# taz.de -- 1 Jahr Einsturz Kölner Stadtarchiv: Das größte Puzzle der Welt
       
       > Vor einem Jahr stürzte das Stadtarchiv Köln ein. Die Stadt stellt den
       > Schadenersatz für die Restaurierung zur Verfügung. Erste Erfolge der
       > Rettung sind ab Freitag im Berliner Martin-Gropius-Bau zu besichtigen.
       
 (IMG) Bild: Bei dem Einsturz wurden viele Archivalien zerstört – einige konnten jedoch auch gerettet werden.
       
       Fast komplett versank vor einem Jahr das Historische Archiv der Stadt Köln
       in einer Baugrube der U-Bahn. Dem größten Kulturschaden in Deutschland seit
       dem Ende des Zweiten Weltkriegs widmet sich in Berlin eine Ausstellung im
       Martin-Gropius-Bau, die am Freitag eröffnet wird. Die zerfetzten
       Archivalien in den Vitrinen lassen ahnen, warum die Kosten allein für die
       Wiederherstellung des Schriftgutes bei 300 bis 350 Millionen Euro liegen.
       
       Mit vergleichsweise geringen 5 Millionen Euro, wünschte die Stadt Köln,
       sollte sich nun das Land Nordrhein-Westfalen an einer Stiftung beteiligen,
       die die Restaurierung der Kölner Archivalien finanziert. Eine weitere
       Million Euro soll vom Bund kommen - so billig kann die Erfüllung einer
       "nationalen Aufgabe" sein.
       
       Mit eigenen fünf Millionen Euro wollte die Stadt Köln den Grundstock für
       diese Stiftung legen und mit den Zuschüssen von Land und Bund eine
       Einrichtung gründen, die Geldgeber wie Kirchen, Banken und Privatleute
       anziehen soll. Aber letzte Woche stieg das Land aus. "Unverantwortlich"
       nannte CDU-Kulturstaatssekretär Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff eine
       Beteiligung an der Stiftung nach derzeitigem Stand. Im Windschatten
       Düsseldorfs folgte auch Kulturstaatsminister Bernd Neumann in Berlin.
       
       Denn die städtische Kämmerei plante offenbar, den Schadenersatz von 60
       Millionen Euro, den sie im Dezember von der Provinzialversicherung für den
       Einsturz erhalten hatte, in den allgemeinen Haushalt einzustellen.
       Offiziell zwar, um damit Kosten durch das Unglück zu decken, aber faktisch,
       um Haushaltslöcher zu stopfen - so FDP-Ratsherr Volker Goerzel, dessen
       Fraktion, wie er sagt, dieses Vorhaben aus Kreisen der Verwaltung gesteckt
       worden war. Nur die 5 Millionen für die Stiftung sollte zweckgebunden den
       Archivalien zugute kommen.
       
       Ein hoher, an den Verhandlungen mit dem Land beteiligter Verwaltungsbeamter
       bestätigte diese Absicht gegenüber der taz: Tatsächlich seien der
       Gesamtbetrag durch die bisher entstandenen Kosten und einige vom Stadtrat
       beschlossene Festlegungen, die bis 2013 reichen, "aufgezehrt". Dazu passt,
       dass Stadtdirektor Guido Kaulen erst einmal alleine die Stiftung gründen
       wollte, an der sich dann andere später beteiligen könnten. Kulturdezernent
       Georg Quander forderte hingegen, von vornherein mit anderen Geldgebern an
       den Start zu gehen. Und die Zahlung der Provinzial wollte er in die
       Stiftung eingebracht sehen, um sie vor den Begehrlichkeiten der kommunalen
       Haushaltspolitiker zu schützen. "Eine stadtinterne Diskussion" nennt
       Quander das Problem vorsichtig.
       
       "Nationale Aufgabe" 
       
       Am heutigen Mittwoch erläutern Quander und Archivleiterin Bettina
       Schmidt-Czaia dem Kulturausschuss des Bundestages die Lage. Ungemach droht
       nicht, die Abgeordneten sind der Stiftung gewogen.
       
       Selbst eingefleischte Föderalisten - Kulturpolitik ist in Deutschland
       zunächst Ländersache - akzeptieren die "nationale Aufgabe." Denn die
       gemeinsame Stiftung wird offiziell nicht mit der Größe des Schadens,
       sondern mit der Bedeutung des Schriftguts begründet. Die Urkunden und Akten
       greifen weit in den Hanseraum, nach Norddeutschland, in die heutige
       Niederlande und nach Belgien aus. Viele der Kölner Handschriften gehören
       zur deutschen und europäischen Geistesgeschichte. Und Nachlässe wie die des
       Komponisten Jacques Offenbach, von Bundeskanzler Konrad Adenauer und
       Literaturnobelträger Heinrich Böll unterstreichen den überlokalen Aspekt.
       
       Solche Stücke, insgesamt rund einhundert, zeigt ab Freitag die Ausstellung
       "Köln in Berlin" im Martin-Gropius-Bau - in restauriertem wie
       unrestauriertem Zustand. Die Initiative für die Schau ging von den
       bundeseigenen Berliner Festspielen aus, die passend zum Jahrestag des
       Einsturzes den Platz zur Verfügung stellten und die Vorbereitung
       übernahmen. Kurator Max Plassmann vom Historischen Archiv räumt ein, kaum
       Zeit für die Konzeption gehabt zu haben, und man mag es ihm nicht verargen.
       So wirkt die Ausstellung etwas hastig und nach dem für
       Archivalienausstellungen noch immer üblichen Schatzkammerprinzip
       zusammengestellt: Prachtstücke in Vitrinen. Nur dass diesmal die
       Prachtstücke in üblem Zustand zu sehen sind.
       
       Schock und Rettung 
       
       Nur mit Fotos dargestellt ist die Rettung des Schriftguts aus Schlamm und
       Schutt, der Transport der Akten in den unter Helfern legendären blauen
       Plastikwannen oder die Bereitstellung von nassen, verpilzten und
       zerrissenen Archivalien in Gitterboxen zum Schockfrosten. Wer schockiert
       ist, wie furchtbar jetzt manche Schriftstücke aussehen, kann versichert
       sein: In Wirklichkeit ist alles noch viel schlimmer.
       
       Denn das schiere Ausmaß des Schadens kann die Ausstellung nicht vermitteln.
       Noch liegen geschätzte dreieinhalb Regalkilometer Schriftgut in Schlamm und
       Grundwasser der Grube - das ist der Inhalt von etwa 28.000 der
       archivüblichen, etwa schuhkartongroßen Pappschachteln. Vom geretteten
       Archivgut ist ein Drittel so stark beschädigt, dass es Informationsverluste
       aufweist; auf 6.300 Jahre schätzt Restauratorin Nadine Thiel den
       Arbeitsbedarf.
       
       In insgesamt 19 Ausweichquartieren liegt der größte Teil der Überlieferung
       ungeordnet in 150.000 Kartons. 15 Archivarinnen und Archivare werden drei
       bis fünf Jahre brauchen, bis sie jeden Karton geöffnet haben, um die
       Schäden festzustellen und mit einem Barcode-System den Inhalt wiederfindbar
       zu machen. Rund sieben Millionen "Kölnflocken", jene Fetzen, von
       Gesteinstrümmern und Metallstreben aus Akten und Büchern herausgerissen,
       sind jetzt nicht mehr zuzuordnen. In Münster haben Fachleute innerhalb des
       letzten Jahres 109 Gitterboxen voll Nassgut aus Köln gefriergetrocknet -
       aber es warten noch weitere 450.
       
       Angesichts täglich neuer Enthüllungen über den Pfusch am Bau kann die
       Ausstellung nichts über die Ursachen des Einsturzes zeigen. Der Akzent
       liegt auf dem Erhaltenen, auf dem Erreichten und Erreichbaren. Der
       Historiker Frank Möller wirft der Archivleiterin Schmidt-Czaia deswegen
       vor, den in Köln gerne geglaubten Mythos zu fördern, dass alles schon nicht
       so schlimm sei.
       
       Doch immerhin: Der Neubau des Stadtarchivs ist beschlossen und soll in
       spätestens fünf Jahren bezugsfertig sein. Bis dahin müssen die zueinander
       gehörigen Bestände in den 19 "Asylarchiven" erfasst sein, um nicht nur
       virtuell, sondern auch physisch vereint zu werden. Der Stadtrat hat die
       Belegschaft von 38 auf 76 Beschäftigte verdoppelt. Werkstätten für die
       neuen Restauratoren werden eingerichtet. Und 40 Prozent der 6.400
       Mikrofilme, die auf zehn Millionen Bildern die nahezu kompletten Bestände
       des Stadtarchivs Köln vor 1815 dokumentieren, sind jetzt digitalisiert und
       sollen noch in der ersten Jahreshälfte 2010 online gehen.
       
       Fragmente scannen 
       
       Für einen kleinen Teil der sieben Millionen Köln-Flocken gibt es Hoffnung.
       Noch ist nicht absehbar, ob das Fraunhofer-Institut in Berlin, das für die
       Birthler-Behörde an der digitalen Rekonstruktion zerrissener Stasi-Akten
       sitzt, seine aufwändige Bilderkennungstechnik auch für die Schnipsel
       verwenden kann.
       
       Doch für Köln geht es vielleicht auch einfacher: Ist ein Fragment gescannt,
       kann ein Rechner das Schriftbild mit dem der digitalisierten Mikrofilme
       vergleichen und dem Schnipsel die passende Archivalie zuweisen - die, um
       restauriert zu werden, nur noch in den Kartons gefunden werden muss. Im
       besten Fall gilt dies für 35.000 Schnipsel, die aus insgesamt zehn
       Millionen Blatt Papier stammen - 5 Prozent des Gesamtbestands.
       
       Ob Schmidt-Czaia durch ein weniger konziliantes Auftreten gegenüber der
       Stadt näher an die Millionen der Provinzial herangekommen wäre, ist
       unsicher. Ursprünglich sollte zur Eröffnung der Ausstellung auch die
       Stiftung stehen. Um bis Freitag wenigstens mit einer gemeinsamen
       Absichtserklärung aufwarten zu können und sich gegenüber dem Bund nicht zu
       blamieren, verhandelten Köln und Düsseldorf in den letzten Tagen um einen
       Kompromiss.
       
       Der war am Dienstag erreicht: Das Land gibt jetzt eine Million Euro in die
       Stiftung. Im Gegenzug versicherte die Stadt Köln, dass insgesamt 63,1
       Millionen Euro unmittelbar in die Rettung und Restaurierung des Archivguts
       fließen - ein Durchbruch, der die Finanzierung über Jahre hinweg sichert.
       Der Schadenersatz bleibt zwar im Haushalt stehen, wird aber nach und nach
       an die Stiftung ausgezahlt. "Das wurde sehr transparent aufgezeigt", war
       dazu in Düsseldorf zu hören. Vielleicht könne man den Landesbeitrag in den
       nächsten Jahren noch aufstocken. "Lippenbekenntnisse!", hieß es dazu prompt
       in Köln.
       
       Köln in Berlin. Nach dem Einsturz: Das historische Archiv. Ausstellung im
       Martin-Gropius-Bau, Berlin. Vom 6. März bis 11. April
       
       2 Mar 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dietmar Bartz
 (DIR) Dietmar Bartz
       
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 (DIR) Pfusch am Bau und kölscher Klüngel: Das Loch von Köln
       
       Neun Jahre ist es her, da versank das Stadtarchiv der Domstadt in einer
       U-Bahn-Baugrube. Nun beginnt der Prozess.
       
 (DIR) Pfusch beim U-Bahn-Bau: Kölner Klüngel
       
       Weil bei Planung und Bau geschlampt wurde, muss in Köln jetzt eine riesige
       U-Bahn-Grube geflutet werden. Die Wände sind nicht stabil genug.
       
 (DIR) Kölner Stadtarchiv: Zu wenig Stahlbügel verbaut
       
       Der U-Bahn-Bau allein ist nicht die Ursache für den Einsturz des Archivs.
       Beim U-Bahn-Bau wurden Unterlagen gefälscht. Es fehlen Stahlbügel, man
       vermutet Diebstahl durch Arbeiter.
       
 (DIR) Kommentar Kölner Stadtarchiv: Skandal ohne Ende
       
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       deutlich gelitten zu haben.
       
 (DIR) Betroffene des Kölner Archiveinsturzes: Das Geisterhaus
       
       Vor vier Monaten stürzte in Köln das Stadtarchiv ein. 2 Menschen starben,
       36 verloren ihre Wohnungen, viele davon, fast alles was sie besaßen. Eine
       Geschichte vom Ende und vom Neuanfang.