# taz.de -- Raabs "Unser Star für Oslo": Studienrat der Popmusik
       
       > Handwerk statt Ekstase: Stefan Raabs "Unser Star für Oslo" ist kein
       > Entblößungsprogramm auf dem popmusikalischen Catwalk, sondern eine
       > Leistungsschau von Talenten.
       
 (IMG) Bild: Raab war habituell niemals in der gleichen Klasse wie Dieter Bohlen.
       
       Die absoluten Zahlen geben ihm Recht. Mehr als zwei Millionen Menschen, vor
       allem jüngere, schauten vorigen Dienstag bei der fünften Vorrunde für
       "Unser Star für Oslo" zu. Fast zweieinhalb Stunden buhlten sechs
       KandidatInnen um die Gunst von Stefan Raab und seinen JurorInnen. Jeder der
       AspirantInnen konnte sich, wie in den anderen Runden, ein Lied nach eigenem
       Geschmack aussuchen, um sich für das Ticket zum Eurovision Song Contest
       (ESC) zu empfehlen. Beim Voting, das das Publikum via SMS oder Telefonanruf
       allein entscheidet, hatten Lena Meyer-Landrut, Christian Durstewitz,
       Sharyhan Osman, Kerstin Freking und Jennifer Braun die Nasen vorn, aus dem
       Rennen fiel Leon.
       
       Die Pointe: Belohnt wurden bislang nicht Performances, die den
       überkandidelnden Ansprüchen eines Dieter Bohlen, Präzeptor bei
       Deutschland-sucht-den-Superstar, genügen, sondern dem ästhetischen, vor
       allem musikhandwerklichen Niveau, das ein Stefan Raab souffliert. Raab ist
       der Meister dieser Show, die in Kooperation mit der ARD aus der Taufe
       gehoben wurde - die ARD hat die Lizenz, den ESC für Deutschland zu
       beliefern, Raab die Kredibilität, um jenseits vom Schlagerdumpf, aber auch
       weit außerhalb trashiger Zumutungen wie bei DSDS Marken zu setzen.
       
       Was den Unterschied ausmacht zum DSDS-Format, ist freilich nicht allein das
       vollkommene Fehlen von proletarischem Prekariatsflair. Bei USFO sind es
       astrein freundlich funktionierende Mittelschichtskinder mit Abiturappeal,
       die um Erfolg buhlen. Lena Meyer-Landrut klingt nicht nur wie ein
       Sprössling aus besseren Kreisen, sie ist auch einer; Christian Durstewitz
       ist astrein clubkompatibel und somit zugleich ungeeignet, die Krawall- und
       Last-Chance-Anmutung eines Bohlen zu bedienen. Bei USFO dominiert ein
       Popmodell, das bildungsbürgerliche Kenntnis bis in die abseitigsten Zweige
       der zeitgenössischen Unterhaltungsmusik verlangt, bei DSDS sind es
       Klassiker aus dem Musical- und Schmetterpopgewerbe, die die KandidatInnen
       bevorzugen, gern Whitney-Houston-Material oder solches von Robbie Williams.
       
       Jener, der die KandidatInnen bei USFO nobilitiert, ist Stefan Raab - und in
       dieser Show, als eine Art Studienrat moderner Musik, glänzt er wie nie. Er
       rezensiert, als ehemaliger Schüler einer Jesuitenschule, die Kandidaten,
       weniger für ihr Äußeres, mehr, wie einmal im Falle der von ihm offenbar
       hochgeschätzten Lena Meyer-Landrut, das perfekte Englisch.
       
       Raab goutiert und sagt dies auch: Dass da KandidatInnen besonders
       raffiniert performen, nicht nur im Sinne des Authentizitätskults wie bei
       DSDS.
       
       Aber saß man deshalb in Sachen Raab jahrelang einem Missverständnis auf - -
       - war nicht sein Hitreigen ("Wadde hadde dudde da", "Ö La Palöma Blanca"
       oder "Gebt das Hanf frei", "Maschendrahtzaun") immer auch eine Verneigung
       vor jenem Unterschichtspublikum, das Pro7 gern einschaltet?
       
