# taz.de -- Zum Start der Paralympics: "Ach, ist ja Behindertensport"
       
       > Heute starten die Paralympics, die Olympischen Spiele des
       > Behindertensports. Vancouver während Paralympia ist still und ruhig -
       > anders als bei Olympia. Gleichheit bleibt Illusion.
       
 (IMG) Bild: Die Biathletin Andrea Eskau beim Training in Whistler, Kanada.
       
       Friedhelm Julius Beucher hat es eilig. Gerade hat er sich mit Mitgliedern
       des Bundestages getroffen, nun muss er nach Whistler in die Berge. Zwanzig
       Minuten bleiben, ein Zeitfenster, um zu werben, zu fördern, zu fordern.
       "Wir wollen kein Mitleid, wir wünschen uns Respekt", sagt der Präsident des
       Deutschen Behindertensportverbandes (DBS). "Wir betreiben keinen
       Nischensport, aber in den Medien werden wir in eine Nische zurückfallen."
       
       Beucher steht in der Hotellobby in Vancouver Downtown, er trägt einen
       weißen Sportanzug, vor seiner Brust baumelt die Akkreditierung. Er hat
       viele Termine, wenig Zeit - zurzeit.
       
       Zehn Tage dauern die Paralympics, die Winterspiele von 507
       Behindertensportlern aus 44 Ländern, die an diesem Freitag in Vancouver
       eröffnet werden. Friedhelm Julius Beucher ist seit neun Monaten
       Verbandschef, es sind seine ersten Spiele im Amt. Zehn Tage bleiben ihm, um
       seinem Ziel einen kleinen Schritt näherzukommen: der Gleichberechtigung von
       behinderten und nichtbehinderten Athleten. In der Finanzierung, in der
       Infrastruktur, in den Medien.
       
       Zehn Tage hat er, um zu realisieren, was seine Vorgänger realisiert haben:
       Das Ziel ist eine Illusion. Als die Olympioniken vergangene Woche in
       München empfangen und die Paralympier zugleich verabschiedet wurden,
       kümmerte sich kaum jemand um sie. "Im Herzen finden alle ganz toll, was wir
       machen", sagt der sehgeschädigte Skisportler Frank Höfle, der heute die
       Flagge der zwanzig deutschen Athleten in Vancouver tragen wird. "Aber der
       Kopf sagt bei vielen immer noch: Ach, ist ja Behindertensport."
       
       Vancouver während Olympia und Vancouver während Paralympia haben wenig
       gemein. Das Meer der Menschen ist verschwunden, die Straßen sind leer und
       leise, das Pressezentrum ist kein Kongresszentrum mehr, sondern ein
       mittelgroßes Zelt. Ein Kräfteverhältnis, das Beucher kennt: Er hat die
       Prämienverteilung der Stiftung Deutsche Sporthilfe kritisiert. 4.500 Euro
       erhalten deutsche Sieger bei den Paralympics, Goldmedaillen bei Olympia
       wurden mit 15.000 Euro entlohnt. Ungerecht? Skandalös? Diskriminierend?
       
       Friedhelm Julius Beucher, 63, der zwischen 1990 und 2002 für die SPD im
       Bundestag saß, zuckt mit den Schultern: "Wir sind erst am Anfang. Wir
       müssen die Menschen konstant auf diese Ungleichheit aufmerksam machen. Dann
       wird auch der Widerstand wachsen, um Gleichheit zu schaffen."
       
       Es ist nicht die schlechteste Idee, einen ehemaligen Politiker mit der
       Lobbyarbeit für eine vernachlässigte Minderheit zu beauftragen. Beucher war
       von 1998 bis 2002 Vorsitzender des Bundestags-Sportausschusses, er ist
       passabel vernetzt. Er weiß, wie er eine Nische auszufüllen hat. Sein
       Verband hatte beim Forschungsinstitut Sport und Markt eine Studie in
       Auftrag gegeben. Das wenig überraschende Ergebnis schafft eine Nachricht
       mehr: 58 Prozent der Befragten wünschen laut der Studie eine Ausweitung der
       Berichterstattung, 90 Prozent halten die Unterstützung von Unternehmen für
       angebracht. Beucher hat vor den Spielen ein Schreiben an Journalisten
       versandt mit der Bitte um mehr Zuwendung. Und sein Verband hat Stipendien
       für junge Journalisten ausgeschrieben, die nun ohne Kostendruck die
       Berichterstattung aus Kanada erweitern.
       
       Beucher hat gelernt, für andere zu werben, um selbst beworben zu werden. Er
       erwähnt die Unternehmen, die seinen Athleten den Alltag erleichtern. Er
       erwähnt den Automobilhersteller, der seinem Verband zehn Wagen stellt. Und
       die Modefirma, die seit Langem die deutschen Winterolympioniken und nun
       erstmals auch die Paralympier einkleidet. "Wir kommen in der Wirklichkeit
       an. Auch wenn das noch lange nicht reicht." China, Russland, die Ukraine
       pflegen ihren Staatssport. England bezieht den üppigen Etat aus einer
       Lotterie. Beucher dagegen muss einen Weg der kleinen Schritte gehen. Er
       wünscht sich die Verknüpfung von Behinderten- und
       Nichtbehindertenveranstaltungen, mehr Demonstrationswettbewerbe, einen
       Stellenpool im öffentlichen Dienst für seine Athleten.
       
       Es wäre nicht nur ein Zeichen für den Spitzensport, sagt er, sondern auch
       für die 6,7 Millionen Deutschen mit schweren Behinderungen sowie für die
       470.000 Mitglieder und 20.000 Trainer seines Verbandes. "Es geht uns um
       Öffentlichkeit für Breitensport und Rehabilitationsmaßnahmen", sagt
       Beucher. Er weiß: Schon in zehn Tagen wird kaum mehr jemand danach fragen.
       
       12 Mar 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) R. Blaschke
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA