter.
       
       Gewinnt die SPD so verloren gegangene Glaubwürdigkeit zurück? 
       
       Natürlich haben wir ein Glaubwürdigkeitsproblem. Und wir müssen Vertrauen
       zurückgewinnen. Aber das geht nur, wenn wir sorgfältig diskutieren und
       nicht jeden Tag neue Sachen fordern. Das überlassen wir Horst Seehofer.
       Vertrauen entsteht dadurch, dass sich die Bürger sicher sind, woran sie mit
       uns sind.
       
       Im Bund sind Sie in einer unbequemen Lage. Mit wem will die SPD eine
       Koalition bilden? 
       
       Am liebsten regierten wir alleine.
       
       Aha. Wie Sie vielleicht gemerkt haben, geht das ja nicht mehr. 
       
       Deutschland braucht eine Entspannung in der Diskussion um Koalitionsfragen.
       Wir sollten uns kümmern, worum es wirklich geht. Wir müssen
       gesellschaftliche Debatten führen - daraus ergeben sich dann auch
       Koalitionen. In Fünf-Parteien-Parlamenten führt diese Diskussion ohnehin
       selten zu vernünftigen Antworten.
       
       In Nordrhein-Westfalen wird im Mai gewählt, die SPD steckt in der Klemme.
       Sie brauchen die Linkspartei, wenn Sie regieren wollen. Am liebsten würden
       Sie sie aber endlich loswerden? 
       
       Niemand braucht für eine Regierungswechsel die Partei Die Linke. Ich möchte
       eine rot-grüne Regierung unter Hannelore Kraft. Im Moment fangen doch alle
       in der FDP und CDU an zu zittern. Rot-Grün ist eine echte Option. Wir sind
       auf einem guten Weg.
       
       Haben Sie Angst vor mehr und mehr Regierungen aus CDU und Grünen? 
       
       Die Grünen sind nicht Fleisch vom Fleische der SPD. Wir dürfen mit anderen
       Parteien regieren, die Grünen dürfen das auch. Aber SPD und Grüne haben die
       größten inhaltlichen Überschneidungen.
       
       Die Bundesregierung zerlegt sich im Moment eigenhändig, die allgemeine
       Stimmung ist nach der Finanzkrise linker als noch vor einigen Jahren. Warum
       profitiert die SPD so wenig davon? 
       
       Ich rate allen, die Bürger ernst zu nehmen. Es ist ja kein Zufall, dass
       viele die SPD nicht gewählt haben, die im Prinzip eine Affinität zur
       sozialdemokratischen Partei haben. Dem ist oftmals eine langwierige
       Entscheidung vorausgegangen. Es wäre überheblich von uns zu erwarten, dass
       diese Entscheidung sofort wieder rückgängig gemacht wird.
       
       Noch mal zurück nach Hamburg: Wenn Schwarz-Grün gemeinsam mit dem
       Volksentscheid untergeht, dann kommt bei Ihnen doch klammheimliche Freude
       auf. 
       
       Wir sprechen gerade mit Schwarz-Grün. Wenn wir - wonach es ja aussieht -
       uns einigen, dann wollen wir auch den Erfolg beim Volksentscheid für die
       Schulreform inklusive Primarschule. Am Dienstag will ich einen guten
       Vertrag unterschreiben.
       
       Was ist ein guter Vertrag? 
       
       Meine Vorstellung ist, dass die Parteien, Regierung und Opposition, sich
       verpflichten, bei der Schulstruktur zusammenzuarbeiten. Und daran für zehn
       Jahre festzuhalten. Dann haben wir bewiesen, dass Opposition sogar sehr gut
       geht.
       
       22 Feb 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Füller
 (DIR) Gordon Repinski
       
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