       Unfug. Raab war habituell niemals in der gleichen Klasse wie Dieter Bohlen.
       Letzterer war immer ein Held der Vorstädte, ein Mann, der nichts als Masse
       wollte, keine Klasse. Der mit Modern Talking Wohlleben sich organisierte
       und privat durch diverse Affären und Ehen signalisierte, eine Art
       Lifestylezuhälter zu sein - zum Wohlgefallen seiner Frauen und Frauchen wie
       Naddel, Estefania oder anderer. Raab hingegen hat sein Privatleben stets
       akribisch abgeschirmt, hat Verschwisterung mit der Gossenpresse wie der
       Bild-Zeitung nicht nur vermieden, sondern deren Ranwanzen auch offensiv
       bekämpft. Schmuddel war und ist mit Raab nicht zu haben - USFO ist
       dementsprechend kein Entblößungsprogramm auf dem popmusikalischen Catwalk,
       sondern eine Leistungsschau von Talenten, die, träten sie in bizarren
       Dessous auf, sich eher mit Enthüllungen selbst schadeten.
       
       Raab ist also anders als manche glauben kein heimlicher Bürger, sondern ein
       Bürger, der mit den Mitteln der kontrollierten Entgrenzung die Grenzen für
       das erweitert, was moderne Bürgerlichkeit bedeutet. Bei Raab zählt nicht
       der proletarisch-unterschichtige Notschrei, sondern das Handwerk, das bei
       seinen Leisten bleibt. Ekstase ist ihm weniger wichtig als Glaubwürdigkeit.
       
       Die traditionelle - gern: linke - Idee von spießiger Bürgerlichkeit (hier
       die guten, die Pop machen, dort die anderen, die Volksmusik vom Schlager
       Andy Borgs mit den Ohren mampfen) und ihrer erfrischenden Opposition, wird
       durch Raab suspendiert: Die Beherrschung des zeitgenössischen Popmaterials
       wird belobigt so, wie früher Musiklehrer priesen, wenn ihre Schüler
       Strawinsky und Stockhausen nicht nur als Namen kannten, sondern auch deren
       Werke durchdrungen haben. Raabs USFO-Show rekreierte insofern das
       altmodische Format der gründlichen Analyse im Fernsehen: Da werden die
       KandidatInnen ausführlich, so gründlich geschmackvoll, rezensiert, und das
       ohne Häme und absichtsvoll-geschmacklose Verweise auf deren körperliche
       Attribute. Raab kommt als Purist nur auf Musikalisches zu sprechen. Er
       entzieht sich den Kategorien "links" (Pop mit politischem Anspruch, also
       gut) und "rechts" (Musik mit reaktionären Ambitionen, also doof), er lässt
       nur handwerkliches Können gelten, das sich dem Glamourösen nicht
       verweigert. Raab ist Studienrat wie Vertrauenslehrer des Pops in einem.
       
       Heute abend wird das Viertelfinale dieser Show in der ARD ausgestrahlt -
       und der moderne Bürger, der anarchistoide Bürger der Zukunft, namens Stefan
       Raab wird beweisen, dass er mit dem eher gerontophilen Publikum der ARD
       ziemlich gut klar kommt. Die Unterstellung noch vor Monaten, seitens
       einiger ARD-Intendanten wie kulturkritischer Bürger via Süddeutsche
       Zeitung, Raab trage das Prekariatsfernsehen in die ARD, war bar aller
       Kenntnis von Raabs Tun selbst. Die ARD, vielmehr, als mittelschichtiger
       Sender schlechthin braucht einen wie Raab, um sich selbst als
       Fernsehstation der Bürgerlichkeit zu regenerieren.
       
       Was Raab der ARD nahebringen kann, ist vor allem dies: Die Renaissance des
       Schmunzelnd-Witzigen, also auch die Kritik am Dumpfbackig-Volksmusikhaften,
       ist moderner Bürgerlichkeit nachgerade zwingend und allzeit eingeschrieben.
       Bürger lächeln über die Prekären allenfalls, aber sie setzen immer auf
       Leistung, nichts als Leistung. Raab ist ihr bester Beweis.
       
       5 Mar 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jan Feddersen
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA